Vor wenigen Jahren noch ungewöhnlich, heute eine Selbstverständlichkeit: Der Spieler am „falschen“ Flügel. Was bewegt ihn eigentlich dorthin? Eine taktische Betrachtung, die uns von... Falsche Seite, mehr Effizienz – das Phänomen „falscher Flügel“

Vor wenigen Jahren noch ungewöhnlich, heute eine Selbstverständlichkeit: Der Spieler am „falschen“ Flügel. Was bewegt ihn eigentlich dorthin? Eine taktische Betrachtung, die uns von Arjen Robben zu Christopher Drazan und Trimmel führt.

Es ist nicht seine Saison, die von 2010/2011. Als großes Talent verschrien, scheint Christopher Drazan an Ort und Stelle stehen zu bleiben, weiterentwickelt hat er sich kaum. Ein Stammplatz ist in weite Ferne gerückt, es stellt sich die Frage ob Drazan für Rapid gut genug ist. Natürlich, Flanken schlagen kann er sehr gut, schnell ist er auch. Ansonsten bleibt da nicht viel. Von seinen defensiven Qualitäten wollen wir gar nicht reden, und wie sieht es offensiv aus? Immer der gleiche Schmäh: Die Körpertäuschung und dann ab nach links zur Flanke. Wieso nicht einmal nach rechts? Auch Christopher Trimmel tut sich schwer. Seine Stärke ist die Schnelligkeit, aber auch sein Antritt scheint zu berechenbar, immer probiert er es in ähnlicher Manier über den rechten Flügel.

Positionswechsel

Eine Saison später. Für Christopher Drazan und Christopher Trimmel ist nicht nur die Zeit vorangeschritten, auch sie selbst haben einen Schritt vorwärts gemacht, oder sagen wir lieber seitwärts. Die beiden jungen Rapid-Spieler sind unter dem neuen Trainer Peter Schöttel mittlerweile Stammspieler. Schöttel setzt in seinem 4-2-3-1 eben auf schnelle Flügel. Ideal für die beiden, die durch die Mittelfeldlinie dahinter defensiv abgesichert und durch das Zentrum kreativ ergänzt werden. Eigentlich ist es die Position des Flügelstürmers aus dem niederländen 4-3-3, die Drazan links und Christopher Trimmel rechts einnehmen. Die beiden bleiben allerdings nicht auf ihren Positionen, denn Peter Schöttel setzt bei seinen Flügeln nicht nur auf Schnelligkeit, sondern auch auf Variabilität. Deshalb tauschen sie während des Spiels schon einmal die Positionen. Ein Drazan rechts, ein Trimmel links? Auf den ersten Blick schwer vorstellbar, vor allem Drazan, aber ebenso Trimmel waren vor dieser Saison nicht gerade als beidfüßig bekannt. Wieso spielen sie dann auf dem „falschen“ Flügel?

Die Rückkehr der Flügelstürmer

Werfen wir einen Blick in die großen Ligen Europas, der „falsche“ Flügel ist natürlich kein österreichisches Phänomen. Arjen Robben war mit Sicherheit nicht der erste, schon Jahre zuvor hat man sich damit probiert, und dennoch hat er der „falschen“ Besetzung Popularität verschafft. Seit dem damaligen Bayern-Trainer Louis van Gaal spielt der linksfüßige Robben nämlich auf dem rechten Flügel und das ebenso in einem 4-2-3-1-System. Ein Zufall? Gewiss nicht, im alten 4-4-2 wurde der klassische Flügelstürmer durch einen defensiveren äußeren Mittelfeldspieler mit weniger Freiheiten ersetzt. Im 4-2-3-1 werden diese Freiheiten wieder ermöglicht, der Flügelstürmer ist, wenn auch meist in etwas defensiverer Form, zurück. Dadurch, dass man dabei mit nur einer richtigen Spitze spielt ist auch die Torgefährlichkeit der Flügel gefragt.

Torgefahr von der Seite

Und diese Torgefährlichkeit besteht dann, wenn Robben vor dem Strafraum von seiner rechten Seite nach innen zieht, um dann mit seinem stärkeren linken Fuß auf das Tor zu schießen. Wir alle kennen die Bilder, Robben hat mit genau solchen Toren wesentlich zum Einzug der Bayern ins Champions League-Finale 2010 beigetragen, auch bei der anschließenden WM in Südafrika war er damit im niederländischen Dress erfolgreich. Erfolgreich hat sich auch Lionel Messis Ausflug auf die rechte Seite gestaltet, mittlerweile ist seine Rolle ja die des „falschen“ Stürmers oder gar „richtigen“ Spielmachers. Jedenfalls hat auch der aktuelle Weltfußballer, Robben gleich, ein Tor nach dem anderen geschossen. Was Robben auf rechts tut und Messi getan hat, das tut Cristiano Ronaldo auf links. Beispiele finden wir mittlerweile genügend, der „falsche“ Flügel ist längst etabliert.

Am „falschen“ Fuß erwischt

Etabliert hat er sich allerdings nicht nur auf Grund des starken Fußes auf dem „falschen“ Flügel, sondern auch deshalb, weil der Flügelstürmer den Verteidiger dadurch oft am „falschen“ Fuß erwischt. Denn macht ein Linksfuß, wie es beispielsweise Robben ist, vor dem linksfüßigen Linksverteidiger einen Hacken nach links, dann hat Robben ihn tatsächlich am „falschen“ Fuß erwischt. Das erschwert dem Verteidiger ein Tackling und erleichtert dem Flügelstürmer das Dribbling. Außerdem werden damit für den aufrückenden Außenverteidiger Räume frei.

„Räume in der Diagonalen“

Der englische Taktikexperte Jonathan Wilson sieht einen weiteren Grund dafür, dass der „falsche“ Flügel zum Trend geworden ist:

„Und dann braucht ein Außenstürmer ja auch noch Platz für schnelle Antritte. Ein Außenverteidiger, der eng an einem Außenstürmer steht, lässt diesen nicht parallel zur Außenlinie beschleunigen. Indem der Stürmer aber nach innen auf seinen stärkeren Fuß zieht, öffnet er Räume in der Diagonalen. Das ist etwas das Messi besonders gut kann.“

Genauso hat Messi dann häufig einen gefährlichen Lochpass in den Strafraum gespielt, nicht selten ist daraus ein Tor resultiert.

Unberechenbarkeit

Kommen wir zurück zum Beginn, zurück zu Rapids Flügelzange. Räume in der Diagonalen – Das nützen Drazan und Trimmel noch nicht. Aber sie sind für die Verteidiger schwer zu stoppen, wenn sie den Verteidiger am falschen Fuß erwischen. Beide versuchen es nach dem Haken nach innen mit einem Schuss oder einer Flanke, Drazan sorgt damit häufig für Gefahr. Und dass sie mit ihrer Unberechenbarkeit schon erfolgreich sind, hat unlängst Trimmel bewiesen,  der mit einer solchen Hereingabe von der linken Seite das 1-0 Atdhe Nuhius gegen die Admira eingeleitet hat. Und ist Trimmel am richtigen Flügel, dann ist er mit seinem „falschen“ Fuß sehr treffsicher, wenn er nach innen zieht und mit seinem erstarkten linken Fuß auf das gegnerische Tor schießt. Alle seine vier Saisontore hat Trimmel genauso erzielt.

So falsch ist er also gar nicht, der Spieler am „falschen“ Flügel. Seine Etablierung bestätigt die allgemeine Entwicklung: Die Spieler müssen heutzutage vielseitig einsetzbar sein, um die Offensive unberechenbarer zu gestalten. Denn die Defensive muss das auch, sie wird auf diese Entwicklung reagieren.

Emanuel Van den Nest, abseits.at

Emanuel Van den Nest

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