Schwedens Spiel in Ballbesitz: Interessante Kleinigkeiten, aber gefährlich wird’s über Ibrahimovic
Taktik & Theorie 5.Juni.2013 Alexander Semeliker 0
Im Rahmen des WM-Qualifikationsspiels gegen Schweden widmet sich abseits.at in einer mehrteiligen Serie der aktuellen schwedischen Nationalmannschaft. Nachdem im ersten Teil der Kader und im zweiten das Pressing unter die Lupe genommen wurde, widmen wir uns im letzten Teil dem Spiel in Ballbesitz. Wie nicht anders zu erwarten, dominiert in diesem Bereich die hohe individuelle Klasse von Schwedens Superstar Zlatan Ibrahimovic.
Der PSG-Angreifer wird in seinem Heimatland vergöttert, selbst im Duden hat er einen Eintrag bekommen. Für viele andere ist er schlicht arrogant. „Wer mich stoppen will, muss mich umbringen“, meint er selbstsicher. Doch nicht nur der 195cm-Hüne ist dazu in der Lage, dem ÖFB-Team weh zu tun. Teamchef Erik Hamren kann auf eine breite Basis im Aufbau- und Umschaltspiel zurückgreifen. Wir wollen uns deshalb zunächst von dem Ibrahimovic-One-Man-Show-Gedanken lösen und uns mit dem tiefen Aufbauspiel, ausgehend von der Abwehr, auseinandersetzen.
Ballsicheres Zentrum und flexible Außen im Aufbauspiel
Wie bereits in der Kaderanalyse geschrieben, übernimmt Andreas Granqvist in der Innenverteidigung die primären Aufgaben im Aufbauspiel. Er verfügt über ein sicheres Passspiel und kann unter Umständen einen anpressenden Stürmer auch ins Leere laufen lassen. Als Unterstützung kommt mindestens ein Sechser – in vielen Fällen sind es auch beide – entgegen, ohne aber in klassischer Busquets-Manier abzukippen.
Dementsprechend rücken auch die Außenverteidiger nicht sehr weit auf. Die genauen Abläufe werden zwar von der Besetzung der Doppelsechs abhängen, unabhängig davon, streben die Schweden jedenfalls eine Dreiecksbildung auf den Flügeln an. Darauf folgen im Allgemeinen entgegengesetzte Bewegungen der Außenspieler. Nachstehend eine Beispielszene.
Alexander Kacaniklic (schwarz) ist vom Flügel eingerückt und bildet mit Marcus Olsson (blau) und dem ballführenden Innenverteidiger ein Dreieck. Aufgrund der technischen Stärken von Kacaniklic ist es in diesem Fall auch egal, dass direkt neben ihm ein Gegenspieler steht. Er wird sogar bewusst als entgegenkommender Nadelspieler eingesetzt um Platz für den Außenverteidiger zu machen. Olsson bewegt sich indes in entgegengesetzter Richtung und hat scheinbar viel Platz, allerdings schätzt der englische Rechtsverteidiger die Situation richtig ein und blockt einen Vorstoß des Schweden. Deshalb muss dieser wieder zurückspielen und nach einem Seitenwechsel ergibt sich folgendes Bild.
Wie davor haben die Schweden auch hier ein Dreieck um einen Gegner konstruiert. Das entscheidende ist aber, dass in diesem Fall neben dem Innenverteidiger nicht die Außenspieler beteiligt sind, sondern Ibrahimovic (gelb) und Rasmus Elm (orange). Auf der Außenbahn kann der Gegner einen schwedischen Vorstoß nicht so einfach verhindern. Wieder führt das äußere Duo – hier Sebastian Larsson (rot) und Mikael Lustig (weiß) – gegenläufige Bewegungen durch und im Gegensatz zum obigen Szenario kann der Ball hier anschließend nach vorne gespielt werden.
Die Außenspieler agieren aber alles andere als eindimensional, insbesondere die Flügelspieler verfügen über ein vielschichtiges Repertoire. Larsson kann zum Beispiel situativ in die Rolle des Sechsers schlüpfen, Kacaniklic ins Dribbling gehen oder aus dem Halbraum mit Tempo auf den Flügel gehen. Ein Beispiel aus dem Spiel gegen Mazedonien sieht man im nächsten Bild.
Wiederrum erkennt man, dass Kacaniklic (blau) vom Flügel ins Zentrum gerückt ist und mit dem ballführenden Innenverteidiger sowie dem Außenverteidiger ein Dreieck bildet. Ein direkter Pass auf den Flügel ist zunächst nicht möglich, da ein Mazedonier (weiß) im Weg steht. Der Schlüssel ist wieder das diametrale Verhalten der Außenspieler. Der Linksverteidiger geht ein paar Schritte zurück, denen der Gegenspieler, wie angedeutet, folgt. Schon ist der Passweg zu Kacaniklic offen und der wendige Youngster kommt in eine gefährliche, hohe Zone, wo er ins Dribbling gehen kann.
Wie kann Österreich darauf reagieren?
Wie schon bei Schwedens Pressing gilt auch hier für das ÖFB-Team: je weiter der Gegner vom Tor entfernt ist, umso besser. In den hohen Zonen kommt die individuelle Klasse der Schweden mehr zum Tragen. Diese beschränkt sich wie dargelegt nicht bloß auf Ibrahimovic. Zudem ist die österreichische Defensive immer wieder selbst für die eine oder andere Nachlässigkeit gut. Vielmehr jedoch kommt das tiefe Aufbauspiel aber der eigenen Philosophie sehr zugute.
Unter Marcel Koller hat sich das ÖFB-Team zu einer regelrechten Pressing-Maschine entwickelt, die selbst der deutschen Nationalmannschaft zugesetzt hat. Durch eine hohe Mittelfeldreihe kann der Druck auf den gegnerischen Spielaufbau erheblich gesteigert werden, da so auch in der nächsten Linie die Anspielstationen verschwinden. Gegen Irland erzwang man durch konsequentes Nachschieben der Sechser beispielsweise den Führungstreffer und auch die Schweden sind in dieser Zone anfällig, wie etwa folgende Szene gegen Argentinien zeigt.
Die schwedische Viererkette kommt in Ballbesitz und umgehend schalten die Argentinier aufs Pressing um. Die logische Anspielstation für den ballführenden Innenverteidiger ist der nahe Sechser. Die Argentinier bewegen sich überaus vorausschauend. So startet vom ballfernen Flügel schon im Moment der Ballannahme ein Spieler (blau) um den Druck auf den anvisierten schwedischen Sechser zu erhöhen. Zudem setzen auch die ballnahen Stürmer (weiß und schwarz) nach und es entsteht letztlich die folgende Situation.
Der schwedische Sechser ist schon bei der Ballannahme von drei Spielern umstellt und muss einen Rückpass zum Torhüter spielen, was insofern riskant ist, als ein Argentinier (schwarz) auf diesen Ball lauert. Weiters zu beachten ist, wie auch die ballferneren Spieler nachrücken und den Raum verengen. Es ist davon auszugehen, dass man derartige Szene besonders in der Anfangsphase zu sehen bekommt. Die Schweden werden abwartend agieren und Österreich vor heimischer Kulisse von Anpfiff weg gewohnt aggressiv auftreten.
Aber auch in höheren Zonen haben die Schweden Probleme schnell in die geplante Defensivordnung zu kommen. Von den fünf Gegentoren, die sich Schweden seit dem legendären 4:4 in Deutschland einfing, fielen vier davon unmittelbar nach eigenem Ballverlust. Mazedonien bekam am Montag ebenfalls die eine oder andere gute Konterchance. In dieser Hinsicht könnte Österreich mit einer wendigen Offensivreihe, die der Kader zweifellos hergibt, empfindliche Impulse setzen.
Präzises und schnelles Umschalten in der Offensive
So schwerfällig den Schweden das Umschalten von Offensive auf Defensive fällt, so präzise funktioniert es in die andere Richtung. Ein Grund dafür ist das Zocken der beiden Stürmer, die im Allgemeinen nur selten nach hinten arbeiten. Nach Ballgewinnen haben sie viel Platz und können dann entweder auf die flinken, nachstoßenden Mitspieler – in aller Regel sind das die Außenverteidiger und die Flügelspieler – warten oder selbst aufs Tor ziehen. Obwohl vermutlich Ibrahimovic und Johan Elmander stürmen werden, haben die beiden trotz ihrer kräftigen Körper einen guten Antritt. Als Beispiel sei das 1:0 gegen England angeführt.
Das linke Teilbild zeigt den Moment des Ballgewinns. Ein Stürmer – Mathias Ranegie (blau) – hat sich fallen gelassen um am aktiven Flügel Gleichzahl herzustellen. Die Zentralachse lassen die Schweden vor der den beiden Viererketten unbesetzt. Das rechte Teilbild zeigt schließlich wie viel Platz die Schweden aufgrund der hoch stehenden englischen Außenverteidiger hat und dass sie deshalb einen zwei-gegen-zwei-Konter fahren können. Zudem hinterläuft Olsson (gelb) den Ballführenden um die englische Defensive noch weiter auseinanderzuziehen. Nach Vorlage des Linksverteidigers erzielt Ibrahimovic am Ende das Tor.
Wie kann Österreich darauf reagieren?
Wie bereits im letzten Artikel angerissen ist es besonders wichtig auch in der Vorwärtsbewegung auf genügend Rückendeckung zu achten. Die Doppelsechs steht vor einer schweren Aufgabe. Einerseits müssen sie den Druck auf den schwedischen Defensivblock hoch halten, andererseits etwaige Konter vermeiden. In den bisherigen Spielen klappte diese Absicherung nur phasenweise und man ermöglichte den Gegnern einige gute Kontermöglichkeiten.
Neben den zentralen Mittelfeldspielern müssen aber auch die offensiven Akteure davor zuverlässig und vor allem ballsicher agieren. In diesem Punkt erkennt man bereits die große Problematik, vor der Teamchef Koller steht. Einerseits muss der eingesetzte Stürmer schnell sein um die Mängel im gegnerischen Umschaltspiel nach hinten ausnutzen zu können, andererseits soll er aber auch den Ball halten können, was mit dem Körperbau eines Marc Janko leichter zu bewerkstelligen ist als mit dem eines Philipp Hosiner.
Daneben sind auch die Außenverteidiger gefordert – sowohl im taktischen, als auch physischen Bereich. Sie dürfen nicht zu tief zu stehen, weil sonst der numerische Vorteil auf der Außenbahn verschwindet, aber auch nicht zu hoch wie die englischen im obigen Beispiel, weil sie sonst leicht überlaufen werden. Besonders auf der rechten Seite Österreichs könnte dies ein Problem werden. Sowohl Kacaniklic als Oscar Wendt sind äußerst schnell im Umschaltspiel nach vorne.
Die hohe individuelle Klasse von Ibrahimovic
Obwohl die Zeitungen aktuell voll mit Artikeln über Ibrahimovic sind, spielte er unseren bisherigen Ausführungen kaum eine Rolle. Der Grund dafür ist, dass er keine klaren taktischen Vorgaben bekommen dürfte. Der Angreifer bewegt sich völlig frei auf dem Feld. Und trotzdem ist er unheimlich wichtig für dieses schwedische Team, das zweifelsohne auch ohne ihn viele Qualitäten mitbringt. Ibrahimovic ist es aber, der die harte Arbeit der Mannschaft erst vollendet. Das kollektive Umschaltspiel mag zwar vom taktischen Standpunkt aus hervorragend sein; hat man aber nicht die nötige Qualität im Abschluss, bleibt es nicht mehr als brotlose Kunst.
Aber auch im normalen Spiel mit dem Ball von hinten heraus, hebt Ibrahimovic das Spiel seiner Mannschaft auf eine höhere Stufe. Aus Ehrfurcht vor seinen individuellen Qualitäten neigen Spieler in Grauzonen vorsichtshalber dazu, sich an ihm zu orientieren. Das verschafft wiederrum seinen Mitspielern mehr Platz. Er selbst kann mehrere Spieler alleine ausspielen oder auch aus schwierigen Positionen ansatzlos abschließen. Und obwohl der schwedische Kader mit Källström, Larsson oder Elm sehr gute Freistoßschützen hat, ragt Ibrahimovic auch in dieser Disziplin heraus.
Wie kann Österreich darauf reagieren?
So gut bekannt die individuellen Qualitäten von Ibrahimovic auch sind, so wenig gibt es ein Patentrezept gegen seine Spielweise. Legt man ihn an die Leine fehlt dem Kollektiv ein Spieler – noch dazu vermutlich auf der Zentralachse, die ohnehin schon eine heikle und entscheidende Zone ist. Und selbst wenn das gut geht, ist nicht garantiert, dass Ibrahimovic komplett aus dem Spiel genommen ist. Bereits das Spiel in Wales Anfang des Jahres hat gezeigt, dass das ÖFB-Team anfällig auf Gegner mit individuellen Topstars ist.
Welche Taktik sich Koller auch immer zurechtgelegt hat, es wird wohl darauf hinauslaufen, den Ball möglichst weit von Ibrahimovic wegzuhalten bzw. generell das Spiel so zu lenken, dass das Spielgerät weit vom Tor entfernt ist. Da man selbst nicht die spielerischen Mittel hat, um einen derartigen Gegner mit einem Ballbesitz-orientierten Stil zu dominieren, wird es wohl darauf ankommen, ob das Pressing noch einen Tick weiterentwickelt werden konnte. Eine simple Einzelaktion könnte das Spiel nämlich zugunsten des Gegners kippen.
Alexander Semeliker, abseits.at
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