Ein Konzept für die Offensive: Juego de Posicíon
Taktik & Theorie 18.November.2014 Rene Maric 6
Das „Juego de Posicíon“ ist hierzulande weitestgehend unbekannt. In Spanien und auch in den Niederlanden stellt es für viele Trainer aber ein spielphilosophisches Ideal dar, welches nur wenige Trainer coachen können. Aber im deutschsprachigen Raum wird das „Positionsspiel“ häufig anders und simpler definiert. Dadurch gehen viele wichtige Aspekte verloren. Doch was ist das „Juego de Posicíon“ überhaupt?
Ein Konzept für die Offensive
Beim Juego de Posicíon geht es darum dem eigenen Offensivspiel Richtlinien in die Hand zu geben und innerhalb eines strukturierten Schemas zu agieren. Das Spielfeld wird hierfür in bestimmte Zonen unterteilt; meistens in einem ganz eigenen Schema, wobei die meisten das Feld mit vier vertikalen Linien und zusätzlich einigen horizontalen Linien aufteilen. Hier sieht man ein Beispiel von Pep Guardiola und der Säbener Straße:
Innerhalb dieser Zonen gibt es für den dort befindlichen Spieler bestimmte Aufgaben und Verantwortungen, die er je nach Spielphase erfüllen muss. Doch das Besondere an diesem Konzept ist, dass die Optionen durch den Ball vorgegeben werden. Befindet sich der Ball links außen und auf Höhe des Mittelfelds, müssen gänzlich andere Zonen besetzt werden als bei einer Position des Balles halbrechts vor dem eigenen Strafraum. Somit hat das gesamte Kollektiv durchgehend ballorientierte Verschiebeaufgaben in eigenem Ballbesitz, die aufeinander so abgestimmt sind, dass sie dem eigenen Team möglichst viele Passoptionen und effektive Laufwege geben, während sie gleichzeitig den Gegner vor Probleme stellen sollen. Deswegen stellen in diesem System die Kurzpässe, Seitenwechsel und generell die Rotation der Ballposition ein wichtiges Werkzeug dar, dass die komplexen positionellen Aufgaben definiert. Das kann aber zu Problemen führen.
Positionelle Dogmatik als Folge?
Diese Grundidee wird z.B. auch von Louis van Gaal genutzt. Ihm wird aber auch darum eine hohe Dogmatik und systemische Starrheit vorgeworfen. Das geht jedoch an der Sache vorbei. Das Ziel des „Juego de Posicíon“ (oder „Positiespel“) ist es, dass die Zonen und die dazugehörigen Aufgaben flexibel und von unterschiedlichen Spielern besetzt werden. Meistens sind es Probleme in der Umsetzung im Training oder bei der Vermittlung und dem Verständnis des Spielers. Positionelle Starrheit und ein überaus dogmatisch wirkender Spielstil entsteht nämlich dann, wenn die Spieler nicht wissen, wann sie die Positionen verlassen sollen oder wenn sie sich die Aufgaben auf der anderen Position nicht zutrauen.
Auch hier gibt es Richtlinien. Prinzipiell sollen Dreiecke gebildet werden, um die Kurzpasskombinationen aufrechtzuerhalten. Der Ballführende soll immer zwei oder im Idealfall drei (Rauten- statt Dreiecksbildung) Anspielstationen in unmittelbarer Nähe haben. Von diesen wiederum erstrecken sich weitere Anspielstationen und es soll eine im Kollektiv über alle Positionen miteinander verbundene Organisation entstehen. Die Dreiecke entstehen dadurch, dass sich nie mehr als drei Spieler in einer horizontalen und nie mehr als zwei Spieler in einer vertikalen Linie befinden dürfen. Bewegt sich ein Spieler auf dieselbe Linie wie ein anderer, um sich für einen Pass anzubieten, muss der andere auf eine andere Linie ausweichen.
Dadurch kann der Gegner dann ausgespielt oder angelockt werden, woraufhin eine Verlagerung folgt. Bei den Bayern sieht man das zum Beispiel auf dem Flügel; steht Robben breit, dann rückt der Außenverteidiger ein. Schiebt jedoch der Außenverteidiger zum Flügel, dann rückt der Flügelstürmer in Richtung Halbraum ein. Deswegen haben der ballnahe Achter oder der Verteidiger dahinter immer mindestens zwei Anspielstationen.
Die Passmuster, die Formation und die Aufgaben der jeweiligen Spieler, die in Ballnähe sind oder die den Ball haben, variieren aber je nach Trainer und seiner Spielphilosophie. Somit sind neben der positionellen Besetzung und der Kurzpässe auch der Ballbesitz und die Veränderung der Ballposition entscheidend. Auch das kann zu Dogmatik führen.
Der Ballbesitz als Werkzeug: Ballbesitz ist keine Philosophie
Der fundamentale Grund hinter dem meist eher hohen Ballbesitz des „Juego de Posicíon“ ist, dass die Ballrotation ein Werkzeug ist, um den Gegner zu öffnen und auszuspielen. Man lässt den Gegner verschieben, lockt ihn an und öffnet dadurch bestimmte Räume oder die Schnittstellen, um Raumgewinn erzielen zu können. „Dominanz durch Ballbesitz“ ist also keineswegs eine spanische oder niederländische Spielphilosophie, sondern ein Werkzeug des „Juego de Posicion“. Er dient nicht dem Selbstzweck, sondern soll den Gegner so umformen, dass man die eigenen Positionsangriffe durchbringen kann. Nur wenn das nicht funktioniert, dann lässt man den Ball kurzzeitig ohne Angriffsintention zirkulieren. Man formiert sich neu, formt den Gegner wieder um und greift dann mit einem neuen Versuch um. Allerdings gibt es auch eine Pervertierung dieses Grundgedankens, der für enorme Kritik sorgt.
Der Ballbesitz als Philosophie und als Konsequenz: Spaniens Tikinaccio als Missverständnis
Wenn der Ballbesitz zu einer Philosophie wird, dann gibt es Probleme. Die spanische Nationalmannschaft unter del Bosque hat z.B. keineswegs im gesamten Kollektiv das „Juego de Posicion“ umgesetzt, dennoch hatten die Spanier immer enormen Ballbesitz. Dies wurde insbesondere 2010 und 2012 vorrangig als Defensivmittel genutzt. Dieses „Tiki Taka“ spiegelt aber nicht die Grundintention des Juego de Posicíon wieder. Stattdessen kann eine solche Spielweise sogar praktiziert werden, wenn man kein Positionsspiel nutzt.
Allerdings sind Mannschaften, welches dieses Konzept praktizieren, durchaus anfällig für zu großen und inneffektiven Ballbesitz. Doch auch hier ist es kein taktisches Mittel mehr, sondern eine Konsequenz mangelnder Effektivität des Positionsspiels: Man bringt keine Angriffe durch, muss immer wieder neu umbauen und wird dadurch träge, was zu absurden Ballbesitzzahlen führt.
Das sollte allerdings nicht zur Kritik am Positionsspiel selbst führen; dies ist nämlich ein neutrales Konzept, das viele Vorteile birgt und keineswegs einer bestimmten Philosophie folgt.
Fazit
Wie man sehen kann ist das Juego de Posicíon ein sehr interessantes Konzept für das Offensivspiel, was in vielen anderen Ländern häufig vernachlässigt wird. Jeder Trainer hat seine eigene Anwendung dieser grundlegenden Mechanismen und kann dadurch innerhalb dieser Struktur der jeweiligen Mannschaft ganz eigene Muster einhauchen. Die Grundideen sind übrigens auch gegen den Ball nutzbar: Roger Schmidt nutzt eine ähnliche Zoneneinteilung wie Guardiola, die dann in der Defensivarbeit als Orientierungspunkte dienen.
Das Coaching davon ist natürlich komplex. Schon im Vorhinein muss sich der Trainer über die Auswirkung der Ballposition auf die Struktur des Spiels bewusst werden, die Spieler gut kennen und anhand ihrer Eigenschaften die genaue Formation, die Abläufe und Aufgaben sowie das Coaching selbst planen. Verbales Coaching, heruntergebrochene Situationsübungen, die Linien als Orientierungspunkte und viele Spielformen werden dafür genutzt.
René Maric, www.abseits.at
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