Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen... Wiederholung in Zeitlupe (2) – Das „Anschlussspiel“ (KW13)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser neuen Serie einen Blick in die Vergangenheit werfen: Wir spielen sozusagen einen Zuckerpass in den Rückraum und widmen uns kurz und bündig legendären Toren, Spielen, Fußballpersönlichkeiten, Ereignissen auf oder neben dem Platz und vielem mehr. Wir wollen Momente, Begebenheiten, Biografien – im Stile von Zeitlupenwiederholungen aus dem TV nochmals Revue passieren lassen. Gedanken machen wir uns dabei über Vergangenes, das in der abgelaufenen Kalenderwoche stattgefunden hat. Heute reisen wir zurück in ein düsteres Kapitel unsres Landes und rekapitulieren das sogenannte „Anschlussspiel“ zwischen Österreich und Deutschland am 3. April1938…

Deutschland gegen Deutschösterreich – „Der freie, gesunde, sportgestählte deutsche Mensch“

Es gibt nicht mehr viele lebende Zeugen, die von der Zeit des Nationalsozialismus berichten können. Neben den entsetzlichen Gräueltaten und den Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges verkommt Fußball wahrlich zu mehr als einer Nebensächlichkeit. Sollte man sich diesem Thema aber doch widmen und das Glück haben mit einem Fußballanhänger, der den Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland im März 1938 miterlebt hat, zu plaudern, dann hört man was heute unglaublich scheint: Die österreichische Fußballtradition war jener unsrer nördlichen Nachbarn vielfach überlegen. Die Rot-Weiß-Roten hatten Spielwitz, Technik und Fantasie, während man jenseits des Weißwurstäquators vor allem über Kraft versuchte ins Spiel zu kommen. Fußball war schon in den 30er-Jahren unbestrittener Volkssport, aber von seiner heutigen Beliebtheit noch entfernt. Der Führer persönlich – GröFaZ Hitler – begeisterte sich für das Spiel jedoch nicht. Spätestens seit dem 7. August 1936 als die deutsche Nationalmannschaft beim Olympischen Turnier im Berliner Poststadion mit 0:2 gegen Norwegen verlor, soll er Fußball sogar gehasst haben. Dem „Anschlussspiel“ am 3. April 1938 wohnte der gebürtige Österreicher erst gar nicht bei.

Um jenes Match ranken sich bis heute Mythen und Legenden: So sollen die Österreicher provokant in rot-weiß-roten Dressen aufgelaufen sein und über ihren – angeblich ungeplanten – Sieg auffällig gejubelt haben. Beweise für eine ideologische Fundierung dieser Vorkommnisse sucht man jedoch vergebens. Das Spiel der beiden Mannschaften wurde angekündigt um „einen Schlusspunkt hinter die Geschichte des selbstständigen österreichischen Fußballsports“ zu setzen. Reichssportführer Tschammer von Osten sprach in seiner Pausenrede jedoch davon, dass man die „einzigartige Wiener Fußballschule“ nicht unterdrücken, sondern von ihr profitieren wolle. ÖFB-Präsident Oberlandesgerichtsrat Dr. Richard Eberstaller gab sich ebenfalls optimistisch: „Ich selbst bin fest überzeugt, dass Deutschösterreichs Fußballsport einer schönen Zukunft entgegensteht, dass wir im großen Deutschen Fußballverband einen Ehrenplatz einnehmen werden.“ Tatsächlich sollte sich für die österreichischen Kicker im Deutschen Fußballbund viel ändern: Die größte Umstellung war das Verbot des Berufssports und die Eingliederung der Profis als Amateurspieler.

Die Berichterstattung drehte sich vorab hauptsächlich um die Volksabstimmung genau eine Woche später. Auch auf sportlicher Ebene sollte für eine „demokratisch“ durchgeführte Annexion geworben werden. Dabei setzte die NSDAP auf das Zugpferd Fußball: „Wir und mit uns 600.000 deutsche Fußballer stimmen mit Ja!“ In vielen Städten des Großdeutschen Reiches, von Innsbruck bis Breslau, fanden an diesem Aprilwochenende weitere (noch binationale) sportliche Begegnungen statt. Die Zeitungen karikierten diese zu Bruderduellen, die von Freude und Ehre ab nun ein Vaterland teilen zu dürfen geprägt seien.

Das Länderspiel, das um 16:10 Uhr angepfiffen wurde, war eine zunächst ausgeglichene Partie. Die Deutschen spielten im sogenannten W-M-System mit Kickern, die heute nur Fußballhistorikern etwas sagen: Berndt, Fath, Gauchel und Co. kickten bei Vereinen, die es nicht zu den großen Klubs unserer Nachbarn geschafft haben – wie Schweinfurt, Wormatia Worms oder Neuendorf. Hingegen fanden sich auf österreichischer Seite einige Alt-Legenden: Angefangen bei Karl Sesta, dem Simmeringer Original, über Kanonier Franz „Bimbo“ Binder“ zum violetten Fußballgott Matthias Sindelar. Eben jene Sesta und Sindelar sollten auch die beiden einzigen Treffer des Spieles beisteuern. Der „Papierne“ – genau das Gegenteil seines Vis-à-vis Hans Berndt, weil technisch beschlagen und kreativ – machte sein letztes großes Spiel. Sein Verhalten – so soll er provokant mehrere Hochkaräter vergeben haben, was sonst nicht seine Art war – trägt zu jenem Mythos bei, der sich besonders nach seinem rätselhaften Tod installiert hat. Kein Wunder, dass seine mediale Bewertung nicht allzu gut ausfiel. So sprach man ihm ab ein „Durchbrenner“ zu sein. Was auch immer das bedeutet.

Das letzte deutsch-österreichische Länderspiel für einige Jahre läutete jedenfalls auch für den rot-weiß-roten Fußballsport eine – vor allem im Rückblick – traurige Epoche ein: Heute ist die Wiener Fußballschule längst passé, die großen Erfolge spiegeln sich nur in alten Pokalen und Statistiken wider. Ihre Protagonisten liegen auf Friedhöfen weltweit.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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