Das passiert jede fucking Spiel!“. Mit diesen Worten leitet Pep Guardiola die zurzeit wohl populärste Trainingsübung der Fußballwelt ein. Innerhalb von nur wenigen Tagen... Detaillierte Analyse von Pep Guardiolas Trainingseinheit (2) – Die Ziele der Übung

FC Bayern München Logo 2Das passiert jede fucking Spiel!“. Mit diesen Worten leitet Pep Guardiola die zurzeit wohl populärste Trainingsübung der Fußballwelt ein. Innerhalb von nur wenigen Tagen erreichte dieses Video aus dem Trainingslager der Bayern in Doha plötzlich Kultstatus. Seit Veröffentlichung durch die TZ wurde es fast 600‘000mal geklickt und Fußballfans aus aller Welt gaben ihre Kommentare dazu ab, die äußerst gemischt waren.

Manche sprachen davon, dass Guardiola durch Leidenschaft besticht, die Übung als solche aber unverständlich erscheint. Auch die Spieler, so heißt es, wirken eher verwirrt. Im Forum von Transfermarkt.de wurde beispielsweise eine kleine Parodie mit Paint kreiert. Andere wiederum sehen hier kein großes Problem, sondern eher an der Umsetzung Guardiolas. Er spricht fünf Minuten lang, lässt die Übung kurz und relativ abgehackt ein paar Mal durchmachen, bevor er sich nach gut acht Minuten schon der nächsten Übung zuwendet.

Und für so manchen ist Guardiola einfach genial, weil er die Kür jedes Trainers beherrscht, nämlich Spielformen in Trainingsübungen zu überführen.

Um diesen Missverständnissen vorzubeugen – oder zumindest einen anderen Einblick zu gewähren – befasst sich dieser Artikel mit diesen Kritikpunkten und mit der Analyse des Trainings selbst. In der dreiteiligen Serie befassen wir uns zuerst mit dem Aufbau der Übung selbst, mit den Zielen der Übung und im letzten Teil explizit mit Guardiolas Art im Bezug aufs Coaching.

Die Ziele der Übung

Das erste Ziel ist das Leiten des gegnerischen Pressings. Dieser Aspekt ist überaus wichtig; wird nicht adäquat auf das gegnerische Anlaufen reagiert, werden Bälle früh verloren. Wenn das eigene Aufbauspiel und somit das gegnerische Pressing auch nicht ordentlich strukturiert wird, können Probleme in der Ballzirkulation entstehen. Darum wollen die Münchner beziehungsweise Guardiola in dieser Übung den Ball zuerst auf der einen Seite zirkulieren lassen. Dadurch locken sie den Gegner an. Er soll zum Verschieben auf die Seite gezwungen werden.

Da alle Mannschaften mit einer ballorientierten Raumdeckung arbeiten, also kollektiv zum Ball hin verschieben, öffnen sich auf der ballfernen Seite Räume. Indem Guardiolas Flügelspieler mit Unterstützung des ballnahen Sechsers und des Außenstürmers in dieser Übung kombinieren und sich den Ball mehrmals zupassen, muss der Gegner verschieben. Dabei soll der Gegner so nah wie möglich zum Ball kommen, damit er ballferne Räume möglichst weit öffnet.

Guardiola will in dieser Übung somit seiner Mannschaft das richtige Timing von Spielverlagerungen beibringen. Die Bewegung des Gegners auf die Seite wird solange provoziert, bis dort eine Gleichzahlsituation ist und großer Druck entfacht wird. Auf der Seite von Lukas Meisner findet man beispielsweise eine schöne Grafik dazu:

Lukas Meisners - 3gegen3

Daraufhin kommen schnelle Pässe auf die andere Seite. Interessant ist, dass der ballferne Flügelstürmer einrückt und dann bei der folgenden Seitenverlagerung hilft.

Gehen wir zur genaueren Erklärung von einer Passstafette von links nach rechts aus. Schweinsteiger eröffnet die Partie, spielt auf Alaba auf den linken Flügel und dieser wird dort von Kroos und Ribéry unterstützt. Nach ein paar kurzen Pässen soll der Ball dann auf die gegenüberliegende Seite zirkuliert werden.

Hierbei gibt es mehrere mögliche Varianten. Der Ball kann zum Beispiel über die Innenverteidiger gespielt werden, obgleich dies nicht die ideale Lösung ist. Sie soll nur gewählt werden, wenn der Gegner sich zu tief zurückgezogen hat.

Die ideale Lösung dürfte eher der Lochpass auf Lahm sein. Alaba würde dann Kroos überspringen, was aus mehreren Gründen vorteilhaft wäre. Dies würde nämlich bedeuten, dass sich ein Spieler (in diesem Fall vorrangig Shaqiri) zu nahe auf die Seite und auf Kroos bewegt hat, womit er den Raum in der Mitte geöffnet hat. Hier ist Lahm anspielbar und dieser kann sofort einen Pass auf Götze oder Rafinha spielen. Anstatt die Zirkulation über die Sechser zu suchen, was wegen Kroos auf Lahm einen Pass mehr bedeutet, würde man mit dieser Möglichkeit direkt die ballferne Seite bespielen.

Es ist auch möglich, dass nicht Alaba, Schweinsteiger oder Kroos den Ball auf Lahm spielen, sondern Ribéry. Wenn Kroos gedeckt wird und weder Schweinsteiger noch Lahm anspielbar sind, dann kann Alaba Ribéry anspielen, der den Pass diagonal nach hinten auf Lahm prallen lässt. Ribéry soll sich darum zuvor in der Schnittstelle des gegnerischen Mittelfelds zwischen Höjbjerg und Martinez positionieren.

Nachdem Lahm den Ball erhält, soll im Idealfall Götze angespielt werden. Auch hier gibt es einen taktischen Grund dahinter. Götze hat sich zuvor nach innen und ebenfalls in eine Schnittstelle bewegt. Dieser Aspekt ist überaus wichtig. Götze befindet sich hier in einer Zwischenposition, in welcher er Lahm einen Anspielpartner im Zwischenlinienraum gibt. Zusätzlich öffnet er mit seiner eingerückten Position Räume für Rafinhas Aufrücken. Dieser soll exakt in jenem Moment starten, indem Lahm den Ball erhält. Zuvor soll er abwarten, um die Absicherung nicht zu gefährden und sich keine Räume zu versperren, sondern mit gutem Timing Dynamik herstellen zu können.

Der Grund, wieso Lahm Götze anspielen lassen soll, damit dieser auf Rafinha ablegen kann, hat zwei Gründe. Ein Grund ist der Raumgewinn; Götze befindet sich hinter der Abwehr in der Schnittstelle und nicht davor, wie Guardiola es mit der Aussage „hier ist nix“ und einer Erklärung über den Zugriff des Gegners in diesem Raum etwas umständlich erklärt.

Es geht um die richtige Positionierung von Götze und Ribéry beim Drehen des Spiels auf die andere Seite. „Hier ist nix“ heißt, im Raum davor ist nichts, keine Passoptionen, sondern nur Druck vom Gegner. Tiefer kann einer der beiden hinter der Abwehr den Ball auf den aufrückenden Außenverteidiger Rafinha ablegen. Danach gibt es Tiefensprints des ballfernen Außenstümers und eben des Außenverteidigers. Aus einer Ballzirkulation mit Überzahl im Mittelfeld entsteht der Durchbruch hinter die Abwehrlinie.

Durchbrechen von Ribery und Rafinha

(Klicken zum vergrößern)

Außerdem passt dieses Ablegen nach Vertikalpässe auf die Seite zu einem von Guardiolas fünf Prinzipien. Der Pass auf Götze mit dessen Ablage auf Rafinha hilft nämlich bei der Findung eines idealen Sichtfelds. Guardiola (und auch die Trainerausbildung) nennen dieses Konzept den „Dritten Mann“. Von hinten wird ein langer scharfer Flachpass gespielt, ein Akteur mit dem Rücken zum Tor lässt zu einem Mitspieler prallen, der sein Sichtfeld nach vorne ausgerichtet und somit eine bessere Übersicht hat.

Die Übung selbst entspricht übrigens ebenfalls der Abbildung zweier weiterer Prinzipien Guardiolas. Eines ist das Konzept des „freien Manns“, wo Spieler durch Ballzirkulation freigespielt werden sollen und ein anderes Konzept ist die „Bewegung des Gegners, nicht des Balles“. Man soll dem Gegner zum Pressing einladen und der Angriff wird auf einer Seite gestartet, um auf der anderen beendet zu werden.  Zusätzlich wird nach der Seitenverlagerung durch die Bewegung Götzes der Raum für Rafinha noch weiter geöffnet, also ein weiterer „freier Mann“.

Bei der Entstehung dieser gesamten Situation auf der ballfernen Außenbahn ist es auch sehr wichtig, dass der Ball nicht nach hinten, sondern durch den gegnerischen Pressingwall gespielt wird. Prinzipiell geht es um die Verhinderung von Rückpässen und dem Vermeiden der Einbindung des Torwarts. Damit wird nicht eine vermeintliche Spielschwäche bei Neuer impliziert (was absurd wäre), sondern dass der Gegner bei einem Rückpass der Münchner aufrücken und höher Druck machen könnte. Auf diese Art und Weise kann der Gegner jedoch nicht aufrücken und es werden offene Räume bespielt. Statt Zurückzuweichen brechen die Bayern also bei passender Umsetzung durch.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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