Über das Abseits wird viel gesprochen. Wir gehen diesmal den Fragen nach, welchen Nutzen die Abseitsregel ursprünglich für den Fußball hatte und welchen hat... Das Regelwerk: Zwischen Theorie und Praxis: Teil 4 – Eine Regel im Abseits

Über das Abseits wird viel gesprochen. Wir gehen diesmal den Fragen nach, welchen Nutzen die Abseitsregel ursprünglich für den Fußball hatte und welchen hat sie heute noch hat? Brauchen wir sie überhaupt noch?

„Ein eindeutiges, ein klares Abseits“, ist sich der Kommentar im Fernsehen sicher. Abseits war es, das bestätigt die Wiederholung in der Zeitlupe. Eindeutig war es dagegen weniger, gerade mal eine Fußspitze ist der Angreifer vor dem letzten Verteidiger. So genau wird es heutzutage genommen, ist der Angreifer den kleinsten Schritt voraus, ist es Abseits. Doch wofür wurde die Regel ursprünglich eingeführt?

Nur Rückpässe erlaubt

Diese Frage führt uns weit zurück, bis ins Jahr 1866. Sie wurde damals eingeführt um zu verhindern, dass die Angreifer nicht einfach vor dem gegnerischen Tor auf weite Bälle lauern, es sollte damit eine Spielkultur kürzerer Pässe gefördert werden. Von 1863 bis 1866 waren aus dem gleichen Grund sogar nur Rückpässe erlaubt. Ein flüssiges Spiel konnte dadurch aber nicht entstehen, so entschied man sich zu Formulierung der ersten Abseitsregel. Ein Spieler war demzufolge nicht im Abseits, wenn sich zumindest drei Spieler zwischen Angreifer und Torlinie befanden. Der Unterschied zur heute gültigen Regel liegt darin, dass damals drei Spieler vor dem Angreifer postiert sein mussten, damit kein Abseits vorliegt. Das galt bis 1925, als die Anzahl der Verteidiger auf zwei reduziert wurde und die Regel damit weitgehend der gegenwärtigen entspricht. Einzig die so genannte „gleiche Höhe“ wurde erst 1990 im Regelwerk verankert. Seit 1990 lautet die Grundregel also:

„Ein Spieler befindet sich in einer Abseitsstellung, wenn er der gegnerischen Torlinie näher ist als der Ball und der vorletzte Gegenspieler.“

Schnelles Spiel

Und wie sieht das heutzutage in der Praxis aus? Das Abseits offenbart die Schwierigkeit von Schiedsrichter und Assistenten mit dem Tempo des Spiels Schritt halten zu können. Eigentlich ist es mittlerweile unmöglich, ausschließlich richtige Abseitsentscheidungen zu treffen. Nicht nur das Auge des Schiedsrichters, auch das des, dafür besser postierten, Assistenten an der Linie ist damit einfach überfordert. Der Assistent muss den ballführenden Angreifer, jeden in die Tiefe laufenden Angreifer beobachten, beobachten muss er natürlich auch die Bewegung der Verteidigung. Und nun hat er die Aufgabe all diese Faktoren zeitlich zu reihen und das innerhalb von Zehntelsekunden. Der Assistent hat eben keine Zeitlupenwiederholung. Die Folge ist, dass er im Zweifelsfall auf Abseits entscheidet, obwohl das oft gar nicht zutrifft. Nachvollziehbar ist das Vorgehen aber schon. Denn ein Abseitstor bleibt im Nachhinein schlechter in Erinnerung, als ein Tor, dass zu Unrecht angepfiffen wurde.

Abseits abschaffen?

Die Regel erzeugt also das Dilemma, dass Angriffe häufiger zurückgepfiffen werden. Die Regel ist damit nicht mehr Sinne der ursprünglichen Auslegung. Ohne den offensiven Fußball einzuschränken, sollte eine ausgeprägte Spielweise des Kick n’ Rush verhindert, eine Spielkultur auf eher engem Raum gefördert werden. Genau dieses Spiel auf engem Raum finden wir im modernen Fußball wieder, die offensiven Bemühungen sowieso. Wozu dann die Regel? Diese Frage hat sich auch Martin Beisl in seiner Kritik an der heutigen Verwendung der Abseitsregel im Oktober diesen Jahres in der Rheinischen Post gestellt:

„Die Gefahr, dass die Stürmer nur noch vor dem Tor stehen, besteht heute nicht mehr. Denn heute muss jeder Stürmer Defensivarbeit verrichten, damit der Gegner nicht zu leicht Überzahlsituationen herausspielt.“

Martin Beisls taktischer Argumentation ist einleuchtend. Tatsächlich erfordert die moderne Raumdeckung Überzahlsituationen stets dort, wo der Ball ist. Ein Stürmer, der immer nur vor dem Tor steht, fehlt hinten im Spielaufbau. Nun könnte man einwenden, dass Mannschaften, wäre das Abseits abgeschafft, auf Überzahlsituationen zum Teil verzichten und Spielsituationen mit langen Bällen auf Strafraumstürmer forcieren würden. Das wäre durchaus vorstellbar und sicher kein schöner Anblick.

Regeländerung?

Vielleicht sollte die Regel nicht abgeschafft sondern verändert, an das heutige Spiel angepasst werden. Jens Jeep hat sich im Online Spiegel mit den Problemen der Abseitsregel beschäftigt. Seiner Meinung nach verhindert das streng gehandhabte Abseits „die besten Pässe, die genialsten Spielzüge in den freien Raum“. Da hat er wohl nicht Unrecht. Situationen, die für den Verteidiger unberechenbar sind, sind es auch für den Schiedsrichter und seine Assistenten. Jeep ortet angesichts des schnellen Spiels ebenso die Schwierigkeit richtige Entscheidungen zu treffen und fordert deshalb eine Lockerung der Regel, die sich nach dem Ermessen des Assistenten richtet. Sein alternativer Vorschlag lautet:

„Ein Spieler befindet sich in einer Abseitsstellung, wenn er im Augenblick nach der Ballabgabe nach Überzeugung des Schiedsrichters mit vollem Körperumfang der gegnerischen Torlinie näher ist als der vorletzte Gegenspieler.“

Angreifer öfter vorne

Nach Jeeps Vorstellung liegt dann ein Abseits vor, wenn der Spieler im Augenblick nach der Ballabgabe zu weit vorne steht. Die Entscheidung wird dann auf Grund der Überzeugung des Schiedsrichters und seiner Assistenten gefällt, er möchte diese damit in Schutz nehmen. Dieser letzte Ansatz ist zu begrüßen, sein Regelvorschlag allerdings problematisch. Denn erstens bleibt der Augenblick nach dem Abspiel einfach undefiniert. Zweitens ist der Angreifer, selbst wenn er sich im Augenblick der Ballabgabe nicht im Abseits befindet, im Augenblick danach fast immer dem Tor am nächsten. Denn der Angreifer weiß erstens wann und wohin er laufen wird und kann auf Grund seiner körperlichen Ausrichtung zum Tor auch schnellstmöglich laufen. Der Verteidiger dagegen steht mit dem Rücken zum Tor, muss erst den Laufweg des Angreifers erkennen und kann erst dann umzuschalten. Der Angreifer ist dabei dem, noch so gut antizipierenden, Verteidiger in den meisten Fällen voraus und damit noch häufiger im Abseits. Jens Jeeps Vorschlag ist damit weniger brauchbar.

Im Strafraum gar nicht

Brauchbar ist dagegen sein anderer Vorschlag:

„Kein Abseits liegt vor, wenn sich der Ball im Augenblick der Abgabe bereits im Strafraum befindet.“

Dieser Vorschlag wäre sicherlich ein erster Schritt hin zu einer sinnvolleren Abseitsregel und durchaus umsetzbar. Denn, wenn der Ball einmal im Strafraum landet, dann ist das Spielgeschehen sowieso auch dort. Das wäre ganz im Sinne der ursprünglichen Regel. Die Spielkultur wäre damit ganz und gar nicht im Abseits.

Emanuel Van den Nest, abseits.at

Emanuel Van den Nest

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