Interview: „E-Sports ist längst ein Millionengeschäft“
In-Depth 29.Oktober.2017 Philipp Braunegger 0
E-Sports als Boom abzutun wäre die Untertreibung des Jahres. Die Computerspiel-Bewerbe locken Spieler weltweit mit immer aberwitzigeren Preisgeldern, die mediale Aufmerksamkeit steigt quasi stündlich, Agenturen verpflichten Spieler für die aktuellen Sport-Games – kurz: Gaming ist längst zum Wirtschaftszweig geworden. Ganz groß im Geschäft ist die beliebteste Sportspiel-Reihe weltweit, FIFA. In den letzten Jahren haben auch hier die e-Sports Events enorm zugenommen, jetzt gibt es mit der e-Bundesliga auch in Österreich einen eigenen Bewerb bei dem Klubs wie Rapid, Austria, Sturm oder Red Bull Spieler ins Rennen schicken die dann beim Finalturnier in Wien am 9. Dezember um 15.000 Euro zocken. Matthias Luttenberger aus dem steirischen Paldau will für Sturm Graz ins Rennen am Controller gehen. Das Besondere: Luttenberger, alias „Lutti1“ wechselte von seinem Stammspiel Pro Evolution Soccer (PES) extra auf FIFA um Teil des e-Bundesliga zu werden – und das obwohl er mehrmals Staatsmeister sowie Vize-Welt- und Europameister bei PES ist. Im Interview erklärt Luttenberger seine Beweggründe für den Wechsel und gibt Einblick in die aufstrebende e-Sports-Welt in der die Themen Fitness, Ernährung und karriereorientiertes Denken genauso „Part of the Game“ sind wie beim Fußball auf dem Rasen.
abseits.at: Warum wechselt Österreichs bester PES-Zocker zu FIFA?
Luttenberger: Zum einen: mir geht es immer um den Wettkampf. Die e-Bundesliga erlebt einen absoluten Boom in Österreich und ich sehe darin eine große Chance mit als e-Sportler weiterzuentwickeln. Und zum anderen haben sich die Gegebenheiten geändert was e-Sports angeht – FIFA hat PES überholt. Außerdem herrscht bei FIFA in Europa eine viel interessantere Konkurrenz, bei PES tu ich mir nach all den Jahren ja schon schwer was Herausforderungen angeht.
Dabei steigt doch bald die WM-Vorausscheidung in Tokio.
Ja, aber da ist für mich der Reiz jetzt nicht mehr so gegeben, außerdem muss ich zugeben, dass ich mir bei FIFA inzwischen größere Chancen ausrechne. Mein Fokus hat sich ja mittlerweile auf dieses geändert.
Größere Chancen bei FIFA, nach den vielen PES-Jahren? Geht die Umstellung so rasch?
Ich habe seit 2013 nicht mehr ’so richtig‘ FIFA gespielt, es ist also schon eine gewisse Umstellung nötig um konkurrenzfähig zu agieren. PES und FIFA unterscheiden sich ja extrem was das Handling per Controller, die Übersicht und so weiter angeht. Allein die Defensive! Bei PES verteidigst du aktiv selbst, bei FIFA verteidigt der Computer. Und eben auch die Bedeutung der Tasten ist etwas bei dem man sich umgewöhnen muss weil bei FIFA die Schultertasten, also R1 etc., viel mehr zum Tragen kommen. Kurz gesagt: FIFA und PES das ist genauso unterschiedlich wie Tennis und Tischtennis.
Generell, so hört man, tut sich in der e-Sport-Szene einiges was Wechselgelüste angeht…
Ja, viele PES-Spieler sind besorgt was ihr Standing als e-Sportler angeht. Die fürchten sich vor einem gewissen Ehrenverlust weil der weltweite Fokus jetzt gen FIFA geht. Die Medien, die Agenturen die hinter den einzelnen Spielern stehen und natürlich die Gelder die gezahlt werden – alles richtet sich jetzt auf FIFA aus. Ich bin sicher nicht der einzige der wechselt. Das Ganze ist längst ein riesiges Millionen-Geschäft.
Dass in Österreich die e-Bundesliga los geht ist aber trotzdem ein Spätstart, oder?
Klar, wir hinken schon ein bisserl hinterher. Führend ist in Europa sicher Deutschland. Was dort bei Red Bull Leipzig gezahlt wird – das ist einfach eine andere Welt. Die dortigen Profis sind genauso voll in einem Spielbetrieb involviert wie die Kicker am Rasen, mit eigenen Einrichtungen im Trainingszentrum und so weiter. Das „Kicker“-Magazin hat ein eigenes Resort eingerichtet das nur über e-Sports berichtet! Auf Sport1 gibt’s schon eine eigene Sendung, von all den Internet-Sendungen ganz zu schweigen. In Österreich gibt’s ja auch bei uns Profis bei Rapid, Austria und Red Bull Salzburg. Die Szene holt absolut auf. Und das ist ja das spannende beim e-Sports: die Entwicklung in Ländern die aktuell noch hintennach sind können enorm schnell aufholen.
Das Interesse bei den Quali-Ausscheidungen für die e-Bundesliga ist wohl der beste Beweis.
Genau, Wahnsinn wie viele sich da anmelden und mitzocken. Und dadurch, dass die Liga auch in Österreich zur Institution werden wird – davon geh ich jetzt mal aus – wird die Szene in den nächsten Jahren rasant weiterwachsen. Und mit ihr das ganze Brimborium rundherum mit Medienberichten im Print und Rundfunk. Von Maßstäben wie im Asien sind wir aber noch Lichtjahre entfernt: da füllen e-Sports Events ganze Stadien und die Begeisterung ist nicht nur auf Sportspiele ausgerichtet.
Du wirst am Sonntag bei der Vorentscheidung des SK Sturm antreten um am Schluss unter den letzten 4 zu landen die dann Sturms eigenes e-Sports Dress über zu ziehen. Wie sieht dein Trainingsalltag aus?
Ich schaue, dass ich auf vier bis fünf Stunden abends zu kommen. Das ist der Aufwand den ich auch vor PES-Events betrieben habe. Bei mir kommt aber noch dazu, und das Problem haben Profis nicht, dass ich in der elterlichen Firma mitarbeite, dafür viel unterwegs bin und auch meine Familie will ich nicht zu kurz kommen lassen. Aber ich gebe es zu, mein Ehrgeiz ist groß genug um alles unter einen Hut zu bringen.
Trainiert ein e-Sportler bei FIFA nur vorm Computer oder gibt’s da auch ein körperliches Programm abzuspulen? Musst du etwa deine Finger extra trainieren um am Controller vor Fehlern gefeit zu sein?
Also irgendwelche Daumendreh-Übungen muss ich nicht machen (lacht), aber es stimmt schon: e-Sports ist ein Kopf-Sport. Du musst hellwach sein und dazu gehört nun einmal auch die körperliche Verfassung die passen muss. Ideal ist Ausdauersport als Ausgleich zum langen stehen oder sitzen vor dem Computer. Beim Joggen kriegst du den Kopf frei und wirst lockerer. Denn beim stundenlangen Zocken steht der Körper unter mehr Anspannung als viele glauben. Außerdem ist der Geräuschpegel bei einem Großturnier enorm: es wird geflucht, teilweise geschrien! Da musst du schon eine gewisse Grundentspannung mitbringen um konkurrenzfähig zu sein.
Als Laie stellt man sich den Computerspiel-Nerd trotzdem immer als pummeligen Typen vor, mit XL-Colaflasche und dem aufgerissenen Chipspackerl. Spielt denn heute auch die Ernährung eine Rolle bei e-Sports?
Und was für eine! Fettreiche, schwere Kost macht dich träge. Darunter leidet die Konzentration und du wirst langsamer in deiner Reaktionsfähigkeit. Bei Sport-Games ist das tödlich. Man sollte also, wie beim ‚echten‘ Fußball, auf ausgewogene Mischkost setzen und durchaus regelmäßig zu Obst und Gemüse. Und Alkohol ist sowieso verpönt.
Du hast das Thema Körperhaltung beim Zocken angesprochen. Sitzt du oder stehst du lieber?
Ich komme mit beidem zurecht. Bei manchen Turnieren musst du sitzen, dann wieder stehen oder lehnst an einem Hocker. Aber es ist schon so dass die Körperhaltung wichtig ist, vor allem weil wir da wieder beim Thema Fitness sind: ein übergewichtiger Spieler wird Probleme haben wenn er bei einem Event sechs Stunden stehen muss. Außerdem, und da muss ich zugeben es das auch schon selbst festzustellen, wird man ja älter. Junge Spieler haben da einen Startvorteil.
Apropos: mit 30 denkt ja der Kicker am Rasen schon an die Zeit nach der Karriere. Hast du auch schon einen Plan wie lang du noch spielst bzw. was du danach anstrebst?
Ein paar Jahre will ich sicher noch spielen, wer weiß wie weit ich es in FIFA bringe! Ich hab das Glück dass ich ja parallel ein normales Arbeitsleben habe und die Firma meiner Familie mich sehr fordert.
Wie viel Geld hast du bisher am Computer erspielt?
In Summe etwa 13.000 Euro, wobei der höchste Gewinn bei PES 5000 Euro für den Vize-WM-Titel waren.
Peanuts im Vergleich zu dem was in den Branche, etwa den USA oder Asien gezahlt wird, oder?
Richtig, da locken bei Events Preisgelder von zigtausenden Dollars. Das Thema Gehalt ist jetzt aber auch bei den Fußball-Zockern ein ganz großes geworden seitdem die Großclubs Profis engagieren.
Wie äußert sich das?
Insofern dass sich – und das ist wieder eine Parallele zum menschlichen Fußball – Teams wie Paris Saint German 20 Millionen Euro investieren um alle Titel bei e-Sports einzusacken, oder Red Bull seinem Profi ein vierstelliges Fixum im Monat ermöglicht, immerhin stehen bei diesen Klubs ja ganze Agenturen hinter der e-Sports Abteilung. Die Wiener Clubs denken in ähnlichen Gehalts-Sphären.
Solltest du dich fürs Team von Sturm Graz qualifizieren winken dir dann auch solche Summen?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich rechne mit etwa 300 Euro, kann das aber selbst noch nicht genau einschätzen.
Du bist ja auch Sturm-Fan. Könntest du dir vorstellen auch für den grün-weißen Rivalen aus Hütteldorf den Controller in die Hand zu nehmen?
Gute Frage. Aber ich denk da pragmatisch: wenn dir Rapid 5000 Euro anbietet und Sturm 300 gehst du dorthin wo mehr bezahlt wird. E-Sports ist genauso wenig ein Sport für Romantiker wie echter Fußball am Rasen. Dass ein Romano Schmid statt bei Sturm heranzureifen lieber für die große Kohle zu Red Bull geht ist in der Form auch bei e-Sports einfach Teil des Geschäfts.
Oder „Part of the Game“.
Sozusagen.
Philipp Braunegger, abseits.at
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