Schwedens Pressing: Vorne mannorientiert, hinten eng aber mit Lücken
Taktik & Theorie 4.Juni.2013 Alexander Semeliker 0
Im Rahmen des WM-Qualifikationsspiels gegen Schweden widmet sich abseits.at in einer mehrteiligen Serie der aktuellen schwedischen Nationalmannschaft. Im ersten Teil blickten wir auf den Kader des Dreikronenteams. In diesem Artikel wollen wir uns das Spiel gegen den Ball genauer ansehen. Wir werden dabei die eine oder andere Eigenheit feststellen, die aufgrund von Kleinigkeiten das Pendel zugunsten eines Teams ausschlagen lassen können.
Im Pressing nehmen die Schweden prinzipiell eine 4-4-2-Ordnung. Dabei geht Zlatan Ibrahimovic nach vorne neben den Stürmer. Je nachdem, wo sich der Ball befindet, hat das Pressing allerdings einen anderen Charakter. Demonstriert werden die verschiedenen Fälle jeweils anhand von Beispielen. Darüber hinaus wollen wir uns die Frage stellen, welchen Möglichkeiten das ÖFB-Team hat, um daraus Profit zu schlagen.
Mannorientiertes Angriffspressing
Wir beginnen mit dem Angriffspressing, das die Schweden naturgemäß dann einsetzen, wenn sie den Gegner bereits früh im Spielaufbau unter Druck setzen wollen. Sie präsentieren sich dabei als kompakte Einheit und wirken zudem eingespielt. Als erstes Beispiel wollen wir uns eine Szene aus dem Spiel gegen England ansehen.
Wie man sieht hat Schweden hier mehr Feldspieler in Ballnähe als der Gegner. Die Mittelfeldspieler orientieren sich vorsichtig nach hinten um im Falle eines Vorwärtspasses des ballführenden Engländers sofort nach hinten pressen zu können. Die wichtige Rolle von Kim Källström (gelb) im Pressing, die in der Kaderanalyse erwähnt wurde, kommt hier wie man sieht zum Tragen.
Er weist einen Stürmer – in diesem Fall Ibrahimovic (schwarz) – an, auf den englischen Zentrumspieler zu gehen. Dieser wäre zwar ohne nicht anspielbar, da er im Deckungsschatten des zweiten Angreifers – hier Mathias Ranegie (weiß) – steht. Allerdings attackiert dieser in weiterer Folge den Ballführenden und erzwingt dadurch einen Rückpass zum Tormann.
Die Mittelfeldspieler schalten sofort um und gehen sofort auf ihre nominellen Gegenspieler. Damit sind für den gegnerischen Schlussmann alle kurzen Anspielstationen zugestellt und er muss den Ball abschlagen. Ein weiteres Beispiel, das die gute Abstimmung und die Fähigkeit, übers Pressing das Spiel zu leiten noch besser zeigt, stammt aus dem Spiel gegen Argentinien.
Die Schweden wollen in dieser Szene das Spiel auf den Außenverteidiger leiten, da dieser im Allgemeinen leichter zu pressen ist als ein Spieler im Zentrum. Dementsprechend wollen sie verhindern, dass die beiden Zentrumspieler (orange und blau) an den Ball kommen. Im Laufe der Aktion kommt es zu zwei entscheidenden Übergaben. Die erste sieht man hier.
Rechtsverteidiger Mikael Lustig (rot) und sein Vordermann Sebastian Larsson (gelb) sind sich einig, dass Letzterer auf den Außenverteidiger gehen soll. Man erkennt dies an den Handzeichen. Die beiden Stürmer, Zlatan Ibrahimovic (schwarz) und Tobias Hysen (weiß) haben jeweils zwei Optionen – eine ballnahe und eine ballferne -, die sie je nachdem, wohin der Ballführende abspielt, wählen. In der Mitte sieht man die Ausgangssituation des zweiten Übergabevorgang, an dem neben Anders Svensson (grün) wiederrum Lustig beteiligt ist.
Lustig übernimmt den Argentinier, während Svensson in weiterer Folge nach vorne rückt um den zweiten Zentrumspieler (orangen) unter Druck zu setzen. Auch Ibrahimovic schiebt auf diesen, da dieser seine ballnahe Option darstellt. Das gleiche gilt für Hysen. Larsson läuft währenddessen den Außenverteidiger bogenartig an. Dadurch verhindert er, dass dieser den Ball in die Mitte spielen kann und lenkt das Spiel wieder auf den Innenverteidiger zurück.
Die Argentinier haben sich zwar inzwischen ein Passdreieck aufgebaut, das aber ihre Wirkung verliert, da die Schweden in Gleichzahl um einen Eckpunkt stehen. Svensson attackiert diesen mit Tempo und erzwingt einen erneuten Rückpass. In der Zwischenzeit ist auch der Übergabevorgang des zweiten Zentrumspielers (blau) an Lustig vollzogen und man befindet sich wieder in der Ausgangsposition.
Wie kann Österreich darauf reagieren?
Das ÖFB-Team hatte mit einem derartigen aggressiven, mannorientierten und hohen Pressing bisher immer Probleme. So legte beispielsweise die Elfenbeinküste mit einer einfachen Manndeckung gegen David Alaba das Aufbauspiel komplett lahm. Im letzten Quali-Spiel in Irland hatten die Österreicher, nachdem sie 1:2 in Rückstand gerieten, ähnlich zu kämpfen. Selbst gegen Kasachstan, das sich kompakt um den Mittelkreis aufstellte, hatte die Koller-Elf Probleme, das Spiel nach vorne zu treiben und offensichtlich freie Räume zu nutzen.
Ein wichtiger Faktor ist Zlatko Junuzovic. Der Werder-Legionär zeigte in den besagten Spielen, wie viel es ausmachen kann, wenn man als Zehner ein paar Meter tiefer spielt. Gerade aufgrund der Mannorientiertheit könnte er durch sein Zurückfallen eine Überzahlsituation herstellen oder offene Räume bespielen, nachdem seine Mitspieler ihre Gegner aus dem Zentrum herausgezogen hätten. Aufgrund seiner Laufstärke dürfte es ihm auch weniger zusetzen als einem etwaigen Ersatzmann, dass er beim eigenen Pressing neben den Stürmer nach vorne gehen muss.
Dass das voraussichtliche zentrale Mittelfeldtrio (Junuzovic, David Alaba, Julian Baumgartlinger) in der Liga spielt, in dem das Pressing gruppentaktisch wohl am weitesten fortgeschritten und der Druck daher am größten ist, könnte ein Vorteil sein. Zwar gilt vor allem Baumgartlinger nicht als dermaßen pressingresistent und spielstark wie Alaba, dennoch dürfte er sich im Klaren sein, dass ein sicherer Pass nach hinten sinnvoller ist als ein risikoreicher Querpass oder ein leichtsinniges Dribbling. Dass ein Ball nach hinten nicht immer schlecht sein muss, sieht man wenn man die obige Szene weiterlaufen lässt.
Über einen einfachen Seitenwechsel ergibt sich eine Überzahlsituation zugunsten der Argentinier, da die Schweden nicht schnell genug verschieben. Das trifft insbesondere auf Ibrahimovic (schwarz) zu, der nur selten die Zentralachse verlässt.
Zwei kompakte Viererketten im Abwehrpressing
Die zweite Pressingoption der Schweden, die wir uns näher ansehen wollen, ist ihr Abwehrpressing. Darauf greifen sie zurück, wenn sie nicht auf Zugriff sondern auf Kontrolle aus sind oder gegen nominell bessere Gegner spielen. Aber auch beim Testspiel gegen Mazedonien am Montag sah man zeitweise diese Variante. Nachstehend eine Beispielszene vom 4:2-Sieg gegen England.
Schweden spielt im Abwehrpressing mit einer sehr eigenwilligen 4-4-0-2-Formation; das heißt die Stürmer positionieren sich deutlich vor dem Defensivblock, der sich aus zwei Viererketten aufbaut. In Einzelfällen lässt sich Ibrahimovics Sturmpartner fallen. Der Vorteil dieser Ausrichtung ist, dass sie dadurch nach Ballgewinnen sofort eine günstige Konterchance bekommen, da die zockenden Stürmer in aller Regel gegen maximal drei Gegenspieler stehen.
Allerdings bietet diese Variante dem Gegner die Möglichkeit selbst tief in der schwedischen Hälfte ohne Druck vor dem Defensivblock das Spiel zu lenken (schwarz). Dies ermöglicht beispielsweise schnelle Seitenwechsel, was insofern förderlich ist, als auf den Außenbahnen im Idealfall zwei eigene Spieler ohne Gegner stehen – wie hier (weiß).
Die schwedischen Außenspieler stehen nämlich gemäß der Taktik eng und können nur verzögert zur Seite rausschieben. Dadurch kann der Gegner schnell in günstige Räume kommen und zum Beispiel Flanken aus dem Halbfeld in Richtung Strafraum schlagen. Allerdings bleibt hier das Sturmzentrum bzw. der Zwischenlinienraum unbesetzt. Selbst wenn der Ball dorthin kommen würde, könnten sich die schwedischen Viererketten schnell zusammenziehen.
Wie kann Österreich darauf reagieren?
Diese Nachteile gilt es für die österreichische Auswahl auszunützen. Zum einen durch die entsprechende Positionierung der Akteure, zum anderen durch die richtige Personalwahl. So braucht es einen Zentrumspieler, der das Spiel vom Mittelkreis mit präzisen Pässen steuern kann – egal ob dies Seitenwechsel oder Diagonalpässe hinter die Außenverteidiger sind. Aufgrund der Kontergefahr ist zudem notwendig, Ballverluste in zentralen Positionen zu vermeiden und etwaige Klärungsversuche umgehend zu retournieren – etwas, das gegen Irland phasenweise sehr gut funktioniert hat.
Die Enge der schwedischen Formation kann man auf verschiedenste Weisen nutzen. Man kann den oben skizzierten Weg gehen und den Erfolg über Flanken suchen. Man kann aber genauso gut den längeren Weg der schwedischen Außenspieler dafür nutzen, um individuelle Einzelaktionen und Dribblings vorzubereiten. Eine weitere Option wäre es, wenn man über konsequente Seitenverlagerungen den Ball solange hin- und herlaufen lässt, bis sich Lücken in den Viererketten auftun. Über schnelle Steilpässe käme man dann direkt vors Tor.
Weiters bietet sich der Platz zwischen den Linien an um über einen ballsicheren Stürmer Passdreiecke mit den äußeren Spielern zu bilden. Das würde unter Umständen sogar die Innenverteidigung aus der letzten Linie herauslocken und die Ordnung stören. Über einen schnellen Doppelpass könnte man dann quasi gerade durch die Ketten durchsprinten. Auf ähnliche Art und Weise kamen beispielsweise die Bayern im Champions-League-Finale zum Erfolg. Eine vorbildhafte Lösung zeigten die Argentinier.
Die Südamerikaner platzieren zwei Spieler im Zwischenlinienraum und zwei sehr breit auf den Seiten. Dadurch decken sie einen Großteil der vorher genannten Alternativen ab. Selbstverständlich sind sowohl die Gauchos als auch die Engländer dem ÖFB-Team um Längen voraus, aber gerade von solchen Mannschaften kann man viel lernen.
Alexander Semeliker, abseits.at
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Alexander Semeliker
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