Nachholbedarf im österreichischen Fußball (Teil 1): Umschaltspiel
Taktik & Theorie 1.März.2012 Rene Maric 0
Aktuell gibt es sehr viele kritische Stimmen zum österreichischen Fußball. Die Medien, die Internetportale und die Fans haben sich mehr oder weniger einstimmig auf die österreichische Bundesliga eingeschossen, dank Marcel Koller steht die Nationalmannschaft ausnahmsweise und wohl vermutlich nur kurzzeitig etwas außerhalb dieser Kritik. Dabei ist gar nicht alles so schlecht, wie es gemacht wird. Es sind viele kleinere Teilbereiche, in denen Nuancen fehlen, um zur großen Spitze zumindest annährend aufschließen zu können.
Beginnen wir mit den grundlegenden Dingen im Fußball – der Bewegung auf dem Spielfeld. Auffällig ist hierbei natürlich, dass eine relativ kleine Mannschaft wie der SV Ried sich in den letzten Jahren dermaßen empor arbeiten konnte. Die Ursache dahinter liegt darin, dass man etwas Innovatives und Neuartiges ausprobierte. Hier lässt sich bereits erkennen, worauf man hinaus sollte: einerseits muss man einen Weg finden, sich vom Rest abzuheben, ohne sich durch eine schwächere statt bessere Taktik zu profilieren, andererseits muss man immer darauf achten, wie der Gegner auftritt. Bei den Riedern hatte man mit dem 3-3-3-1-System etwas geschaffen, was eines der Probleme der österreichischen Vereine ausnutzte: das Umschaltspiel.
Bei nahezu jeder Mannschaft kann man beobachten, wie sich das Umschalten im großen Stil als kollektive Herausforderung präsentiert. Das Gegenpressing, wenn praktiziert, benötigt oftmals eine Zehntelsekunde zu lang, was es im Sande verlaufen lässt. Die resultierenden Ballverluste des Gegners sind zumeist eher Folge der Unzulänglichkeit in dessen Passspiel, als eine direkte Konsequenz des eigenen Forecheckings.
Bei der SV Ried hatte man dank ihrer Underdogmentalität nicht nur das Glück, das Spiel nicht aufbauen zu müssen, man konnte sich durchgehend mental auf eine Spielweise konzentrieren. Die Oberösterreicher pressen in ihrer eigenen Hälfte, applizieren ein Verteidigungspressing mit hoher numerischer Überzahl und können dann entgegen dem gegnerischen Momentum nach vorne agieren. Hinzu kommt ihre (frühere) Stärke bei Standards, welche sie trotz wenig Ballbesitz und einer großen kreativen Lücke zu einer offensiven Waffe machte. Mit dem schnellen Konterspiel in die Spitze gegen einen sich in Unordnung befindlichen Gegner konnte man oftmals nur mit taktischen Fouls zurückgehalten werden, was letztendlich ein weiterer Vorteil für die SV Ried war. Aktuell scheint man gegen schwächere Mannschaften höher agieren zu müssen und tut sich sichtlich schwerer, als es früher noch der Fall war – obwohl man hierbei natürlich die Verletzungssorgen nicht vergessen darf.
Steht der Gegner tiefer, sind weniger Räume frei und man muss schneller kombinieren, um Räume zu schaffen oder eben kreativer zu sein. Letzteres ist gegen tiefstehende und disziplinierte Mannschaften auch für individuell sehr starke Mannschaften eine Zerreißprobe, bei den eher auf Kampf und auf Dynamik ausgelegten Riedern (mit einigen Ausnahmen) wird es manchmal ein Ding der Unmöglichkeit. Zehrt man aktuell noch von einem Außenseiterimage, muss man sich bei weiteren Erfolgen in den nächsten Jahren überlegen, wie man die Mannschaft punktuell im Offensivspiel kreativer machen kann, denn Flexibilität ist nicht alles.
Das Beispiel Ried zeigt klar, welche großen Schwächen nahezu alle Mannschaften in der Liga besitzen. Zu langsam attackiert man, zu unkoordiniert wirkt das Umschalten auf die Defensive und zu langsam führt man eigene Konter aus. Im Spiel Red Bull Salzburgs gegen Metalist Kharkiv konnte man dies ebenfalls schön beobachten. Die Salzburger kamen im eigenen Stadion kaum an den Mann, weil Metalist bewusst den Ball in den eigenen Reihen verschob. Man wechselte die Seiten und Positionen, was für ein Durcheinander bei den Salzburgern sorgte und insbesondere die Doppelsechs hatte nie Zugriff auf das gegnerische Zentrum. Die Doppelsechs der Ukrainer konnte unbehelligt das Spiel von hinten organisieren und hatte die Freude, je nach Bedarf die Außen abzusichern oder ins vordere Drittel des Spielfelds aufzurücken. Exemplarisch für das Scheitern der Salzburger steht dieses Spiel, denn im eigenen Stadion in der ersten Hälfte nicht nur bezwungen, sondern mit einer eleganten und verspielten Spielweise abgewatscht zu werden, ist eine Demütigung erster Güte.
In der zweiten Halbzeit zogen sich die Gäste zurück und trotzdem hatte Red Bull nur sehr wenige wirkliche Tormöglichkeiten. Zu einfallslos in den Vertikalpässen, zu langsam im Kombinationsspiel und mit zu wenig Spielintelligenz gesegnet, um Räume in den gegnerischen Reihen öffnen zu können. Metalist begnügte sich damit, dem geschulten Auge auf der Tribüne durch einfaches Verschieben darzulegen, dass man durchaus noch konnte – es aber weder wollte, noch musste. In den Topligen Europas wäre Metalist wohl selbst noch eine der taktisch unterklassigen Mannschaften und dennoch führten sie die Salzburger vor. Ein Armutszeugnis, welches aber eine Chance bietet, Fehler zu erkennen und sie abzustellen. Im alltäglichen Ligabetrieb findet man nur wenige Mannschaften, die kleine Fehler auf eine solch effektive Art nutzen und man darf sich glücklich schätzen, die eigenen Mängel aufgeworfen bekommen zu haben. Die Schnittstellen der Viererkette müssen schneller geschlossen werden, die Bewegung zum Ball hin muss vom gesamten Team gemeinsam und in höherer Schnelligkeit erfolgen, während das Kombinationsspiel eingespielter werden muss. Zarate und Jantscher hingen in der Luft, die Sechser hatten weder Ball noch Anspielstationen in der Offensive und Leonardo schien nicht nur nicht abspielen zu wollen, er hatte meist nur Soriano in der Nähe – und Maierhofer, welcher mit seiner Fuß-zum-Ball-Aversion ein weiteres Manko des österreichischen Fußballs darstellt.
Aktuell muss man darauf hoffen, dass sich die kleineren Vereine ein Vorbild an der SV Ried der letzten Saisons nehmen. Verbessertes (wenn auch vereinfachtes) Umschaltspiel, um die Großen zu ärgern, welche hierauf ebenfalls reagieren müssten: mit einstudierten Spielzügen, Bewegung in der Offensive und mehr Technik und Präzision im letzten Drittel.
RM, abseits.at
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Rene Maric
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