Krisenvergleich zwischen dem FC Bayern und Red Bull Salzburg: Wieso klappt’s zur Zeit nicht wie’s soll?
Taktik & Theorie 9.März.2012 Rene Maric 3
Es sind die wohl zwei am meisten polarisierenden Mannschaften ihrer jeweiligen Ligen – und gleichzeitige jene Vereine, die den meisten Druck in der Meisterschaft verspüren. Sie geben jährlich als Ziel den Meistertitel aus und sind zumindest vor Saisonbeginn für die meisten Experten der Topfavorit auf den Titelgewinn. Doch sowohl Red Bull Salzburg als auch den FC Bayern München plagen aktuell einige Sorgen und ihre Trainer zerbrechen sich den Kopf darüber, wieso man mit dem überlegenen Budget und der nominellen Überlegenheit eins ums andere Mal stolpert.
Besonders die Salzburger finden diese Saison nicht konstant in die Spur und können von Glück reden, überhaupt noch im Titelkampf dabei zu sein. Der Titelaspirant profitierte in den letzten Runden von den Ausrutschern der Konkurrenz, während der deutsche Rekordmeister das Titelrennen beinahe abgehakt hat. Die Dortmunder legen jene Konstanz an den Tag, die man in den europäischen Topligen braucht, um Meister zu werden – eine Tugend, die in Österreich ohnehin niemand zu besitzen scheint. Allerdings ist die Konstanz eher ein Symptom, als die Ursache für die (verhältnismäßig) schwachen Ergebnisse dieser Saison. Die Probleme liegen ganz woanders begraben, oftmals, aber nicht nur, sind sie taktischer Natur.
„Statischer Mittelstürmer und mangelnde Bewegung im letzten Drittel“ oder: wenn die eigene Mannschaft den gegnerischen Strafraum blockiert
Der wohl auffälligste, wenn auch oftmals überschätzter Punkt, ist die mangelnde Bewegung in der Sturmspitze. Bei beiden Vereinen äußert sie sich bereits beim Nennen der Namen des etatmäßigen Mittelstürmers, welches bei eingefleischten Kritikern gar für ein Schaudern sorgt, seien es die Namen Maierhofer oder Gomez. Während letzterer daran unter van Gaal arbeitete und sich sehr verbessert hatte, durchlebt er aktuell einen Rückfall in alte Zeiten. Der große Unterschied zu seinem österreichischen Pendant ist jedoch, dass er deutlich dynamischer und torgefährlicher ist, als der ehemalige Rapidler.
Aktuell kann man allerdings große Ähnlichkeiten zwischen beiden entdecken, denn sie behindern das Aufbauspiel auf identische Art und Weise. Ihnen fehlt die Bindung zum Spiel, um gegen die tiefgestaffelten gegnerischen Abwehrreihen Gefahr zu entfachen. Hinzu kommt, dass die Technik nicht ausreicht, damit man mit größtmöglicher Dynamik und großteils mit dem Rücken zum Tor ein effektives Kombinationsspiel mitspielen kann – was keine Schande ist, in diesem Bereich tun sich auch technisch herausragende Spieler der Marke Ibrahimovic bisweilen schwer, doch dieses Manko muss durch eine erhöhte Laufarbeit wettgemacht werden. Perfektes Beispiel sind Alexis Sanchez und Lionel Messi vom Marktführer FC Barcelona – Letzterer verkörpert die Rolle der falschen Neun auf eine nahezu perfekte Art und Weise. Ununterbrochen pendelt er zwischen dem Sturmzentrum und dem Mittelfeld hin und her, schaltet sich in die Ballzirkulation mit ein und rückt dann dynamisch nach vorne.
Diese Spielweise kommt für den deutschen Teamspieler (und viele seiner großgewachsenen Landsleute) allerdings nicht in Frage; es wäre hierzu allerdings ratsam, besonders im Falle von Red Bull Salzburg, über einen beweglicheren Stürmer nachzudenken. Falls man jedoch weiterhin am etatmäßigen Angreifer festhalten möchte, so sollte man sich an Spielern wie Alexis Sanchez oder Ivica Olic orientieren, welche durch pausenlose Laufarbeit Lücken in die gegnerischen Defensivverbünde reißen. Die Grundidee dahinter ist, dass die Bewegung auf einer horizontalen Linie Unordnung in die Viererkette der anderen Mannschaft bringt. Der Verteidiger, welcher dem Mittelstürmer eigentlich zugeordnet ist, muss sich die Frage stellen: verfolgt er ihn oder übergibt er ihn? Wenn er sich dazu entschließt, ihn bei seinen Horizontalläufen zu begleiten, hinterlässt er eine Lücke in der Kette und öffnet eine Schnittstelle. Dieser Raum kann nicht nur für Pässe, sondern für Soli genutzt werden; beispielsweise profitiert ein Lionel Messi davon ungemein – es sind exakt diese durch Sanchez, Iniesta, Pedro und Co. geöffneten Räume, die ihm seine unwiderstehlichen Alleingänge ermöglichen.
Unter der Prämisse, dass der sich bewegende Stürmer übergeben wird, läuft man Gefahr, dass sich der Außenverteidiger zwei Gegenspielern gegenübersieht und durch eine schnelle Kombination überwunden werden kann. Ein einfacher Pass reicht, damit der Spieler bis zur Grundlinie vorstoßen und von dort eine gefährliche Aktion in Richtung Strafraum starten kann. Diese zwei Mittel gehen den Salzburgern generell und den Bayern in der Rückrunde absolut ab, beschränken folglich ihre Spielzugsvielfalt im letzten Drittel und dies schädigt das Offensivspiel nachhaltig.
Ungeordnete Defensive, fehlende Kompaktheit durch schwaches Umschalten sowie daraus resultierende individuelle Fehler
Aber die Probleme sind nicht nur im Offensivbereich zu finden, auch ganz hinten wackeln beide Mannschaften – allerdings sind die Salzburger in diesem Bereich ebenso die Extremeren. Exemplarisch dafür steht natürlich Douglas‘ Fehler gegen Metalist, allerdings war dies nur die Spitze des Eisberges. Immer wieder kann man kleine Nachlässigkeiten und Stellungsfehler beobachten, die glücklicherweise nicht immer bestraft werden – Boateng und Hinteregger können ein Lied davon singen. Ein wirkliches Problem ist dies aber nicht einmal, solche Fehler gehören zum Spiel dazu, ganz besonders bei jungen Innenverteidigern sind Unachtsamkeiten und Konzentrationsschwächen in Kauf zu nehmen. Die Krux liegt darin, dass zu oft solche Situationen entstehen, in welchen die Innenverteidiger auf hohem Niveau gefordert werden oder vor komplexe Situationen gestellt werden, die sie in Eile und mit einem Minimum an Aggressivität lösen müssen.
Dies ist ein Fehler der gesamten Mannschaftsausrichtung, welche sich an mehreren Faktoren aufhängt: fehlende Kompaktheit aufgrund zu großer Abstände in den Mannschaftsteilen und ungleicher Defensivarbeit sowie einer schwach antizipierenden Doppelsechs. Die Abstimmung scheint zu fehlen, bei beiden Mannschaften wirkt es so, als ob sich die zentralen Spieler nicht auf eine genaue Aufteilung ihrer Rollen einigen können. Ob Lindgren, Cziommer oder Mendes – keiner von ihnen hat die Fähigkeit, offensiv präsent und defensiv stabil zu sein. Bei den Bayern schaffen es die Sechser zwar, eine der jeweiligen Aufgaben zu erfüllen, doch beide auf einmal ist seit Schweinsteigers Verletzung ebenfalls ein Ding der Unmöglichkeit. Die großen Abstände zwischen den Mannschaftsteilen werden dadurch zu einem noch größeren Problem, da der Raum zwischen den Linien – vor der Abwehr und hinter der offensiven Reihe – nicht geschlossen wird. Das ermöglicht dem Gegner ein schnelles und einfaches Vortragen von Angriffen, was die Anforderungen an die Abwehr erhöht. Oftmals steht man sehr hoch gegen heranstürmende Gegenspieler, welche den Vorteil des Agierens besitzen. Sie können zwischen mehreren Anspielstationen in hoher Geschwindigkeit wählen, während die jeweiligen Viererketten „nach hinten verteidigen“ müssen. Sie bewegen sich mit dem Rücken zum eigenen Tor und müssen gleichzeitig versuchen, den Ball zu erobern, ohne Räume hinter oder neben sich zu öffnen.
Ein vertikales Draufschieben auf den Ballführenden ist immer riskant, da man durch den Geschwindigkeitsnachteil mit einem einfachen Haken ausgespielt werden kann und der absichernde Spieler insbesondere bei Innenverteidigern nicht gegeben ist. Falls man nicht aus der Kette herausrückt, ermöglicht man dem Gegner eine größere Nähe zum eigenen Tor und mehr Zeit, um durch Diagonalläufe die eigene Kette zu sprengen. Er kann in den Rücken der Abwehr stoßen und provoziert unter anderem Falschstellungen des Linienspiels heraus, was nichts anderes bedeutet, als dass ein Spieler tiefer agiert als seine drei Kameraden. Damit eröffnet er aber nicht nur diesen einen Meter, den er zu tief steht, sondern die gesamte horizontale Linie auf dieser Höhe. Grob übersetzt heißt das: Wenn einer zwei Meter zu nah am eigenen Tor steht, bietet er dem gegnerischen Team 136 Quadratmeter mehr an Raum, den er für Gassenpässe nutzen kann. Die Drehung des ballnächsten Innenverteidigers verbunden mit einer Beschleunigung auf Maximalgeschwindigkeit dauert dabei fast so lang, wie der bereits im Sprint befindliche Spieler bis zum Tor braucht – der Ball ist insbesondere bei technisch guten Spielern kaum eine Beschränkung mehr.
Kaum eingeübte Spielzüge, mangelnde Kreativität und isolierte Außenstürmer
Das Grundübel, um die defensiven Schwächen zu überwinden, ist jedoch ein kollektives Gebrechen. Die beiden Mannschaften scheinen sich an einzelnen Spielern und deren Stärken aufzuhängen, kann allerdings diese nicht effektiv für das Kollektiv einsetzen. Ob Bayern bei den Robben oder Leonardo bei Red Bull – beide Spieler trennen sich zu spät oder gar nicht vom Ball, was dem Gegner eine geordnete Defensive erleichtert. Der marginale Unterschied dürfte sein, dass Robbens Aktionen zumindest hin und wieder durchkommen und ihm das Dribbling vielleicht sogar auferlegt ist, während Red Bulls Pendant zum Niederländer viel stärker eigensinnig wirkt, als der oft kritisierte Robben.
Aber auch wenn Zarate, Jantscher und Co. auf den Flügel agieren: Es stellt sich keine Besserung ein! Wie Müller, Robben und Ribéry bei den Bayern mögen sie zwar Ballkontakte in Masse zu haben, werden durch die gegnerische Doppelung viel zu einfach abgedrängt oder zu Rückpässen gezwungen. Die Passwege zum Mittelstürmer – und hier verstärkt sich die Grundproblematik mit der statischen Rollenausübung nochmals – werden verschlossen und sämtliche sicheren Anspielstationen befinden sich nun hinter den Außenstürmern. Diese können nur durch Läufe Richtung Grundlinie durchbrechen, da ihnen die Außen zumeist offen gelassen werden, was sie allerdings ihrer Stärken beraubt und auch vorhersehbar macht. Es ist schlichtweg unübersehbar, wie oft sich die Spieler auf dem Weg nach vorne verirren und dann mit auffällig ungenauen Flanken überraschen oder sich wie im Falle Robben fast schon demonstrativ vom gegnerischen Tor abwenden müssen.
Eine Verbesserung im Kollektivspiel und in der Situation für die Außenstürmer würde sich mittels zwei Lösungen finden lassen: Einem kreativen Spielmacher im letzten sowie im zweiten Drittel oder eingeübten Laufwegen und Spielzügen, welche eine Spielgestaltung zumindest teilweise obsolet machen würden. Damit ist gemeint, dass durch einen Spielertyp á la Xavi oder Pirlo die Räume, welche eine Doppelung zwangsweise durch Unterzahl in anderen Bereichen eröffnet, genutzt werden und den gegnerischen Defensivverbund aushebeln könnten.
Ein abermaliges Beispiel vom Branchenkrösus Barcelona sind die Diagonalbälle über die Abwehr auf den hereinstartenden Dani Alves, welcher sehr breit aufrückt und sich dann Richtung Tor bewegt, um eine freie Anspielstation anzubieten. Seit Schweinsteigers Fehlen (und bei RB Salzburg könnte diese Rolle eventuell Leitgeb übernehmen) funktioniert dies nicht mehr bei den Münchnern – davor klappte es, weil man mit Schweinsteiger einen Organisator aus der Tiefe hatte, während Kroos vorne das Angriffsspiel koordinierte. Bei Red Bull geht dies gänzlich ab, hin und wieder haben Cziommer und Mendes Ansätze eines guten Ballverteilers, können aber nie das Spiel an sich reißen und ihm ihren Stempel aufdrücken. Im letzten Spielfelddrittel geht dies ohnehin total ab, wobei man dieses Manko durch erhöhtes Augenmerk auf ein einstudiertes Kombinationsspiel ausgleichen könnte.
Werden solche Situationen generell sowie in weiterer Folge vor dem Spieltag gegnerspezifisch theoretisch wie praktisch durchgeübt, können selbst weniger kreative Spieler eine Methode finden, um gegnerische Abwehrreihen durchzubrechen. Die richtige Bewegung der Offensivspieler im richtigen Moment, abgestimmt auf die gegnerische Formation, bietet beispielsweise individuell schwächeren Mannschaften wie Borussia Mönchengladbach (natürlich eher am Beispiel Hankes oder Herrmanns, denn an Reus und Arango) oder früher dem SC Freiburg unter Volker Finke eine Möglichkeit offensiven Fußball auf hohem Niveau spielen zu lassen. Mit mehrmaliger Wiederholung und dem trainingsspezifischen Fokus auf eine genaue Umsetzung der Vorgaben in höchster Geschwindigkeit finden die Spieler der eigenen Mannschaften Wege, um die gegnerischen Schnittstellen ausnutzen zu können beziehungsweise die nötigen Räume dafür zu öffnen.
Zusammenfassung
Neben der mentalen und psychologischen Problematik, welche sich durch eine hohe Drucksituation und veränderte Ausgangsstellung im Vergleich mit anderen Vereinen äußert, sind es insbesondere taktische Ursachen, die den beiden (finanziellen) Großvereinen ihrer jeweiligen Ligen Kummer machen. Sie zeigen auch, wie komplex die Bewältigung solcher Krisen sein kann, denn das Praktizieren der Lösungsansätze mag theoretisch relativ einfach und logisch klingen, ist auf dem Trainingsplatz aber eine mühsame Kleinstarbeit richtiger Stellungen, wo bereits Zentimeter unterscheiden bzw. entscheiden können. Wirklich interessant wird in den nächsten Wochen, wie man ohne die zeitliche Komponente beim FC Bayern – beziehungsweise ohne die individuellen Möglichkeiten bei Red Bull Salzburg – den Weg aus der Krise suchen wird.
RM schreibt auch für spielverlagerung.de
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Rene Maric
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