Wenn über Spielkultur diskutiert wird, dann fällt oft der Begriff der „abkippenden Sechs“. Er beschreibt das Verhalten eines Mittelfeldspielers, meistens eines Sechsers, der sich... Taktikanalyse: Die pendelnde Sechs (Teil 5)

TaktikWenn über Spielkultur diskutiert wird, dann fällt oft der Begriff der „abkippenden Sechs“. Er beschreibt das Verhalten eines Mittelfeldspielers, meistens eines Sechsers, der sich im Spielaufbau zwischen oder neben die beiden Innenverteidiger zurückfallen lässt, um von dort aus das Spiel der eigenen Mannschaft „anzukurbeln“.  Aber was ist eigentlich der Grund für dieses Verhalten? Und beschreibt das Adjektiv „abkippend“ wirklich alle Facetten der Bewegung?

Im letzten Teil der Serie geht es unter Betrachtung der Vor- und Nachteile einer abkippenden Sechs darum, wie sich ausgewählte moderne Sechser bewegen, und dass diese Spielweise eher einem „Pendeln“ als einem bloßem nach hinten Fallen nahe kommt.

Definition des pendelnden Sechsers

Weil durch das Abkippen nicht nur Vorteile entstehen, sondern eben auch gehörige Nachteile, sollte das Abkippen dosiert und nur dann angewendet werden, wenn es notwendig ist. Viele Mannschaften spielen standardmäßig mit dieser Variante, obwohl sie in vielen Situationen gar nicht unbedingt notwendig ist. Intelligente und gute Spieler wie Lahm oder Busquets versuchen das Abkippen oftmals wenn möglich sogar zu vermeiden und sich stattdessen so zu postieren, dass sie es situativ tun können. Die Bewegung von ständigem nach vorne Gehen und sich wieder fallen lassen, kann als Hin- und Herpendeln beschrieben werden. Dabei ist ein pendelnder Sechser ein Spieler, der den tiefen spielmachenden Part im Mittelfeld übernimmt und dabei durch das wechselweise Abkippen in die letzte Reihe und Hochbleiben im Mittelfeld versucht Verbindungen nach vorne zu schaffen und diese nicht abreißen zu lassen. Dabei wird er versuchen, wenn es geht hoch zu spielen und sich nur situativ nach hinten fallen zu lassen.

Das Pendeln in den Halbräumen bei Borussia Dortmund: Sebastian Kehl und Nuri Sahin

Wenn beim BVB die Doppelsechs aus Nuri Sahin und Sebastian Kehl besteht, dann spielt meistens  Sahin den zentralen Part zwischen den Innenverteidigern, zwischen die er sich fallen lässt, wenn entweder Druck auf die Innenverteidiger kommt, oder aber die Passwege zu den breit positionierten Außenverteidiger nicht mehr offen sind. Kehl hält sich solange im halblinken Sechserraum auf, und kippt zur Seite heraus, wenn der linke Innenverteidiger, meist Subotic, den Ball erhält und keine Raum vor sich findet, den er andribbeln kann. Er positioniert sich dann nahe der Außenlinie, ermöglicht dadurch ein weiteres Aufrücken des Außenverteidigers, und auch Sahin kann jetzt die letzte Reihe wieder verlassen und ins Mittelfeld aufrücken. Dadurch entstehen viele Übergabemomente beim Gegner und der BVB schafft es dann immer wieder Sahin im Sechserraum anzuspielen. Von dort verlagert dieser das Spiel dann oft auf den mit Tempo aufrückenden rechten Außenverteidiger Pisczek, der meistens viel Raum vor sich hat, in den er dynamisch hineinstoßen kann.

Sahin rückt in dieser Aufbauvariante immer wieder von der letzten Reihe ins Mittelfeld und zurück, und Kehl verhält sich ähnlich, nur verschiebt er horizontal. Beide Bewegungen sind aber aufeinander abgestimmt und nicht statisch.

Das Pendeln im zentralen Raum bei Bayern München: Phillip Lahm

Bei Bayern München sind, bzw. waren die Bewegungsmuster etwas anders, wenn Lahm den tiefen spielmachenden Part spielte. Generell kann man nicht sagen, dass ein Bayern-Spieler immer den tiefsten Part spielt, es gab aber Phasen in dieser Saison, in denen Phillip Lahm generell am tiefsten spielte und meistens zwischen den Innenverteidigern stand. Er tat das konsequenter, als z.B. Sahin bei Dortmund, was aber auch an der veränderten Rollenverteilung im Bayern-Mittelfeld liegt, wo es keine klassische Doppelsechs mit Zehner gibt, sondern neben dem tiefen spielmachenden Part im Mittelfeld noch zwei Achter. Diese beiden Spieler versuchten, meistens einer von ihnen, sich neben der gegnerischen ersten Pressinglinie anzubieten, wobei der andere nach vorne schob. In der Regel kippte Schweinsteiger in den linken Halbraum, der rechte wurde durch die inverse Spielweise des Außenverteidigers Rafinha besetzt. Um konsequent diese Räume anspielen zu können, blieb Lahm oftmals tief um dadurch Breite in letzter Linie zu erzeugen, wobei seine Position zeitweise etwas statisch wirkte. Ein beispielhaftes Defensivsystem, gegen das diese Art der Rollenverteilung mit dem statisch wirkenden Lahm zum Einsatz kommen könnte, wäre ein 4-5-1, das als hohes Mittelfeldpressing gespielt wird.

In Spielen, in denen der Gegner mit einem 4-4-2 gegen den Ball agierte, zeigte sich Lahm hingegen flexibler. Oftmals versuchte er dann aus der letzten Reihe ins Mittelfeld zu dribbeln und so lange wie möglich die Schnittstelle zwischen den Stürmern zu besetzten, um ggf. über diese den Spielaufbau zu ermöglichen.

Fazit

Wie an den Beispielen aus der  „Praxis“ ersichtlich wird, ist der Spielaufbau und das Abkippen an sich nichts Statisches, das einfach so vollzogen wird, sondern sich immer wieder an die Situation anpasst. Je komplexer diese sind, desto eher werden der oder die Sechser pendelnde Bewegungen durchführen, um sich in ihrer Positionierung immer wieder an die neue Situation anpassen zu können. Sicherlich gibt es auch Spielsituationen, in denen das Abkippen statisch wirkt, und deshalb nicht als Pendelbewegung wahrgenommen wird, weil das Aufrücken ins Mittelfeld gar nicht nötig ist. Das wäre z.B. dann der Fall, wenn Mannschaften im Spielaufbau sowieso mit langen Bällen operieren, und das Abkippen als „einzigen“ Zweck hat, die entsprechenden Strukturen dafür zu schaffen. Generell könnte man vielleicht sagen, dass das Abkippen eine Teilfacette des Pendelns darstellt, welches wiederum die ständige Anpassung in der Positionierung eines Sechsers im Spielaufbau beschreibt.

Tobias Robl, www.abseits.at

Tobias Robl

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