Die rote Karte – Das Hindernis jedes Matchplans und wie man ihr entgegenwirken kann
Taktik & Theorie 11.September.2013 Leonard Dung 0
Jede Mannschaft sah sich schon damit konfrontiert, mit zehn Mann agieren zu müssen. Diese Zwangslage weckt aber einige Fragen. abseits.at erklärt, welche Optionen sich Trainern bieten.
Nahezu alle Trainer verzichten in Unterzahl auf einen Offensivspieler, wenn sie keinen Rückstand aufholen müssen. Es trifft meistens den zentraloffensiven Mittelfeldspieler im 4-2-3-1-System. Er hat die größte Bewegungsfreiheit, weil er weder an eine Seite gebunden, noch außerordentlich wichtig für die defensive Stabilität ist. Er kann sich grundsätzlich so frei bewegen wie kein anderer Akteur. Daher bieten sich ihm enorme Möglichkeiten, er verkommt jedoch zum Luxus. Deswegen opfert man den „Zehner“. Im 4-3-3 trifft es stattdessen einen zentralen Mittelfeldspieler, in Zweistürmerformationen den zweiten Angreifer. Dadurch ergibt sich normalerweise eine 4-4-1-Formation, wobei auch ein 3-5-1 oder ein 4-3-1-1 möglich wären.
Die primäre Aufgabe besteht folglich darin, das Fehlen des zentralen Ideengebers zu kompensieren. Dafür müssen situativ die Mittelfeldspieler in den Zehnerraum vorstoßen oder der Stürmer sich zurückfallen lassen. Das fordert vielseitige Spieler, die den Anforderungen verschiedener Positionen gewachsen sind. Das gilt nicht nur für das Spiel mit dem Ball, sondern ebenfalls bei gegnerischem Ballbesitz. Um zu verhindern, dass die eigene Mannschaft in der eigenen Hälfte eingeschnürt wird, müssen die Akteure Pässe antizipieren und flexibel ihre Räume verlassen, um den Ball zu erobern. Dafür wird eine gute Abstimmung benötigt. Alternativ kann man natürlich dem Kontrahenten den Ball überlassen, um sich aufs Verteidigen zu fokussieren. Ob das Sinn ergibt, hängt von den eigenen Ambitionen sowie der verbleibenden Spielzeit ab.
Ein Rückstand zwingt hingegen zu kreativeren Lösungen. Mit zehn Spielern ist es deutlich schwieriger, die Balance zwischen Offensive und Defensive zu wahren. Wenn der Trainer auf diese Situation vorbereitet ist, kann es aber sogar passieren, dass der Platzverweis die Taktik verbessert und das Team beflügelt.
Der Schlüssel dazu ist einerseits natürlich ein psychologischer Faktor. Wenn ein Spieler das eigene Team verlassen muss, fühlen sich die anderen womöglich berufen, in die Bresche zu springen, anstatt sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Aus der taktischen Perspektive ist es essentiell, den fehlenden Akteur durch eine variablere Rollenauslegung zu kompensieren. Das mündet darin, dass einzelne Spieler deutlich größere Räume beackern müssen als üblich. Was zunächst negativ klingt, kann sich jedoch zum Positiven wenden, wenn dies beim Kontrahenten Probleme beim Übergeben verursacht.
In den letzten Saisonen finden sich dafür zwei gute Beispiele. Zum einen das 1:1 Remis zwischen dem FC Valencia und Bayern München am 21.12.2011. Valencia begann dort mit einer 4-4-1-1-Ausrichtung, wobei Banega sich im offensiven Mittelfeld sehr hoch positionierte, wodurch es Valencia nicht gelang, eine Verbindung zwischen dem hinteren Achterblock und den vorderen Zwei zu schaffen.
Als der Schiedsrichter Barragan des Feldes verwies, stellte Valencia um. Der neue Rechtsverteidiger hieß Feghouli und nahm eine Doppelrolle ein, weil er extrem offensiv agierte. Die nominellen Flügelspieler rochierten permanent ins Zentrum. Daher entstanden neue Verbindungen und der eigentliche Nachteil wurde in einen Vorteil umgewandelt.
Das zweite Beispiel ergab sich in der Partie zwischen der Fiorentina und dem AC Mailand am achten April dieses Jahres. Im Aufeinandertreffen zweier ähnlicher Formationen neutralisierte das kampfstarke Mittelfeld des AC Mailand die normalerweise ballsicheren Mannen der Fiorentina. Beim Stand von 0:1 sah ihr Innenverteidiger Tomovic die rote Karte.
Anstatt sich auf das konventionelle 4-4-1-System zu besinnen, schickte Montella mit Romulo einen kampfstarken zentralen Mittelfeldspieler aufs Feld. Fortan ordnete sich die Fiorentina in einem extrem ungewöhnlichen und sehr fluiden System an, das man am ehesten als 4-3-2-0 deklarieren könnte. Durch die zwei Stürmer, die ständig zwischen den Außen und dem Zentrum pendelten, kontrollierten sie den Ball, was es ihnen ermöglichte, über 50 Minuten in Unterzahl spielend, nicht einzubrechen. Nachdem Milan sie durch das 0:2 schockte, revanchierten sie sich jedoch und erreichten ein 2:2. Nicht verschweigen darf man allerdings, dass letztlich zwei Elfmeter das Ergebnis bescherten.
Eine andere Idee lautet, zu einer Dreierkette zu wechseln, falls dringend Tore erzielt werden müssen. Das klingt zunächst kontraproduktiv, schließlich opfert man somit einen anderen Akteur für einen dritten Innenverteidiger, obwohl die Mehrheit nur mit einem Zentrumsstürmer aufläuft. Eine Option wäre, davor mit einem defensiven Mittelfeldspieler, einem Stürmer und zwei offensiven Mittelfeldspielern zu agieren. Letztere würden sich besonders weitläufig bewegen, da sie von einer Dreierkette abgesichert wären. Zudem könnten die Außenverteidiger die linke Seite alleine beackern, wodurch man sich effektiv zwei Flügelspieler sparen könnte. Alternativ könnten selbst die Innenverteidiger situativ vorstoßen, zumal sich die offensiven Mittelfeldspieler gelegentlich tiefer anbieten würden. Durch diese unkonventionellen Mechanismen ließe sich der Gegner überraschen. Voraussetzung für dieses System wären, wie bei jeder Dreierkette, technisch gute Innenverteidiger und laufstarke Flügelspieler.
Leonard Dung, abseits.at
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