Seit jeher muss ein (zentraler) Mittelfeldspieler sowohl die defensiven und als auch die offensiven Elemente des Fußballspiels beherrschen. Im Vergleich zu früher, als man... Die Wechselwirkungen verschiedener Sechsertypen am Beispiel Borussia Dortmund

TaktikSeit jeher muss ein (zentraler) Mittelfeldspieler sowohl die defensiven und als auch die offensiven Elemente des Fußballspiels beherrschen. Im Vergleich zu früher, als man ihn lediglich „Läufer“ nannte, spricht man heutzutage „Sechsern“, „Achtern“, „Box-to-Box-Spielern“ oder „tiefliegenden Spielmachern“. Am Beispiel Borussia Dortmund erklärt abseits.at die Wechselwirkungen dieser verschiedenen Spielertypen.

Das Anforderungsprofil an einen modernen zentralen Mittelfeldspieler hat sich im Laufe der Zeit zusehends verändert und verkompliziert. Idealerweise vereint er die physischen mit den technischen Komponenten. Er soll sowohl zweikampfstark sein, als auch über ein sicheres Passspiel verfügen – idealerweise so, dass er das Spiel aus der Tiefe lenken kann. Hinzu kommen hohe taktische Anforderungen, da er aufgrund seiner zentralen Position quasi zu jeder Zeit ins Spielgeschehen entscheidend involviert ist und eine Fehlstellung schwerwiegende Folgen haben kann. Ein einzelner Spieler kann all diese Aufgaben kaum erfüllen, weswegen die meisten Trainer auf eine zweifache Besetzung des Zentrums – Stichwort: Doppelsechs – zurückgreifen.

Von der Raute zur Doppelsechs

Auch in dieser Hinsicht eignet sich der BVB als gutes Beispiel. Lange agierten die Dortmunder aus einer 4-4-2-Rauten-Grundformation heraus, die sich dadurch charakterisiert, dass das Zentrum nicht von zwei Spielern abgedeckt wird. Rücken die Halbspieler raus um auf den Seiten zu helfen, muss der verbliebene Spieler einen großen Raum alleine abdecken; bleiben sie hingegen eng, können die Außenbahnen überladen werden.

Der Umstieg erfolgte notgedrungen. Im Oktober 2009 wurde bei Tamas Hajnal, der an der Spitze der Mittelfeldraute den Spielmacher gab, ein Bänderriss im Sprunggelenk diagnostiziert. Da der Kader äußert dünn besetzt war, entschloss sich Trainer Jürgen Klopp die Formation für das Spiel gegen den VfL Bochum – damals noch mit Christian Fuchs – umzustellen. Was damals als Notlösung galt, hat sich bis heute zur flexiblen Allzweckwaffe entwickelt.

Die Sechser-Achter-Kombination

Die erste nominelle BVB-Doppelsechs bestand aus Sven Bender und Nuri Sahin. Die beiden sind ein perfektes Beispiel für die klassische Passer-Kämpfer-Arbeitsteilung. Der laufstarke Bender stopfte Löcher, bestritt viele Zweikämpfe und eroberte so viele Bälle, die er dann aufgrund seiner vergleichsweise überschaubaren Technik zu Nebenmann Sahin spielte. Der Türke war der primäre Aufbauspieler, der das Spiel aus der Tiefe lenkte. Er sorgte für präzise Seiten- und Tempowechsel, konnte seine Mitspieler mit vertikalen Pässen und Diagonalbällen hinter die gegnerische Abwehr schicken.

Hier sieht man die typischen Passschemen der beiden. Während Bender (6) in erster Linie risikoarme Kurzpässe spielt – vorzugsweise auf den nahen Außenverteidiger – sind die Zuspiele von Sahin (18) stärker nach vorne gerichtet. Doch nicht nur seine Pässe haben eine größere Reichweite, er spielt sie auch in höheren und tieferen Position häufiger als Bender. Dessen Qualitäten sind in erster Linie im Spiel gegen den Ball zu finden.

In der obigen Zweikämpfe-Grafik erkennt man, dass der Ex-Löwe im Defensivspiel deutlich höher agiert als Sahin, der in der Rückwärtsbewegung den absichernden Part gibt. Bender übt direkten Druck auf den Gegenspieler aus indem er attackiert, Sahin blockiert durch intelligentes Positionieren etwaige Anspielstationen. Dementsprechend resultieren seine Ballgewinne mehr aus abgefangenen Pässen. Will man diese Kombination mit den eingangs erwähnten und häufig gebrauchten Begriffen deuten, so würde man Bender als Sechser und Sahin als Achter sehen.

Doppelpendel statt Doppelsechs

Als Sahin im Sommer 2011 zu Real Madrid wechselte, musste der BVB seine Spielphilosophie etwas anpassen, denn bis dahin lastete das gesamte Aufbauspiel auf den Schultern von Sahin. So schaltet sich seitdem Innenverteidiger Mats Hummels genauso mehr ins Offensivspiel ein wie die Außenverteidiger oder der Zehner. Aber auch im Zentrum machte sich der Wechsel bemerkbar. Anstatt des oben ausgeführten Passer-Kämpfer-Schemas kristallisierte sich eine balancierte Besetzung heraus. Neben Neuzugang Ilkay Gündogan (8) etablierte sich Sebastian Kehl (5). Auch hier wollen wir zunächst auf die Passverteilung blicken.

Der Kapitän gilt landläufig als ähnlich defensiv und destruktiv wie Bender. Allerdings sieht man in der obenstehenden Grafik, dass er auch auf das Aufbauspiel einen großen Einfluss hat. Während man beim Duo Sahin-Bender eine klare Trennung erkennen konnte, sind Gündogan und Sahin nahezu gleichwertig. Sie bearbeiten gleichermaßen die Breite, gehen beide mit nach vorne und kippen abwechselnd nach hinten ab um die erste Anspielstation für die Innenverteidigung zu sein. Die weitere Angriffsstruktur kann jedoch in den jeweiligen Fällen abweichen, da Gündogan lieber und präziser zum langen Ball greift.

Auch die Defensivaktionen der beiden sind ausgeglichener, wenngleich Gündogan einen kleinen Tick offensiver an die Sache rangeht als Kehl, der weniger aggressiv zu Werke geht. Dennoch ermöglicht seine strategische Spielweise eine weitere Dimension und macht das Spiel des BVB schwerer berechenbar, da er und Gündogan – im Stile eines Box-to-Box-Spielers – abwechselnd nach vorne pendeln können.

Das passlastige und ballsichere Duo

Im letzten Winter kehrte Sahin schließlich – zunächst auf Leihbasis – wieder in den Ruhrpott zurück. Dass man mit dieser Verpflichtung nicht wieder schlagartig das flexible Spiel, mit dem man einen neuen Punkterekord in der Bundesliga (der jedoch nur eine Saison hielt) aufgestellt hatte, zugunsten der alten Ausrichtung verwerfen werde, war von vornherein klar. Vielmehr sah man darin eine weitere Möglichkeit, die Flexibilität zu erhöhen, auf die man in geeigneten Phasen zurückgreifen kann.

Eine naheliegende Option war es, Sahin und dessen vermeintlichen Nachfolger Gündogan zusammen aufzustellen. Damit vereinte man vor allem die offensiven Vorteile, wie man aus der obigen Grafik erkennen kann. Die beiden bieten sich gleichermaßen im Spielaufbau an und man kann je nach Situation auf die lange Reichweite von Sahin (18) oder das dynamische Spiel von Gündogan (8) zurückgreifen. In der Defensive erkennt man die erwartete Aufteilung.

Gündogan als jagender, nach vorne preschender Akteur, Sahin übernimmt den absichernden Part. Manche mögen meinen, eine derartige Besetzung sei eine Bruchstelle im Defensivspiel, was jedoch gerade durch die Tatsache, dass die beiden die gleichen Aufgaben wie in den obigen Szenarien übernehmen, der Wind aus den Segeln genommen wird. Ein Trade-off zwischen Flexibilität im Aufbau und Zweikampfstärke im Spiel gegen den Ball ist jedoch unvermeidlich. Eine herkömmliche Bezeichnung für dieses Duo wäre „Doppelacht“.

Jäger und Sammler

Zu mehr Komplikationen als dem simplen Trade-off kann es bei der Vermischung der beiden Spielertypen kommen. Auf spielverlagerung.de fand MR die passende Metapher, indem er sie in jagende und sammelnde Typen unterteilte. Jäger wären im BVB-Kader Bender und Gündogan, Sammler Sahin und Kehl, was auch die beiden jüngsten Meistertitel in ein verständliches Licht rückt. Stellvertretend für dieses Verhalten soll das Spiel der Borussen bei Bayer Leverkusen dienen, in dem Klopp auf das dynamische Duo Bender-Gündogan setzte.

Man sieht hier, dass Gündogan (8) im Passspiel einen großen Aktionsradius hat, allerdings auch verhältnismäßig wenig Pässe spielte. Zusammen mit der Tatsache, dass Bender (6) auf das tiefe Aufbauspiel kaum Einfluss hatte, führte das dazu, dass sich im Mittelfeld ein Loch auftat. Man beachte wie wenige Pässe im Bereich des Mittelkreises gespielt wurden. Dieses Manko musste deshalb anderwärtig kompensiert werden. So ließ sich Mario Götze von der Zehnerposition immer wieder nach hinten fallen um den Ball über Kombinationen oder Dribblings nach vorne zu bringen – anders als bei den anderen Szenarien.

Der Vorteil dieser Variante ist augenscheinlich: man kann noch mehr Druck gegen den Ball entwickeln, da sowohl Bender als auch Gündogan sehr pressingkompetent sind. In der obigen Grafik erkennt man dies an der hohen Zweikampffrequenz um den Mittelkreis herum. Da der BVB in erster Linie über das Pressing und das Spiel gegen den Ball den Zugriff erlangen will, ist es nachvollziehbar, dass Klopp auf diese Variante – entgegen des oben genannten Nachteils –  auch im Champions-League-Finale zurückgriff. Das Duo Sahin-Kehl würde zwar im Spielaufbau Dominanz ausstrahlen, jedoch würde man im Zentrum physische Abstriche machen müssen.

Die klassische Doppelsechs

Einer wortwörtlichen „Doppelsechs“ würde im Beispiel Borussia Dortmund die Besetzung Bender und Kehl am nächsten kommen. In der allgemeinen Wahrnehmung genießt ein solches Duo – vor allem hierzulande – keinen guten Ruf, da es ein unattraktives Offensivspiel suggeriert und manche soweit gehen, dass sie meinen, man kann damit nicht erfolgreich sein. Die Realität liefert jedoch durchaus positive Beispiele, wie etwa den 1:0-Auswärtssieg des BVB 2011 gegen Bayern München.

In der Defensive rieben sich Bender und Kehl enorm auf, unterstützen die Außenspieler gegen das stake Flügelspiel der Münchner, dafür kam offensiv nicht mehr rum als Sicherheitspässe auf die Seiten. Man sieht, wie in den Fällen zuvor gilt auch hier, dass man einen Trade-off eingehen muss, solange man keinen Spieler hat, der im Stile einer eierlegende Wollmilchsau alle Anforderungen alleine erfüllt.

Alexander Semeliker, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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