Im Fußball gibt es zwei große Analysebereiche, die sich mit dem Geschehen auf dem Fußballplatz selbst beschäftigen: Die Statistik und die Taktik. Zwar hat... Taktik und Statistik (2) – Die Zukunft der Analyse

TaktikIm Fußball gibt es zwei große Analysebereiche, die sich mit dem Geschehen auf dem Fußballplatz selbst beschäftigen: Die Statistik und die Taktik. Zwar hat jeder Verein Finanzanalysten, Organisationsberater, Experten für bestimmte Bereiche und natürlich zahlreiche Mediziner, welche die Trainingssteuerung, -belastung und den Fitnesszustand der Spieler analysieren. Was aber wirklich im Spiel geschieht und die Leistung der Mannschaft direkt beschreibt, liegt in den Händen der Taktik- und Statistikanalysten. Vielfach werden diese Bereiche aber separat voneinander betrachtet, obwohl das eigentlich nicht möglich ist..

In dieser zweiteiligen Serie besprechen wir den Zusammenhang zwischen diesen beiden Bereichen, wie sich beeinflussen und wie sie genutzt werden. Desweiteren wagen wir einen Ausblick auf den zukünftigen State of the Art in der Analyse des Fußballs.

Die Probleme mit On-Ball-Data im Fußball

Im ersten Teil dieser Analyse wurde erwähnt, dass sich auch der Inhalt verändern muss, um in einem fortlaufenden und wechselwirkenden Prozess wirklich nützlich zur Gegnervorbereitung, aber auch zur Eigenanalyse und im Spieler-Scouting zu sein. Dabei ist besonders das Problem gemeint, dass die Statistik im Fußball zwei große Fehler in der Messung begeht:

  • Es werden nur Aktionen und deren Erfolg gemessen, nicht die Entscheidung dahinter und die Erfolgswahrscheinlichkeit in dieser spezifischen Situation.
  • Es werden nur Aktionen gemessen, die vom Akteur in Ballbesitz gemacht werden. Sämtliche Aktionen ohne Ball – die immerhin für jeden Spieler 90% bis 98% der Aktionen seiner Nettospielzeit ausmachen – werden also übersehen. Wichtige Aspekte wie das Versperren von Räumen, das Freilaufen im Kombinationsspiel oder die richtige Entscheidung für die Fortführung des Angriffs werden weitestgehend vernachlässigt.

Natürlich helfen die bisherigen Daten und Analysen auch bei der Spieler- und Mannschaftseinschätzung. Die Erfolgsquote der Aktionen pendelt sich bei großen Nummern meistens auf ein relativ aussagekräftiges Niveau ein, einzelne Teameffekte können durch andere Werte korrigiert oder zumindest anders gewichtet werden. So geht man bereits dazu über, dass man bei bestimmten Spielern im Scouting die Ligastärke und gewisse Eigenheiten der Liga zur Korrektur der Werte nutzt oder auch über einzelne Extremwerte der Mannschaft noch die einzelnen Spielerwerte relativiert.

Das ist z.B. beim FC Barcelona wichtig, da durch die Spielanlage und –philosophie die Defensivwerte zu gering und die Passquoten zu hoch sind. Diese lassen sich über eine Relativierung mit dem Ballbesitz noch etwas korrigieren.

Andere Ansätze hingegen gehen eher von einer anderen Seite an dieses Problem heran. Sie messen den Einfluss des Spielers weder mit on- noch mit off-the-ball-Daten, sondern versuchen quasi einen „Plus-Minus-Score“ zu entwickeln. Hier wird im Spielgeschehen betrachtet, ob sich dieses verändert, wenn ein bestimmter Spieler spielt oder nicht spielt. Eine Seite, die sich auf hohem Niveau damit beschäftigt, ist beispielsweise goalimpact.com. Die Tordifferenz pro Minute wird bei jedem Spieler berechnet und mit der Tordifferenz pro Minute verglichen, wenn dieser Spieler nicht auf dem Feld steht.

Das ist natürlich eine etwas unpräzise Methode, die in einzelnen Punkten anfällig ist, welche auch nicht immer korrigiert werden können. So kann das Problem, dass in den Schlussminuten mehr Tore fallen, einfach relativiert werden, aber der Einfluss eines Spielers, der jede Partie macht, kann nicht wirklich gewichtet werden. Desweiteren wird eine gewisser Aufstellungs- und Kaderfluktuation sowie eine größere Anzahl von Spielen benötigt, damit die Werte aussagekräftig sind. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann ist diese Statistik aber durchaus ein hilfreicher Indikator, obgleich sie das „Warum“ dieser Werte meist nicht beantworten kann.

Deswegen wird die Zukunft in der Statistik und der statistischen Fußballanalyse anders aussehen. Die Firma Prozone weist den Weg.

Die Zukunft der Analyse – Wird der Taktikanalyst vom Computer ersetzt und automatisiert?

Prozone ist eine der führenden Statistikanalysefirmen der Fußballwelt und geht einen ganz anderen Weg mit einem höchst interessanten Ansatz. Sie sind eine der wenigen Firmen, welche mithilfe eines komplexen Videosystems präzise Trackingdaten ermitteln kann. Damit können sie messen, welcher Spieler sich zu welchem Zeitpunkt mit welcher Geschwindigkeit bewegt. Dies ermöglicht ihnen natürlich ganz andere Möglichkeiten, deren Potenzial enorm ist.

Das beginnt bei simplen taktischen Aspekten. Durch die Korrelation der Bewegungen zweier aneinander stehender Spieler aus unterschiedlichen Teams kann die Intensität und die Existenz einer Manndeckung mit einem Score wiedergegeben werden. Die Auswirkung eines Spielers auf die gegnerische Verschiebebewegung kann durch einen „Gravitationsscore“ dargelegt werden; zieht Spieler XY bestimmte Gegenspieler heraus oder sorgt für ein besonders aggressives Verschieben oder nicht? Auch die Präsenz in den Zonen zu bestimmten Zeitpunkten kann gemessen werden; hat Mannschaft X viele Spieler vor dem Ball im Aufbauspiel oder nur wenige? Hat Mannschaft Y viele Spieler im gegnerischen Strafraum beim Angriffsabschluss oder nicht?

Solche Analysen sind aber noch relativ einfach. Komplexere Sachen wie Organisationsstrukturen, Verbindungen zwischen Spielern, ein „Entscheidungsscore“, Sichtfeldanalysen oder hochkomplexe künstliche neuronale Netzwerke sind mit Trackingdaten bei ausreichend Zeit, Arbeit und natürlich genug Fachkompetenz – taktisch wie statistisch – möglich. Und hier fällt das entscheidende Stichwort.

Berufsveränderung vonnöten?

Je komplexer die statistische Analyse wird, umso kompetenter muss der Analyst auch in puncto taktische Analyse sein. Wer mit Trackingdaten herausfinden möchte, ob Spieler XY eine gute Entscheidungsfindung hat oder ob eine bestimmte Mannschaft gut organisiert ist, der muss zur Messung auch wissen, was eine gute Organisation oder eine richtige Entscheidung ist. Bereits jetzt ist der Taktikanalyst natürlich Statistiker. Er interpretiert aktuell aber mehr, als es in Zukunft der Fall sein wird, wenn sich taktische und statistische Analyse nicht nur mehr ergänzen, sondern immer stärker vereinigen.

Die Interpretation wird sich dann nicht mehr auf jene der Statistiken beziehen, welche die eigene Taktikanalyse ergänzt und woraus dann Taktiken gebaut werden; die Interpretation wird schon das Spiel selbst betreffen. Aus dieser Interpretation und Analyse des Fußballspiels als solchem werden die Statistiken gebaut und dann Woche für Woche gegnerspezifisch angepasst, analysiert und verändert. in Zukunft wird die Synthese und Abstraktion für den Taktik- wie Statistikanalysten immer wichtiger, wenn sie überhaupt noch zwei eigenständige Berufe bleiben werden. Der Statistiker mit enormer taktischer Kompetenz (oder gar generell im Coaching) und der Taktikanalyst mit Fähigkeiten in statistischen Programmen wie MATLAB oder R sowie generell in der Statistik werden die Regel sein und nicht die Ausnahme bleiben. Es ist nur eine Frage der Zeit.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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