Statistische Analyse von zentralen Mittelfeldspielern aus den Top-Ligen Europas
Taktik & Theorie 23.September.2015 Fabian Schaipp 0
In my teams, the goalie is the first attacker, and the striker the first defender.
Dieser heute gar nicht mehr so revolutionäre Ausspruch stammt (natürlich) von Johan Cruyff. Denkt man noch einen Schritt weiter als Cruyff , stellt man fest: Überwindet die ballführende Mannschaft die erste Reihe des gegnerischen Pressings, so verlagert sich das Geschehen meist in die Umgebung des Mittelkreises. Die jeweils zweite Phase des Attackierens und Verteidigens findet also im Aktionsradius der zentralen Mittelfeldspieler statt. Diese haben daher eine bedeutende Rolle für die Balance einer Mannschaft. Aus diesem Grund wählten wir einige bekannte Spieler auf dieser Position aus und analysieren deren statistische Daten, um am Ende eine Bewertung ihrer Qualitäten durchführen zu können.
In dieser Analyse beschränken wir uns auf zentrale Mittelfeldspieler mit Defensivfokus– also die sogenannten Sechser. Diese sind elementar wichtig für die Kontrolle von Zone 14 und haben in vielen Mannschaften durch Abkippbewegungen auch eine zentrale Rolle im Spielaufbau und Passspiel.
Spielerauswahl und Kategorien
Ausgewählt wurden Spieler, die in oben beschriebener Position spielen. Manche Spieler sind zwar etwas offensiver und spielen meist als Achter und in den Halbräumen (z.B. Pogba, Thiago oder Kroos). Dennoch ist es bei diesen durchaus vorstellbar, dass sie auch als Sechser eingesetzt werden können. Grundsätzlich sind sowohl Spieler in der Auswahl, die in einer Doppelsechs fungieren, als auch alleinige Sechser. Positionstechnisch eine Ausnahme bildet Emre Can, wobei bei ihm nur die Daten benutzt wurden, wo er als Sechser gespielt hatte.
In der Auswahl waren Spieler aus den Top-Ligen Europas (Deutschland, Spanien, England, Italien und Frankreich), die in noch eher jungem Alter sind aber schon den meisten in der Fußballwelt bekannt. Alle Daten stammen von WhoScored.com und beschreiben die Leistungen in den Ligawettbewerben 2014/15. Dabei wurden die Werte „per 90 Minutes“ genommen, um statistische Ausreißer zu vermeiden. Eine Bemerkung zur Spielzeit ist ebenfalls wichtig: Der klar beste Spieler laut Wertung ist Thiago Alcántara. Hier sollte aber nicht vergessen werden, dass seine Daten aus nur 281 Spielminuten stammen, während die meisten Spieler 1000-3000 Minuten gespielt haben.
Versucht man das (kontinuierliche) Fußballspiel in Phasen aufzuteilen, bekommt man schnell Schwierigkeiten. Die einfachste Aufteilung ist sicherlich diejenige in Offensive und Defensive – also Phasen von eigenem und gegnerischem Ballbesitz. Daher erstellten wir eigene Wertung für diese beiden Spielphasen. Sowohl die offensive als auch die defensive Wertung bestehen aus vier Kategorien, welche hier dargestellt sind:
Manche Kategorien sind selbsterklärend, andere sollten genauer erläutert werden: Unter Torgefahr verbirgt sich die Summe von Assists, Toren und Schüssen aufs Tor.
Bewusst wurde nicht die Erfolgsrate bei Dribblings gewählt sondern nur die absolute Anzahl. Dies kommt daher, dass nicht nur die Fähigkeiten beim Dribbling gewertet werden sollten, sondern auch die Risikobereitschaft, ein Dribbling zu versuchen. Daher wird ein Spieler der 3 aus 4 Dribblings erfolgreich gestaltet besser gewertet als einer, der ein Dribbling versucht und dieses auch erfolgreich ist.
Die Kategorie Ballgewinne ist wiederum die Summe aus gewonnenen Zweikämpfen und Interceptions. Die Kurzpassgenauigkeit wurde als Kategorie für die Defensive aus folgendem Grund gewählt: Abgefangene Kurzpässe führen im Spielaufbau fast sicher zur gegnerischen Torchance, da der Weg zum Tor kurz ist und der Stürmer sich sofort zum Tor orientieren kann, da der Ballverlust (aus Sicht des Sechsers) nicht durch einen verlorenen Zweikampf, sondern durch das Abfangen des Passes entsteht.
Die Abfangrate – wie gewinnt ein Sechser am besten den Ball?
Die wohl interessanteste Kategorie ist die Abfangrate. Die Formel dafür ist relativ einfach: Sie bildet den Anteil an Interceptions an den versuchten Ballgewinnen, also Interceptions plus geführte Zweikämpfe. Die Idee dahinter ist einfach zu erklären: Grundsätzlich sollte ein Sechser eher versuchen Bälle abzufangen, als sie per Zweikampf zu gewinnen, denn durch das Abfangen kann sofort und ohne gegnerische Bedrängung der Konter oder das eigene Passspiel eingeleitet werden. Ein sich intelligent positionierender Sechser wird daher einen größeren Anteil seiner Ballgewinne durch das Abfangen von Pässen bewerkstelligen.
Somit gibt diese Kategorie in gewisser Hinsicht Aufschluss, wie intelligent sich der Sechser bei gegnerischem Ballbesitz positioniert und ob es ihm gelingt, gegnerische Pässe zu antizipieren. Ob diese Metrik geeignet und sinnvoll ist, darf gerne diskutiert werden. Auch eine intelligente Positionierung des Sechsers kann dazu führen, dass für die Mitspieler das Abfangen von Pässen leichter ist (da er selbst schon Passwege zustellt und dann eventuell vom ballführenden Spieler riskante Passwege gewählt werden).
Auch andere Faktoren, wie zum Beispiel die allgemeine Defensivstrategie, haben Einfluss auf diese Wertung: Versucht das Team, den Ball durch direkten Druck auf den Ballführenden zu gewinnen, schneidet der Sechser wahrscheinlich schlechter ab als bei Pressing, das kombiniert wird mit dem Zustellen von Passwegen (wie zum Beispiel der FC Barcelona unter Pep Guardiola im Gegenpressing). Aus ebendieser Unsicherheit ob der Aussagekraft dieser Kategorie wurde sie auch nicht allzu stark gewichtet.
Hier das Ergebnis der Kategorie Abfangrate:
Die besten in dieser Kategorie sind also Krychowiak, Xhaka, Geis und Thiago.
Interessant ist dabei, dass bei der absoluten Anzahl an Interceptions auch genau diese Spieler vorne liegen, mit Ausnahme von Krammer, der die viertmeisten Bälle abfängt, aber auch die mit Abstand meisten Zweikämpfe sucht und daher in der Rate nicht mehr vorne liegt. Dennoch fällt auf, dass bei Borussia Mönchengladbach anscheinend auf eine hohe Anzahl an abgefangenen Pässen der Fokus gelegt wird, da auch Granit Xhaka hervorragend abschneidet (zumindest war dies im herangezogenen Testzeitraum – der Saison 2014/15 – der Fall)
Für die Gesamtwertung wurden alle acht Kategorien ohne die Kurzpassgenauigkeit gewählt, sie bildet also nicht den Mittelwert aus offensiv und defensiv, sondern wurde leicht zugunsten der Defensive gewichtet.
Wie schon angedeutet wurden die Kategorien jeweils gewichtet, wobei diese Gewichtung natürlich vom subjektivem Empfinden, welche Eigenschaften ein Sechser mit sich bringen sollte, abhängen.
Analyse des Ergebnisses – Thiago überragt alle
Die Werte wurden mithilfe Z-Transformation standardisiert. Auch wenn Thiago Alcántara sehr stark einzuschätzen ist, ist es schwierig zu erklären, wieso er dermaßen überragend abschneidet. Am wahrscheinlichsten sind als Ursache seine geringe Spielzeit und die allgemeine Dominanz der Bayern in der Bundesliga.
Dem mit deutlichem Abstand in Führung liegendem Thiago folgen also Kondogbia, Xhaka, Verratti, Krychowiak und Imbula.
Interessant ist auf den ersten Blick, dass die statistische Analyse unsere grobe Einschätzung der Spieler bestätigt: So ist Kroos offensiv sehr weit vorne, aber defensiv hat er Schwächen. Krychowiak ist einer der größten „Spezialisten“, aber schneidet insgesamt immer noch sehr gut ab, während Verratti der beste Allrounder unter den Top-5 ohne Thiago ist.
Zudem ist erwähnenswert, dass Paul Pogba, der von allen Top-Klubs umworbene Franzose, in dieser Wertung nicht so überragend abschneidet. Dabei muss man aber auch berücksichtigen, dass Pogbas ideale Position sicherlich nicht die Sechs ist, sondern er eher als offensiver Halbraumspieler eingesetzt werden sollte, der nach hinten abgesichert wird. Dasselbe gilt für Kroos, bei dem genau dies bei Real Madrid durch Modric‘ Hilfe auch sehr gut funktioniert.
Zwei Spieler, die sehr gut abschneiden, sind dabei noch bei weitem nicht so bekannt wie Pogba oder Kroos: Gianni Imbula und Geoffrey Kondogbia.
Diese beiden bis zum Sommer in Frankreich aktiven Sechser fallen durch ihre physische Ähnlichkeit auf, die sich auch auf den Spielstil auswirkt. Beide bestechen durch sehr dynamische Dribblings, Imbula ist allerdings im Passspiel sauberer und auch kreativer, während Kondogbia in der Kategorie Ballgewinne zu den Top-3 gehört (auf einem Level mit Thiago und Krychowiak).
Zusätzlich nochmal ein Diagramm zu den Einzelwertungen einiger ausgewählter Spieler. Bis auf Verratti haben alle von ihnen diesen Sommer den Verein gewechselt.
Abschließend eine kurze Betrachtung zum Ergebnis von Thiago Alcantara: Der Spanier liegt in allen Kategorien außer der Torgefahr über dem Mittelwert, am deutlichsten bei den erfolgreichen Dribblings und den KeyPasses. Auffällig ist auch sein Abschneiden bei der Zweikampfrate, was in der Berichterstattung selten erwähnt wird. In der Passquote ist der ehemalige Spieler von Barca ebenfalls überdurchschnittlich, zudem hat er die absolut meisten Pässe gespielt. Dies ist wohl aber auch auf den Spielstil des FC Bayern zurückzuführen.
Insgesamt bleibt abzuwarten, ob Thiago an diese (statistisch) starken Leistungen anknüpfen kann. Zudem wird es interessant sein zu sehen, welche Position er bei den Bayern letztendlich bekleidet. In den ersten Spielen der neuen Saison war er eher im linken Halbraum oder teilweise sogar als Linksaußen zu sehen und nicht in der Zentrale. In Anbetracht seiner Statistiken ist er für diese Position aber durchaus geeignet.
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Fabian Schaipp
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