Nach sieben Runden ist neben Red Bull Salzburg, dem Topfavoriten auf die Meisterschaft, nur noch die SV Ried ungeschlagen. Mit 15 Zählern rangieren die... Starkes Pressing und präzises Umschaltspiel: Die Eckpfeiler des Rieder Höhenflugs

Michael Angerschmid (SV Ried)Nach sieben Runden ist neben Red Bull Salzburg, dem Topfavoriten auf die Meisterschaft, nur noch die SV Ried ungeschlagen. Mit 15 Zählern rangieren die Innviertler punktegleich mit den Salzburgern auf Platz zwei und demonstrieren damit einmal mehr, wie gut sie ihre beschränkten Mittel einsetzen können. Auf dem Platz äußert sich das insbesondere im taktischen Bereich. abseits.at blickt auf die Besonderheiten im Spiel der Oberösterreicher.

Pressing ist etwas, das trainiert werden kann“, sagt der aktuelle Trainer des FC Barcelona Gerardo Martino, „aber es hängt auch von der Motivation und Überzeugung der Spieler ab. Sie müssen laufen wollen.“ Sieht man sich den Kader der SV Ried an, erkennt man schnell, dass diese Voraussetzung gegeben ist. Er besteht nicht aus Einzelkämpfern, sondern aus Spielern, die bereit sind, sich in den Dienst der Mannschaft zu stellen.

Wirkung des Pressings in Österreich

Der Zweck des Pressings, so der italienische Fußballexperte Massimo Lucchesi, sei es „den Spielern der gegnerischen Mannschaft, die den Ball besitzt, Spielraum und Spielzeit wegzunehmen, um den Plan des gegnerischen Angriffsmanövers zu stören und den Ball wieder in den Besitz der eigenen Mannschaft zu bringen“. Wie viel Spielraum und Spielzeit dem Gegner genommen werden muss, hängt von dessen individueller Klasse ab.

So gelingt es etwa den Kickern des FC Barcelona auch unter enormen Druck den Ball in den eigenen Reihen zu halten, während es in der österreichischen Bundesliga oft schon reicht wenn der ballführende Spieler von einem einzelnen Spieler mit Tempo angelaufen wird. Austrias Philipp Hosiner nutzte das beispielsweise in der letzten Saison aus, indem er sprungartig das Tempo steigerte und den Gegenspieler in eine Stresssituation brachte, in der dieser den Ball verlor.  Die Vorgehensweise der SV Ried geht allerdings über dieses simple Anlaufen einzelner Spieler hinaus.

Die Rieder agieren mit Weitblick, versuchen dem Gegner immer gedanklich voraus zu sein und stellen Spieler zu, die erst nach ein, zwei Pässen anspielbar wären. Genau hier zeigt sich der Unterschied zu den meisten anderen Teams der tipp3-Bundesliga. Diese haben nämlich in aller Regel einen hohen Ballfokus, was darin mündet, dass sie viele unnötige Meter machen, dementsprechend früh schwere Beine haben. Wie stark sich das auswirken kann, zeigte letzte Saison Salzburgs 6:0-Sieg gegen Wiener Neustadt.

Die Vorgehensweise der SV Ried

Bevor in der Folge das Pressing und Umschaltspiel der Rieder anhand einiger Beispiele demonstriert wird und um für einen größeren „Aha-Effekt“ zu sorgen, sollen vorher noch die wichtigsten Punkte ihrer Vorgehensweise ausgeführt werden.

Rieds Pressing ist weder rein mann- noch rein raumorientiert. Während die ballnahen Spieler – in erster Linie sind es der Stürmer und Spieler der offensiven Dreierreihe – eng am Mann stehen, agieren die Spieler der zweiten Pressingreihe im Raum. Das erfordert eine hohe taktische Intelligenz, die vor allem die beiden Sechser erfüllen.

Ist man nicht mehr mit allen Spielern hinter dem Ball, beteiligen sich auch jene Spieler, die näher zum gegnerischen Tor stehen, am Pressing. Dies kann entweder dadurch geschehen, dass sie aktiv Druck auf den Ballführenden ausüben, oder einfach die Passwege nach hinten zustellen.

Der Moment der Balleroberung ist die Initialzündung zum Umschaltspiel, weswegen versucht wird, dem Ball bereits im Zweikampf die entsprechende Richtung zu geben bzw. ihn zu einem Mitspieler zu spielen. Je nach Feldposition folgt ein weiterer Pass oder der Spieler bewegt sich selbst Richtung Tor.

Nachdem der Ball in den eignen Reihen ist, greift Ried mit Spielern sowohl in der Mitte als auch links und rechts an. Idealerweise führt der zentrale Spieler den Ball, während sich die äußeren Akteure in die Breite orientieren. Dadurch will man dem Gegner, der in aller Regel eng steht und versucht den Weg zum Tor zu versperren, auseinanderziehen. Gelingt dies nicht, hat man auf den Seiten immerhin viel Platz für Abschlüsse oder Flanken.

Ried im Angriffspressing

Im ersten Beispiel nehmen wir das Angriffspressing der SV Ried unter die Lupe. Der Name suggeriert bereits, in welchem Spielfelddrittel es praktiziert wird. Derartige Situationen sieht man in erster Linie bei Abstößen, wenn der Gegner von hinten herausspielen will oder – wie hier – bei Einwürfen tief in der gegnerischen Hälfte. Die Szene stammt aus dem Spiel gegen den SV Grödig und kann in der Spielzusammenfassung auf laola1.tv (00:50) zum besseren Verständnis nochmal angesehen werden.

Hier sieht man die Zuteilung beim Einwurf der Grödiger. Oliver Kragl (schwarz), Sandro Wieser (blau) und Robert Zulj (gelb) stehen eng an ihren Gegenspielern, während Patrick Möschl (grün) eine Freirolle zukommt. Er kann je nach Aktion Druck nach vorne ausüben – zum Beispiel auf den Einwerfer gehen – oder seine Mitspieler im Zweikampf unterstützen. Rene Gartler (weiß) attackiert währenddessen den ballführenden Gegenspieler und zwingt ihn dadurch zu einem ungenauen Pass.

Des Weiteren erkennt man bereits hier, wie sich die Aktion verändern wird. Zulj orientiert sich schon bevor der Pass gespielt wird zum Innenverteidiger, was ebenso richtig ist wie das Abwarten von Möschl. Wieser hingegen scheint die Situation zu unterschätzen und lässt seinen Gegenspieler an den Ball kommen. Im nächsten Bild sieht man das ganze detaillierter.

Die engen Manndeckungen wurden mittlerweile aufgegeben. Beispielsweise steht Kragl so, dass er im Falle eines Passes auf Grödigs Nummer 23 sofort zur Stelle ist, aber auch bei einem langen Ball eine bessere Stellung hat. Möschls Position hat sich kaum verändert, was allerdings nicht falsch ist. Er kann weiterhin, je nachdem wohin der Ball kommt, frei reagieren und gegebenenfalls zusätzlich Druck ausüben. Wieser geht ebenso wie Gartler auf den Ballführenden und die beiden leiten das Spiel noch näher zur Seitenlinie.

Der Druck auf den Grödiger Spieler steigt dadurch ins Unermessliche. Zum einen weil er von Wieser attackiert wird, zum anderen weil er dahinter keinen freien Anspielstationen hat. Gartler und Möschl würden sofort den nahen Mitspieler attackieren, Pässe dahinter sind nur sehr schwer zu bewerkstelligen. Dementsprechend größere Abstände können die Rieder einhalten und zu dritt vier Gegenspieler aus dem Spiel nehmen.

Der Spieler mit der Nummer 23 würde umgehend von Möschl und Kragl attackiert werden, Zulj würde auf den Sechser im Zentrum nachrücken. Noch interessanter ist aber die aktuelle Stellung von Zulj. Zwar steht er nominell gegen drei Grödiger alleine, jedoch hat er in dieser Situation die beste Position. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass der Ballführenden einen sauberen Pass spielen wird. Er selbst müsste in alle Richtungen nur kurze Wege gehen um den Gegner zu attackieren, hält aber den kleinsten Abstand zum Ballführenden ein und ist bei einem Fehlpass im Vorteil.

Es folgt der unvermeidbare Fehlpass, den Zulj abfängt. Der rechte Innenverteidiger der Grödiger muss den Rieder attackieren, was den Raum in seinem Rücken öffnet. Genau dorthin sprintet Gartler, dem sich eine gute Torchance eröffnet. Wichtig dabei ist, dass der Rieder Stürmer davor an der Seitenlinie nicht blind auf den Ball ging, sondern sich näher zum Tor positioniert als die beiden Gegenspieler. Das gibt ihm den entscheidenden Vorsprung.

Ried im Mittelfeldpressing

Als nächstes wollen wir uns ansehen, wie die SV Ried versucht im Mittelfeld den Ball zu erobern. Da sich der Ball während eines Spiels im Allgemeinen hauptsächlich im mittleren Spielfelddrittel befindet, gilt das Mittelfeldpressing als wichtigstes Mittel der Balleroberung. Als Beispiel wird der Treffer zum 1:0 gegen Sturm Graz herangezogen.

Anel Hadzic bekommt hier den Ball und wird aus mehreren Gründen zu einem Rückpass gedrängt. Zulj (weiß) läuft den Ex-Rieder an, dahinter findet man die eingangs erwähnte Mischung aus mann- und raumorientierter Zuordnung. Sturms rechter Außenverteidiger wird von Möschl (gelb) gedeckt, allerdings nur so eng, dass er nicht angespielt wird, der Rieder Flügelspieler bei einem Pass in die Mitte gleichzeitig aber auch den Raum zu seiner Rechten verknappen kann.

Der dortige Grazer wird von Wieser in Manndeckung genommen (schwarz). Dasselbe gilt für Julius Perstaller, der seinen Gegenspieler im Mittelkreis zustellt (blau). Am passiven Flügel steht Clemens Walch (rot) genauso wie Marcel Ziegl (grün) in der Mitte im Raum. Dadurch können sie im Falle eines Wechselpass‘ frei reagieren und Überzahlsituationen herstellen.

Über Sturms Innenverteidiger kommt der Ball wieder an die Mittellinie. Die Positionen der Rieder haben sich mittlerweile geändert. Sie haben geschlossen nach vorne geschoben. Besonders beachtlich ist, wie weit Ziegl herausgerückt ist – ein extrem wichtiger Lauf, der die oben erwähnte taktische Intelligenz unterstreicht. Dadurch sichert er die ballnahen Pressingspieler noch enger ab und kann den ballführenden Gegenspieler sofort stellen, sollte er sich drehen können.

In der Bildmitte macht auch Perstaller wichtige Schritte vorwärts. So kann er im Falle eines Zuspiels auf den ballfernen Innenverteidiger diesen sofort attackieren bzw. sorgt er dafür, dass der Ballführende dieses Risiko gar nicht eingehen will – zumal dieser von Zulj unter Druck gesetzt wird. Dadurch wird der ballführende Gegenspieler zur schnellen Handlung gezwungen, wobei er nur mehr zwei Passoptionen hat. Hadzic steht im Deckungsschatten von Zulj und ist daher nicht anspielbar.

Ein Pass zum Innenverteidiger wäre möglich gewesen, hätte diesen aber in große Bedrängnis gebracht, denn die Rieder hätten wohl sofort nachgeschoben (grau Pfeile). Deshalb entscheidet sich der Ballführende für einen Pass zum Außenverteidiger, den Möschl antizipiert und sich – wie im obigen Bild zu sehen ist – schon vor dem Zuspiel zur Seite orientiert.

Sturms Rechtsverteidiger ist dem Druck offenbar nicht gewachsen, kann den Ball nicht ordentlich verarbeiten und lässt sich auf einen Zweikampf ein, den er verliert. In der Mitte sieht man, wie #Zulj und Perstaller auf den Ballgewinn ihres Mitspielers zocken und noch weiter nach vorne gehen. Die beiden Sturm-Spieler machen dasselbe, wodurch die Rieder in der Folge einen Drei-gegen-Drei-Konter fahren können.

Hier sieht man die bereits erwähnten Laufwege nach der Balleroberung. Möschl zieht mit dem Ball in die Mitte, während Zulj und Perstaller mit ihren Sprints das Spiel breit machen. Die Grazer Abwehrspieler bleiben eng, weswegen die Rieder auf den Seiten Platz haben. Einen Pass in den freien, rechten Raum sowie einen Perstaller-Schuss später ist der Ball im Netz.

Ried im Abwehrpressing

Zum Abschluss sei noch die Vorgehensweise zur Balleroberung im eigenen Spielfelddrittel und dem nachfolgenden Umschaltspiel ausgeführt. Auch dieses Beispiel stammt aus dem ersten Saisonspiel gegen den SV Grödig und kann auf laola1.tv (01:11) ebenfalls angesehen werden.

Ein Grödig-Spieler ist wieder an der Seitenlinie gefangen und stark unter Druck (gelb). Ein Pass in die Mitte scheint der sinnvollste zu sein, da – wie man im Video sieht – Rieds Stürmer nahe der Aktion steht, so den Passweg auf die Innenverteidiger versperrt und der Zentrumspieler zudem verhältnismäßig freisteht. Ziegl erkennt die Aktion und sprintet aus dem Zentrum heraus (rot). Er kommt zwar zu spät um den Gegenspieler vom Ball zu trennen, zwingt ihn aber zu einer vorschnellen und  schlecht durchdachten Aktion.

Der Spieler der Grödiger passt mit dem ersten Ballkontakt in die Mitte und bringt seinen Mitspieler dadurch in eine ausweglose Situation, denn dieser wird die ganze Aktion über von Thomas Hinum eng gedeckt (schwarz). Hätte er den Ball nicht schon an Rieds Rechtsverteidiger verloren, wäre der Druck über Walch (gelb) und Ziegl (rot) noch größer geworden. Zulj nimmt währenddessen seinen Gegenspieler in eine lose Manndeckung und steht aber dem gegnerischen Tor näher als dieser. So kann er ihn bei einem Zuspiel attackieren, gleichzeitig hat er aber im Falle einer Balleroberung einen kürzeren Weg zum Tor der Grödiger.

Hier sieht man schließlich erneut die typischen Umschaltbewegungen der Angreifer. Die äußeren beiden Akteure orientieren sich in die Breite, der Ballführende bleibt zentral. Ein Tor gelang den Riedern in dieser Szene allerdings nicht.

Alexander Semeliker, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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