Im Fußball gibt es immer wieder taktische Aspekte, die Einzug in die Mainstreammedien finden. Leider  liegt es auch in der Natur der Sache, dass... Taktik richtig interpretieren (1): Formation vs. System

Taktik, Theorie, TaktikboardIm Fußball gibt es immer wieder taktische Aspekte, die Einzug in die Mainstreammedien finden. Leider  liegt es auch in der Natur der Sache, dass die Medien diese Aspekte nicht genau definieren, nicht präzise beschreiben und dadurch langfristig eine falsche Nutzung der Begrifflichkeiten erschaffen. In dieser Serie sollen diese grundlegenden Unterschiede geklärt  und die Bedeutung der Begriffe erklärt werden.

Der erste Teil beschäftigt sich kurz mit dem Unterschied zwischen Formation und System.

Formation gegen System

Es dürfte ein grundlegendes Problem des Fußballs sein, dass zu oberflächlich und zu zahlenorientiert über Fußball diskutiert wird. Ob in der vermeintlich kritischen Sportjournalistik oder dem breitflächigen Diskurs in den Populärmedien, beide werfen immer mit Zahlenkombinationen ohne Relevanz und Verbindung zum Kontext umher. So versuchen Kommentatoren panisch die Formation der Mannschaft zu beschreiben, während in der deutschen SportBild darüber diskutiert wird, dass Leverkusen nicht im 4-3-3, sondern im 4-3-2-1 spielt. An sich ist zumindest Letzteres als ansatzweise positive Entwicklung zu sehen.

Problematisch wird es aber, wenn die jeweiligen Medien die Formation in unterschiedlichen Situationen zu einer einzigen zusammenfassen möchten. Die Grundformation, die Defensivanordnung und die Stellung im Offensivspiel werden dadurch immer wieder zusammengeschmissen. Bei den Bayern unter Guardiola konnte man plötzlich hören, dass diese ja in einem 3-4-3 spielen, weil sich Philipp Lahm im Aufbauspiel zurückfallen ließ. Die Offensivformation wurde dann – weil sie bei den Bayern wegen des vielen Ballbesitzes am öftesten zu sehen ist – von manchen „Experten“ zur grundlegenden Staffelung erhoben.

Aber selbst eigentlich kompetente Experten wie Gary Neville, der beispielsweise gruppentaktische Vorgänge hervorragend erklären kann, kommen vereinzelt durcheinander. Der englische Taktikanalyst und Ex-Fußballer schrieb beispielsweise einen Artikel darüber, dass das 4-4-2 nicht tot sei, weil ja Dortmund und Bayern im CL-Finale in dieser Formation verteidigen. Und, so lautete das Argument, wenn beide CL-Finalisten in dieser Formation verteidigen, dann kann sie gar nicht schlecht sein.

Dem klassisch britischen 4-4-2 fehle es somit nur an den jeweiligen Spielern, um wieder Erfolg damit zu haben, anstatt einer neuen Formation. Auch wenn dieser Punkt durchaus stimmen mag, ist die Argumentation dafür nicht besonders schlüssig. Bei dieser Beschreibung der Bayern und des BVB sowie deren jeweiliger Formation geht es immerhin rein um die Defensivformation, was traditionell nicht das Hauptproblem der Engländer ist.

Ihr Hauptproblem dürfte eher die mangelnde Anbindung nach vorne gewesen sein, da sie ihr 4-4-2 mit zwei klassischen beziehungsweise auf das letzte Drittel fokussierten Spielern aufstellten. Bayern und Dortmund taten dies in Ballbesitz bekanntlich nicht wirklich; Toni Kroos bzw. Thomas Müller sind sehr variabel, sie bewegen sich sehr viel, der horizontal und der andere vertikal. Ähnliches trifft auf den BVB mit den ehemaligen Zehnern Götze und Kagawa zu, welche sie diese Saison mit Henrikh Mkhitaryan oder in einzelnen Spielen der Vorsaison mit Gündogan und Reus ersetzten.

Heutzutage spielt nahezu jede (Top-)Mannschaft mit einer Defensivformation, die von der Grundformation und von der Offensivformation abweicht. Dabei geht es letztendlich nicht um Formation. Sie ist nur ein Mittel zum Zweck, welches in unterschiedlichen Situationen und Spielphasen angepasst wird, um für die eigenen Zwecke und Fähigkeiten die ideale Staffelung zu haben. Eine Gefahr dieser fehlerhaften Ansicht von Formationen ist die Gleichstellung von System und Formation. Auch die Bedeutung dieser Formationen wird darum überschätzt.

Wie erwähnt wird schon ein gesamtes Jahrzehnt wird nun in England darüber diskutiert, ob man der restlichen Fußballwelt auf Nationalmannschaftsebene deswegen nachhinkt, weil man in einem 4-4-2 statt einem 4-2-3-1 oder 4-3-3 agiert. Doch das System ist das Entscheidende.

Das System bezeichnet nämlich die Mischung aus Formationen in unterschiedlichen Spielphasen, die Übergänge zwischen diesen Formationen, die Bewegungen innerhalb, die Mechanismen und Abläufe in gruppentaktischen Aspekten, die Rollenverteilung der einzelnen Positionen in dieser Formation und das Nutzen individualtaktischer Stärken sowie mannschaftstaktische Wechselwirkungen mit dem Gegner und die Verfolgung dieser Aspekte nach einem durchgängigen Matchplan im Sinne einer größeren Spielphilosophie.

Kurzum: Es ist deutlich mehr, als eine Zahlenkombination, die ungefähr so wertvoll ist wie die Telefonnummer des Platzwarts. Dieser kann nämlich auch dafür sorgen, dass in bestimmten Situationen im Spiel Vor- und Nachteile entstehen.

Ein Beispiel aus der Praxis dazu. Josep Guardiola sagte bei seinem Amtsantritt bei den Bayern zur geplanten Umstellung auf ein 4-1-4-1 den folgenden und enorm passenden Satz:

„Die Formation ist egal. Wichtig sind die Abläufe.“

Damit ist impliziert, dass mit jeder Formation mehr oder weniger effektiv eine bestimmte Philosophie verfolgt werden kann. Ballbesitzfußball ist im 4-4-2 ebenso möglich wie Konterfußball im 3-4-3. Doch damit auf Ballbesitz gespielt werden kann, benötigt eine Mannschaft die dafür notwendigen strategischen und gruppentaktischen Fertigkeiten.

Im Ballbesitzspiel ist nicht das ominöse 4-3-3 wichtig; wichtig sind das Positionsspiel, das Kurzpassspiel, das Freilaufen, die richtige Entscheidungsfindung, die strategisch intelligente Nutzung der Mitte, Unterstützung im Passspiel, richtige Ausrichtung der Sichtfelder, usw. usf. Und diese Aspekte fallen unter „System“.

Die Formation bezeichnet somit nur eine bestimmte Anordnung, während das System die Umsetzung dieser Anordnung nach größeren Prinzipien bezeichnet. Eventuell sollten die heutigen Medien diesen Aspekt stärker berücksichtigen, um passender kommunizieren und analysieren zu können.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

Schreibe einen Kommentar zu Gast x Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert