Immer noch unterschätzt: Kopfverletzungen
Taktik & Theorie 23.Dezember.2020 Ral
Leider werden Kopfverletzungen und Gehirnerschütterungen im Fußball immer noch unterschätzt. Das kann fatale Folgen für die Gesundheit und das weitere Leben der Spielerinnen und Spieler haben. In diesem Bereich herrscht also akuter Handlungsbedarf. Nun soll eine zusätzliche Auswechselmöglichkeit die Akteure besser schützen.
Es war sicher keine Szene für schwache Nerven. Im Bundesligaspiel vom 13. Dezember zwischen dem FC Augsburg und dem FC Schalke 04, blieb Angreifer Mark Uth (Schalke) nach einem Zweikampf mit Felix Udoukhai auf dem Rasen liegen. Uth wurde zuvor von seinem Gegenspieler mit dem Fuß am Kopf getroffen.
Nach einer langen Behandlung, wurde der 29-Jährige schließlich abtransportiert und in ein Krankenhaus gebracht. Diagnose: Gehirnerschütterung. Zum Glück konnte Uth das Krankenhaus am nächsten Tag schon wieder verlassen.
Der Fall Uth hat ein Thema zurück in das Licht der Öffentlichkeit geholt, über das im Fußball scheinbar eher ungern gesprochen wird: Kopfverletzungen. Leider werden diese noch immer nicht ernst genug genommen. Gerade männliche Spieler werden mitunter gar besonders gefeiert, wenn sie nach einem Zusammenstoß mit den Köpfen das Spiel wieder aufnehmen.
Dabei sind Kopfverletzungen wirklich nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Mediziner warnen in diesem Zusammenhang vom sogenannten „Second Impact Syndrom“, eine Folge davon, wenn Spielerinnen oder Spieler mit einer Gehirnerschütterung weiterspielen und so einen zweiten Schlag kassieren. Ein Hirnödem oder Hirnblutungen könnten die – im schlimmsten Fall tödlichen – Folgen sein.
Gerade angesichts dieses Wissens ist es mehr als unverständlich, warum Spielerinnen und Spieler für ihre vermeintliche toughness gerühmt werden, wenn sie nach einem Schlag gegen den Kopf auf den Rasen zurückkehren. Hier braucht es eine tiefgreifende strukturelle Änderung der vorherrschenden Verhältnisse.
Leichter gesagt als getan, wie der Fall des belgischen Profis Jan Vertonghen zeigt. In einem Artikel des englischen Guardian, erzählt der heutige Spieler von Benfica Lissabon, dass er in der gesamten letzten Saison mit den Folgen einer Gehirnerschütterung zu kämpfen hatte. „Es hat mich acht bis neun Monate beeinträchtigt“, sagte der ehemalige Profi von den Tottenham Hotspur. „Ich hatte aber nur noch ein Jahr Vertrag und hatte das Gefühl, dass ich spielen muss, um mich für andere Vereine zu empfehlen.“
Auskurieren oder durchhalten und so die Karriere nicht riskieren? Vertonghen hatte sich für letzteres entschieden; und dass obwohl er nach eigener Aussage dauerhaft unter Kopfschmerzen und Schwindel litt. Mit Sicherheit kein Einzelfall im knallharten Business Profifußball. Die Folgen eines solchen Denkens können fatal sein.
Wie eine Studie der Universität Glasgow von 2019 zeigt, erkranken Profifußballer dreimal häufiger an neurodegenerativen Krankheiten (u.a. Alzheimer oder Parkinson), als der Rest der Bevölkerung. Trotz dieser Fakten, werden Spielerinnen und Spieler immer noch nicht ausreichend geschützt. Im American Football, einer deutlich brutaleren Sportart, kommt es ebenfalls häufig zu Gehirnerschütterungen. Dort werden die Profis nach einem Schlag gegen den Kopf aber von teamunabhängigen Ärzten begutachtet. Viel zu oft wurden wichtige Spieler von den eigenen Teamärzten als spieltauglich erklärt, obwohl sie besser nicht mehr auf das Feld zurückgelehrt wären. Der Erfolg steht im Profisport eben über allem.
American Football ist so zumindest ein stückweit sicherer für die Akteure geworden. Auch im Fußball soll sich in diesem Bereich nun etwas tun. Das für die Regeln im Weltfußball zuständige Gremium IFAB, hat am 16. Dezember angekündigt, eine Testphase starten zu wollen, bei der es ab Jänner 2021 eine zusätzliche Auswechselmöglichkeit bei Kopfverletzungen geben soll.
Laut dem IFAB könnte so verhindert werden, dass Spielerinnen und Spieler zum Durchhalten gezwungen werden und einen weiteren Schlag gegen den Kopf riskieren. Zudem werde der Druck einer schnellen Entscheidung auf das medizinische Personal verringert, so das IFAB. In welcher Liga die Testphase stattfinden soll, ist aber noch unklar.
Eine zusätzliche Auswechslung bei einer Gehirnerschütterung wäre zumindest einmal ein erster Schritt. Dabei genau so wichtig: Die Institutionen im Profifußball erkennen das Thema endlich als Problem an.
Ral, abseits.at
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