Weltoffenheit und Toleranz: Der Fußball als Kontrastwelt in der weißrussischen Diktatur
Gesellschaft & Ethik 14.August.2013 Florian Groiss 0
Fußball gen Osten ist in vielen Köpfen verschrien und steht in Verbindung mit rechtsradikalen Strömungen und Strukturen nationalistischer Gewalt, die sich nach dem Zusammenfall der Sowjetunion in den Nachfolgestaaten gebildet haben. Erst im Vorjahr bei der EM in Polen wurden die – milde ausgedrückt – Differenzen wieder deutlich: so kam es etwa vor dem Spiel zwischen der polnischen und russischen Mannschaft zu zahlreichen Ausschreitungen. Die Lage in Weißrussland ist da nicht anders. Viele Fangruppierungen sind bekannt für ihren Hang zum Rechtsradikalen, auch jenseits des Fußballfelds. Übergriffe auf „unbeliebte“ Teile der Gesellschaft gehören ebenso zum Fast-Alltäglichen, wie der ausgestreckte rechte Arm oder eindeutige Symbole in den Stadien.
Hinzu kommen Menschenrechtsverletzungen und fehlende Freiheiten für die Bevölkerung in einem Staat, der unter der Regentschaft von Aljaksandr Lukaschenka vielfach als die letzte Diktatur Europas tituliert wird. Seit 1994 ist dieser an der Macht, die Medien befinden sich fast zur Gänze in staatlicher Hand, Homosexuelle werden rechtlich nicht geschützt und gesellschaftlich diskriminiert. Wie dramatisch sich die Lage zuspitzen kann, zeigt sich derzeit gerade in Russland, dem großen Bruder Weißrusslands, mit dem man Teil der Sowjetunion war und gemeinsam die (nicht sehr aktive) russisch-weißrussische Union unterhält: Neue Gesetze unter dem Schlagwort der „homosexuellen Propaganda“ gehen sogar so weit, dass selbst die Weitergabe von Information über die Normalität von Homosexualität, oder die unterstützende Meinungsäußerung für Schwule und Lesben unter Strafe gestellt ist.
Dass der Fußball und die dazugehörigen Fans sich diesen Tendenzen anpassen, ist eine nahezu logische Folge, sind Fußballfans doch in vielen Fällen (aller Protestkultur zum Trotz) ein Spiegel der Gesellschaft. Somit besteht in Weißrussland, vor allem wenn Jugendliche dem Verhalten von Fan-Vorbildern aus angrenzenden Ländern wie eben Russland nacheifern, die Gefahr eines Abdriftens in die rechte Szene. Doch in Minsk, im Herzen Weißrusslands, etablierte und etabliert sich eine Gegenbewegung. Antirassistische und antihomophobe Haltungen sind Grundwerte, denen sich die Fans des kleinen Vereins Partizan-MTZ Minsk verpflichtet haben.
Partizan Minsk ist das Ergebnis der 2002 stattgefundenen Fusion zweier Minsker Vereine (Betriebssportvereine des Minsker Traktorenwerks MTZ und des Republikanischen Instituts für Berufsausbildung RIPO) zum MTZ RIPO Minsk. Der Verein spielte fast durchgängig in der weißrussischen Premier League, stieg nach einem zweijährigen Gastspiel in der zweiten Liga 2012 wieder auf und wurde dazwischen, im Jahr 2010, in Partizan Minsk umbenannt. Größte Erfolge waren jeweils zwei dritte Plätze in der Liga und zwei Gewinne des Cups. Bereits zu dieser Zeit fielen die Anhänger durch eine weltoffene und antirassistische Fankultur auf. Doch 2012 folgte auch der Crash – Zwei Jahre nach der Umbenennung folgte der Ausstieg des Oligarchen Vladimir Romanov, der bis dahin die Geschicke leitete. Der Verein war zerstört – ohne Geld musste man Insolvenz anmelden und die Lizenz abtreten, die Eliteliga des Landes startete mit 11 Mannschaften in die Saison.
Vor mehr als einem Jahr ergriffen dann Fans, die sich nicht mit dem Verschwinden ihres Vereins und ihrer Fankultur abfinden wollten, selbst die Initiative und nahmen sich dabei Vereine wie AFC Wimbledon, United of Manchester oder die Salzburger Austria zum Vorbild. Aus viel Arbeit und viel investierter Zeit heraus ließen sie ihren Verein, Partizan Minsk, in einer unteren Stadtliga neu entstehen. Oberste Priorität besaßen im neugegründeten Verein die alten Prinzipien: Antirassismus und Antidiskriminierung für ein modernes und weltoffenes Weißrussland, sowie eine tolerante Fanszene. Der Slogan des Klubs: Another Football is possible. Eine Portion Antikapitalismus darf selbstverständlich nicht fehlen.
Selbst wenn manche der Partizan-Fans vermutlich keine Kinder von Traurigkeit sind, so stellen sie eine beachtenswerte Position im weißrussischen Staats-, Kultur- und Fußballsystem dar. Sie positionieren sich gegen gesellschaftliche Strömungen der Homophobie und bieten Andersdenkenden einen Platz zur Auslebung einer Alternativkultur – auch fernab des Fußballs. Im März ging der Verein auf Tour in Mitteleuropa: Freundschaftsspiele gegen Unterstützer der ersten Stunde standen an. Allen voran die Fans des FC St. Pauli rührten wie im vergangenen Jahr bei der Gründung auch heuer wieder kräftig die Werbetrommel für die Existenz des Minsker Klubs. Beim Gastspiel Partizans in Deutschland durfte der Verein sich über Einnahmen freuen, die bei Testspielen gegen Sankt Pauli IV, Victoria Hamburg oder Tennis Borussia Berlin lukriert wurden.
Mittlerweile kicken die Spieler des von Fans verwalteten Vereins in der Belarusian Second League, der dritthöchsten Liga des Landes und erfreuen sich einer weiteren Besonderheit: Mit Anna Bolbas stellt Partizan die erste weibliche Fußball-Vereinschefin des Landes. Die Ernennung der 22-jährigen Mathematikerin am 17. Juli zur Direktorin zieht weiter fleißig Medien zum Klub – doch der sportliche Erfolg lässt auf sich warten: Nach der Hinrunde steht man mit elf Punkten nach zwölf Spielen auf Platz zehn von insgesamt dreizehn Teams in der Liga. Weit ist man noch entfernt von den Erfolgen vor dem Vereinskollaps oder den internationalen Höhenflügen BATE Borisows. Doch immerhin zwei Siege feierte man im ersten Jahr in der neuen Liga – und diese wurden groß bejubelt von jenen Fans, die sich ihre kleine, eigene Sphäre aufgebaut haben im großen Minsk. Und diese selbstaufgebaute Welt ist es, was viele mehr freut als große Duelle in der Champions League.
Weitere Infos
https://www.facebook.com/pages/Partizan-Minsk-Football-Club/377005695652935
http://savemtz.blogsport.eu/
Florian Groiss, abseits.at
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