Taktik-Leaks: So sah die frühe Arbeit des Andre Villas-Boas aus!
Taktik & Theorie 27.Dezember.2011 Daniel Mandl 3
„The Special One“ ist José Mourinho, der zuletzt mal wieder mit einem Lippenbekenntnis zur englischen Premier League aufhorchen ließ. Auf dem besten Weg ebenfalls „special“ zu werden, ist sein ehemaliger Mitarbeiter Andre Villas-Boas. Der heutige Chelsea-Coach hat schon in jungen Jahren eine bewegte Karriere hinter sich – und wir enthüllen einen Teil der Arbeit, die ihn vor einigen Jahren zu einer der größten Trainerhoffnungen weltweit machte.
Aber beginnen wir von vorne: Als Villas-Boas ein Jugendlicher war, wohnte er zufällig in der Nähe von Sir Bobby Robson, seinerzeit Trainer des FC Porto. Als Robson einen von Villas-Boas‘ Lieblingsspielern nicht mehr aufstellte, ergriff der damals etwa 17-Jährige für seinen Liebling Partei. Er verfasste Dossiers, wertete Statistiken aus, legte die technischen Fakten Schwarz auf Weiß auf den Tisch – oder besser gesagt: Er schob sie unter Sir Bobby Robsons Türmatte. Der englische Trainer begann sich, nach anfänglicher Genervtheit, schließlich für das junge Theorietalent zu interessieren und nahm ihn unter seine Fittiche. Dies ging sogar so weit, dass er Villas-Boas in sehr jungem Alter auf Trainerseminare schickte. Das Talent müsse gefördert werden.
Nationaltrainer mit 21
Andre Villas-Boas war erst 21 Jahre alt, als er erstmals ein Team coachte. Und dann sogar ein Nationalteam! Was nämlich die Wenigsten wissen ist, dass der Portugiese im Jahr 2000 die Nationalelf der Britischen Jungferninseln betreute. Dabei handelt es sich um die Amateurauswahl einer Inselgruppe mit 23.000 Einwohnern. Nach einem 1:5 und einem 0:9 gegen Bermuda war das Abenteuer für Villas-Boas auch schon wieder vorbei. Dennoch war diese erste Station wichtig für die weitere Entwicklung des Portugiesen. Villas-Boas blieb stets geduldig und beschränkte sich in seiner gemeinsamen Zeit mit José Mourinho beim FC Porto, FC Chelsea und Inter Mailand auf die taktische Gegneranalyse und Scouting. Nur ein Jahr nachdem der heute 34-Jährige seinen ersten Job als Klubtrainer bei Academica Coimbra bekam, gewann er mit dem FC Porto Meisterschaft und Europa League. Kurze Zeit später wurde er vom FC Chelsea als Cheftrainer verpflichtet – der Aufstieg des jungen Trainergenies gleicht bereits jetzt dem seines ehemaligen Chefs Mourinho.
Dem Europa-League-Sieger auf die Finger schauen
Das Internet gab nun einen Schatz frei, der die frühe Arbeit des Andre Villas-Boas zeigt. In Zeiten von Wikileaks werden nicht nur Staatsgeheimnisse oder brisante Infos über Politiker „leaked“, sondern hie und da auch so etwas Feines, wie eine Gegneranalyse made by Andre Villas-Boas. Das folgende Dokument stammt aus dem Herbst 2005, als Villas-Boas Assistenztrainer von José Mourinho beim FC Chelsea war. Vor dem Spiel gegen Newcastle United, das Chelsea später mit 3:0 gewann, analysierte Villas-Boas den Gegner. Und so sieht ein solcher Bericht am Ende aus:
Gegneranalyse über Newcastle United von Andre Villas-Boas (19.November 2005)
Das Verrückte daran: Villas-Boas erzeugte hier lediglich ein Muster für etwas, das auch in Österreich möglich wäre. Es gibt genügend engagierte, junge Taktikfüchse, die etwas Ähnliches herstellen könnten. Allerdings gibt es in Ländern wie Österreich zwei grundlegende Probleme: Einerseits sehen nur wenige Trainer ein solches Dossier als notwendig an – obwohl es das zur Optimierung der eigenen taktischen und technischen Möglichkeiten und Flexibilität eigentlich wäre. Ein zweites Problem sind die prinzipiell kleinen Trainerstäbe in unserem Land. So mancher Klub verfügt über keine Assistenztrainer, die eine solche Analyse richtig deuten und das Training darauf abstimmen können. Vom Fehlen von Defensiv-, Offensiv- oder Techniktrainern ganz zu schweigen. Es reicht also nicht nur den Gegner zu analysieren – man braucht auch Menschen, die die Fakten in die Hand nehmen, verstehen und ins Training einfließen lassen. Villas-Boas kann all das – und das macht den Mann aus Porto für den Taktik- und Spiellogistikinteressierten bereits jetzt zu einem neuen „Special One“.
Daniel Mandl, abseits.at
Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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