Der Fußball ist immer kritisch gegenüber unorthodoxen Rollen und/oder Innovationen. Viele Trainer lassen sich nur ungerne einreden und delegieren Aufgaben zu selten, was unter anderem auch der legendäre Sir Alex Ferguson bei anderen bemängelte und als einer der größten Erfolgsfaktoren seiner eigenen Karriere sah. Auch „Standardtrainer“ – Spezialisten für ruhende Bälle – gibt es nur selten. Dabei gilt ein Trainer als Vorreiter und ideales Beispiel für diese Rolle.
Vor einigen wenigen Tagen verkündete ausgerechnet Brentford FC die Verpflichtung von eben diesem Trainer. Gianni Vio gilt als Mysterium. Obwohl er einer der wenigen Standardtrainer der Welt ist und ihn im Business jeder kennt, ist seine genaue Arbeitsweise vage und sein Name in der Medien- und Fanwelt unbekannt.
Unüblicher Werdegang
Vermutlich liegt das an zwei Gründen. Einerseits wird die ohnehin schwer zu analysierende Arbeit Gianni Vios von den jeweiligen Vereinen nicht an die große Glocke gehängt. Andererseits ist Gianni Vio kein ehemaliger Fußballprofi, sondern ein „Externer“ in der Fußballbranche.
Bei der Recherche zu Vio findet man nur wenige Auskünfte über ihn. Manche sagen, er war ausgebildeter Einzelhandelskaufmann und arbeitete in einer Bank, andere sprechen schlicht als „Bankier“ über ihn. Anscheinend war es die Unicredit Bank in Mestre, wo Gianni Vio arbeitete.
Vermutlich war er nicht ganz ausgelastet; woher sonst hatte der knapp über 50 Jahre alte Vio die Zeit in den frühen 2000ern einen Blog zu kreieren, der sich mit Standardsituationen auseinandersetzt? Wie James Horncastle hier schrieb war Vio schlichtweg ein Fußball- bzw. Standards-Besessener, der mit seinem Kollegen Alessandro Tettamanzi ein Buch schrieb. „Plus 30 Prozent“ hieß es; für Vio konnten Standardsituationen eine Mannschaft um 30% weiterbringen.
Der Erfolg kommt schnell
Walter Zenga – einer der großen italienischen Torhüter und später Trainer – kontaktierte Vio und sprach ihn auf sein Internetseite, sein Buch und die dort beigelegte CD an. Von 2005 an arbeitete Vio als „Standards-Berater“ für Zenga bei Roter Stern Belgrad, ab 2008 war er Teilzeitcoach und Standards-Spezialist bei Catania, wo Zenga anheurte.
In den späten 2000ern war Vio besonders effektiv. Viele verteidigten Ecken mit Manndeckungen, die simpler zu bespielen sind. Außerdem fehlte das Video-Scouting noch häufig, wodurch man zu Beginn nicht wusste, was gegen Catania blühte. Horncastle hat zum Beispiel folgendes Video in seinem Artikel verlinkt:
Dieses Video zeigt bereits, dass Vio besonders mithilfe von Ablenkung und Verwirrung arbeitet. Der gegnerische Torhüter und die gegnerischen Verteidiger sollen sich auf die falschen Sachen konzentrieren, um beim genauen Abschluss den Ball nicht korrekt und/oder rechtzeitig berechnen zu können. Vio sollte ein weiteres Buch namens „Ruhende Bälle: Der 15-Tore-Stürmer“ verfassen und begann in Zeitungen Interviews und in Veranstaltungssälen aller Art Seminare zu geben.
Bei der Analyse von Vios Standardsituationen finden sich Spielzüge unterschiedlichster Art. Sie variieren von simplen Block&Screen-Aktionen über besondere Dynamiken zu fast schon skurrilen und absurden Ablenkungsmanövern. 90% seiner Arbeit, so Vio, sei psychologisch. Allerdings verbindet er Psychologie mit taktischen Spielzügen; Vio spricht sogar – sinnbildlich für die Vielzahl an Möglichkeiten – von 4830 Eckenvarianten alleine.
Die Bekanntheit Vios dauerte nur kurz; sein Erfolg allerdings länger.
Etablierung im Profibereich
57,4% aller 47 Tore Catanias in der Saison 2011/12 fielen durch Standardsituationen. Bis Sommer 2014 erzielten Gianni Vios Mannschaften von2009 an 40,6% all ihrer 288 Tore nach Standardsituationen. 117, um präzise zu sein. Eine genaue Auflistung findet sich hier von Opta / WhoScored:
Ob die Mannschaften sich in den letzten Jahren besser an Vio anpassen konnten, oder ob sich einfach generell die Raumdeckung verstärkt durchsetzt und schwerer zu bespielen ist, bleibt abzuwarten. Die konstante Effektivität von (Gianni Vios) Standards ist dennoch unzweifelhaft.
Und dennoch fällt es einem ungemein schwer überhaupt herauszufinden, wo Gianni Vio in den letzten Jahren überall arbeitete. Mit etwas Suche und Deduktion kann man erschließen, dass Vio folgende Stationen in den letzten Jahren hatte:
- Persönlicher Standardsberater Zengas
- Catania 2008-2012
- Fiorentina 2012-2014
- Milan 2014-15
- Brentford 2015-
Einen Einblick in seine Methodik des Trainings gibt es aber kaum. Sein letztes Buch ist nicht aktualisiert worden, das erste Buch kann kaum noch bestellt werden. Und wie genau er sie trainiert, bleibt relativ unklar. Eine Impression findet man nur im Internet:
Hier zeigt sich ein relativ simpler Ablauf bei einer Ecke; vermutlich dürften nach Sitzen der Bewegungen noch Gegenspieler hinzukommen und das Ganze variiert werden. Bei Analyse wird man auch feststellen, dass sie oft aus der gleichen Staffelung unterschiedliche Läufe haben; der Gegner kann sich also kaum daran anpassen.
Dadurch entstehen solche Spielzüge wie hier in seiner Zeit bei Fiorentina:
Schwer zu verteidigen und effektiv, ohne wirklich etwas zu verlieren.
Fazit
Innovation ist im Fußball manchmal nicht gerne gesehen; umso einleuchtender ist, dass Gianni Vio ausgerechnet zu Brentford wechselt, die vermehrt innovative Personen aus den unterschiedlichsten Bereichen einstellen. Ihre Statistikabteilung ist bereits durch viele Artikel gecovert worden und gilt als vorbildlich. Gianni Vios Standards werden dies auch sein. Doch Vio hatte schon vor seiner Einstellung einen enormen Effekt auf Brentford.
Beim FC Midtjylland, die dem gleichen Besitzer wie Brentford gehören, gab es bereits die Vio-Methodik zu beobachten. Allerdings nicht von Gianni Vio selbst kreiert. Stattdessen hatten Brentford und Midtjylland bei der Analyse von Standardsituationen im Fußball Vios Effektivität gefunden, sie analysiert und mithilfe eines eigenen Trainer für Standards, einem Gremium aus Trainern und Spielern zur Ideenfindung und Beratung durch Spezialisten aus dem American Football die Methodik kopiert. Sogar eigene Trainer für das Treten des Freistoßes selbst wurden engagiert.
Vios Verpflichtung war nur der logische Schluss. Und sie zeigt, dass Vio – im Kleinen und Geheimen – schon einiges im Fußball bewegt hat. Durch seine Geschichte wird es mehr Spezialisten und mehr innovative Köpfe außerhalb des Fußballs geben. Bald könnte es auch einen geben, der sich um Defensivstandards kümmert; diese spart Vio bisher geflissentlich aus.
Hier noch ein Lesetipp für Interessierte:
http://www.wearepremierleague.com/2014/10/the-value-of-corners-94-clubs-and-25000.html
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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