Das Regelwerk: Zwischen Theorie und Praxis, Teil 1 – Eindeutige Handhaltung, unklare Handhabung
Taktik & Theorie 3.Dezember.2011 Emanuel Van den Nest 0
In jüngster Vergangenheit sorgte das Handspiel zunehmend für Diskussionen. Eine klare Haltung der Schiedsrichter erschließt sich aus den Diskussionen nicht. Dabei sieht die Regel eine eindeutige Handhabung vor.
Die 86. Minute in der Südstadt. Rapid hat gerade einen 3:0-Rückstand aufgeholt, auf 3:3 ausgeglichen und drängt sogar auf den Siegestreffer. Nun gelangt allerdings die Admira zu einem Eckball und der Admiraner Emin Sulimani nach der Ausführung des Eckballs vor dem Strafraum zu einer Schussmöglichkeit. Der eingewechselte Rapidler Guido Burgstaller ahnt was Sulimani vor hat, er möchte seinen Schuss abwehren und versucht sich deshalb in Sulimanis Schuss zu werfen. Um nicht schmerzhaft getroffen zu werden, wendet er dabei dem Schuss seinen Rücken zu. Seine Drehung erfordert die Mithilfe seines Arms. Und genau den trifft Sulimani scharf aus kurzer Distanz. Burgstaller befindet sich dabei innerhalb des Strafraums und Schiedsrichter Rene Eisner entscheidet auf Strafstoß, den Patrik Jezek zum Spiel entscheidenden 4:3 für die Admira verwandelt.
Regelbuch
Es sind Entscheidungen wie diese, die nicht selten Spiele entscheiden. Und dennoch ist vielen unklar, wann eigentlich ein Handspiel vorliegt und wann nicht. Werfen wir einen Blick auf einen Auszug aus dem Regelbuch der FIFA:
„Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler den Ball mit seiner Hand oder seinem Arm absichtlich berührt. Der Schiedsrichter achtet bei der Beurteilung der Situation auf:
• die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand),
• die Entfernung zwischen Gegner und Ball (unerwartetes Zuspiel),
…“
Absicht oder nicht?
Betrachten wir Burgstallers Fall unter diesen Gesichtspunkten. Ist sein Handspiel absichtlich erfolgt? Das ist zu bezweifeln, Burgstaller möchte den Schuss mit seinem Rücken und nicht mit seinen Armen abwehren. Der Ball trifft zwar seinen Arm, jedoch unabsichtlich. Diese Annahme bestätigt sich dadurch, dass die Bewegung des Rapidlers nicht zum Ball geht, sondern umgekehrt. Bei genauem Hinsehen wird sichtbar, dass Burgstallers Bewegung Sulimanis Schuss vorausgeht. Auch die geringe Entfernung zwischen Gegner und Ball macht ein absichtliches Hands recht unwahrscheinlich. Der Admiraner trifft Burgstaller aus kurzer Distanz und zudem mit großer Wucht. So schnell kann Burgstaller gar nicht reagieren, dass er seinen Arm rechtzeitig aus der Schusslinie bringt.
Arm in der Höhe
Gehen wir zeitlich etwas zurück, zum 13. Juni 2010. In Tschwane, Südafrika bestreiten Serbien und Ghana gerade ihr erstes Gruppenspiel der Fußball-WM gegeneinander. Es steht 0:0, als der eingewechselte Serbe Zdravko Kuzmanovic gerade versucht eine Flanke Ghanas aus dem eigenen Strafraum springend zu köpfen. Um Schwung zu nehmen, hebt Kuzmanovic dabei seine Arme in die Höhe. Er verschätzt allerdings die Flugbahn des Balles, und trifft diesen nicht mit seinem Kopf, sondern mit seinem rechten Arm. Ohne zu zögern zeigt Schiedsrichter Hector Baldassi auf den Elfmeterpunkt und Kuzmanovic die gelbe Karte, der dabei nicht gar gut aussieht. Ghana kann sich freuen, der verwandelte Elfmeter sichert Ghana den Sieg und letztlich auch den Aufstieg ins Achtelfinale.
Unnatürliche Haltung?
Auf den ersten Blick mögen hier viele ein Handspiel sehen, doch Absicht kann man dem Serben hier nicht unterstellen. Insofern ist die Entscheidung zu bezweifeln. Häufig hört man aber, dass die Hand dort nichts verloren hat, von einer unnatürlichen Haltung ist dann die Rede. Dieses Kriterium ist zwar nicht im Regelwerk verankert, findet aber häufig Anwendung. So in Österreich oder auch in Deutschland, wo in den Unterlagen der Schiedsrichterschulung im Kreis Gütersloh zu lesen ist, dass ein absichtliches Handspiel auch dann vorliegt, wenn der Spieler eine unnatürliche Handhaltung einnimmt. Das trifft zu, wenn der Spieler entweder mit ausgebreiteten Armen auf dem Spielfeld steht oder sein Gesicht bei der Mauer mit der Hand schützt. Und von einer natürlichen Handhaltung sprechen wir, wenn der Spieler beim Tackling die Arme ausbreitet um die Balance zu halten, die Arme zum Schwungholen verwendet oder mit seinem Arm auf den Ball fällt. Folgen wir diesen Kriterien, dann liegt bei Burgstaller eine natürliche Haltung vor, denn er verwendet seine Arme um Schwung zu holen. Auch Kuzmanovic holt Schwung, in seinem Fall um den Ball mit dem Kopf zu treffen. Beide haben also ein unabsichtliches Handspiel begangen, in beiden Fällen hätte es keinen Elfmeter geben dürfen.
Spielentscheidend
Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht. Das Spiel ist schnell geworden, der Videobeweis dagegen ausgeblieben. Keine Frage, die Schiedsrichter haben es schwer. Spielsituationen richtig zu erkennen, ist häufig ein Ding der Unmöglichkeit, Fehlentscheidungen sind dabei unausweichlich. Zu verhindern sind allerdings zweifelhafte Pfiffe, die Spiele entscheiden. Von den Schiedsrichtern wird Fingerspitzengefühl gefordert. Berührt ein Spieler im eigenen Strafraum den Ball mit der Hand und der Schiedsrichter ist sich über das Vergehen nicht völlig sicher, sollte er im Zweifelsfall einfach weiterlaufen lassen. Die Fälle Burgstaller und Kuzmanovic sind nur zwei von vielen Beispielen dafür, dass Spiele durch unabsichtliche Handberührungen im Strafraum, entschieden werden. Häufig wird dabei nicht einmal eine Torchance verhindert. Und in den seltensten Fällen ist die Handberührung auch wirklich absichtlich. Solange sich Fußballer mit ihrer Handhaltung keinen klar erkenntlichen, bewussten Vorteil verschaffen, kann der Schiedsrichter die Finger von der Pfeife lassen, dann braucht der Fluss des Spiels auch nicht gestört werden. Das wäre eine eindeutige Handhabung.
Emanuel Van den Nest, abseits.at
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