Ein Spiel so roh wie im Stadion? Ohne Kommentator? Undenkbar. Ausgewählte Menschen kommentieren seit jeher das Fußballspiel, mal emotionaler, mal nüchterner. Wir werfen einen... Kommentatoren im Fußball – eine Stilkritik

Rainer Pariasek, ORF, Sport am SonntagEin Spiel so roh wie im Stadion? Ohne Kommentator? Undenkbar. Ausgewählte Menschen kommentieren seit jeher das Fußballspiel, mal emotionaler, mal nüchterner. Wir werfen einen Blick auf den Typus Kommentator und eine mögliche Zukunft der Fußballübertragung.

Kommentatoren sind auch nur Menschen. „Da fehlte der letze Wille“ oder „Sie sind heute nicht torgeil genug“ sind Plattitüden, die seit langer Zeit zum Standardinventar eines Fußballkommentators gehören. Sie sind rein subjektiv und schwer bis gar nicht durch Statistiken oder Daten zu überprüfen. Selten verliert eine Mannschaft ein Spiel allein infolge von „fehlender Bissigkeit“. Ein Sieg oder eine Niederlage lassen sich häufig unter taktischen Gesichtspunkten begründen, sobald man tiefer in die Materie eintaucht.

Ein solches Zustandekommen ist rückwirkend nach einem Spiel natürlich einfacher zu erklären, allerdings zeichnen sich viele Dinge auch schon während eines Spiels ab. Gerade Statistiken lassen eine Vielzahl von Erkenntnissen zu, dennoch wird beispielsweise die Ballbesitzstatistik dem Zuschauer lediglich als Indiz der „drückenderen“ oder „überlegenden“ Mannschaft verkauft. Mit wie viel Aussagekraft eine Statistik an den Zuschauer gelangt, bestimmt der Kommentator.

Welche Funktion übernimmt der Kommentator? Er zählt ab und an die Namen der Spieler auf, die gerade am Ball sind, plaudert über die eine oder andere Anekdote und leistet sich des Öfteren ein Urteil bezüglich der Schiedsrichterleistung. Im Prinzip sagt er aber im Groben nur das zum Spiel, was der Zuschauer auch sehen kann. Der Kommentator ist in seiner jetzigen Form mehr Entertainer als Analytiker.

Eisenhartes Catenaccio, fulminanter One-Touch-Football – am Ende zählt nur das Ergebnis

Aber woran liegt das? Fußball ist der Sport, der die Massen vereint. Das hat einfache Gründe: Das Spiel an sich ist leicht zu verstehen, ein Tor zählt einen „Punkt“, ausgenommen der Abseitsregel, enthält das Spiel keine nicht sofort zu durchschauende Regel. Ein Spiel geht 90 Minuten, in denen es nur einmal, nach 45 Minuten, eine Unterbrechung gibt. Trotz Ballbesitzanteilen, Zweikampf- sowie Passquoten zählt am Ende nur eines: Die Anzahl der Tore.

Da das Spiel so „einfach“ ist, scheint es auch leicht erklärbar zu sein. Doch weiß so mancher Kommentator nicht vielleicht mehr über Taktik, als er preisgibt? Es könnte die Angst davor sein mit gebündeltem Fachwissen einen Großteil der Fans zu verschrecken, die das Spiel auch aufgrund seiner scheinbaren Einfachheit so in ihren Bann zieht. Ein Kommentator, der 90 Minuten im herrschenden Fachjargon über die taktischen Variationen beider Mannschaften philosophiere ist sicher nicht die beste Lösung. Der Durchschnittszuschauer gewinnt den Eindruck das Spiel nicht mehr in seinem vollen Umfang verstehen zu können. Die Identifikation leidet. Fußball muss durchschaubar bleiben, damit die Masse am Ball bleibt.

Taktische Anpassungen statt kämpferischer Leistung als Königsdisziplin

Auf der anderen Seite steht ein, zugegeben deutlich kleineres Publikum, das gerade die taktische Komplexität des Fußballs schätzt. Viele davon wünschen sich, dass der Kommentator das Pressing oder gewisse Passmuster der Mannschaften statt nichtssagenden Statistiken („Mannschaft X hat drei der letzen neun Spiele nicht mehr verloren, wenn sie zwischen der 70. und 80. Minuten einen Spieler mit einer zweistelligen Trikotnummer einwechselte“)  begreiflich machen könnte. Dabei ist es gar nicht so wichtig, dass er bereits die Analyse übernimmt, sondern zunächst einmal den Zuschauer auf bestimmte Dinge hinweist, die sich abseits des Balls beobachten lassen.

Markt der Möglichkeiten – eine Zukunftsperspektive

Doch wie lassen sich diese beiden Zielgruppen vereinen? Denkbar wäre, um auch die Wünsche  eines fachkundigen Publikums zu erfüllen, eine taktische Live-Analyse während des Spiels in Form eines Taktik-Tickers, wie es das ZDF, mit engagierter Unterstützung des Teams von spielverlagerung.de, teilweise schon jetzt zur Verfügung stellt. Dies kommt gerade der jungen Generation entgegen, deren Smartphones üblicherweise während eines Spiels nicht ungenutzt in der Hosentasche stecken. Das Einsetzen eines zweiten Kommentators wäre eine weitere Möglichkeit. Dieser könnte sich konkret mit der Taktik auseinandersetzen, während es die Aufgabe des anderen bliebe, das Publikum in einem gewissen Maße zu „unterhalten“. So könnten zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden.

Taktik ist auf dem Vormarsch, ein immer größeres Publikum ist auf der Suche nach Erklärungen zu dem Verlauf eines Spiels. Doch je anspruchsvoller eine Sache ist, desto weniger Begeisterte folgen ihr. Es liegt in der Natur der Sache, dass Dinge einen Teil ihrer Magie verlieren, sobald sich ihre Wirkung in einzelne Teile zerlegen und erklären lässt. Für manche ist allerdings genau das der Reiz am Fußball. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern sich die beiden Interessen unter einen Hut bringen lassen. Heutzutage versuchen sich öffentlich größtenteils Taktiklaien an Analysen. Doch vielleicht sitzen schon in ein paar Jahren fachkundige Taktikliebhaber in den großen Studios der Fernsehsender und philosophieren über Offensivfluidität und positionsorientierte Raumdeckung. Man darf gespannt sein.

Alexander Munz, abseits.at

Alexander Munz

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