Du kennst das sicher: Du sitzt im Stadion und hinter dir ist ein Schreihals, der sich andauernd über einzelne Spieler oder deren Spielweise aufregt,... Taktische Anweisungen von der Tribüne (2) – „Naaa!!! Net z’ruck!!!“

Du kennst das sicher: Du sitzt im Stadion und hinter dir ist ein Schreihals, der sich andauernd über einzelne Spieler oder deren Spielweise aufregt, offensichtlich ohne einen Plan zu haben, was da am Spielfeld wirklich abläuft. Um deinen Stadionbesuch erträglicher zu gestalten, startet abseits.at eine Serie, die auf die häufigsten „taktischen Anweisungen von der Tribüne“ eingeht und einfache taktische und spielerische Situationen und ihre potentiellen Lösungen verdeutlicht.

Die zweite taktische Anweisung, die wir unter die Lupe nehmen lautet: „Naaa!!! Net z’ruck!!!“ (österreichisch: „Nein! Bitte, spiel‘ den Ball nicht [wieder] nach hinten!“)

Klar, im Fußball muss es schnell gehen. Acht-, Zehn-, Zwölfsekundenrichtlinien bis zum Torabschluss… die Top-Trainer, die derartige Devisen ausgeben, werden samt Mannschaft für schnelles Umschaltspiel über den grünen Klee gelobt und moderne Fernsehstationen scheuen keine Kosten und Mühen, um den schnellen Angriffen oder Gegenstößen ein eigenes Stoppuhr-Insert in der linken unteren Bildecke zu widmen. ABER: Es muss eben nicht immer schnell gehen und das hat verschiedene Gründe.

Auch hier beobachten wir eine klassische Abfolge der Ereignisse: Mannschaft A gewinnt den Ball in der eigenen Hälfte, schaltet mit einigen Spielern schnell um und versucht möglichst bald mit dem Ball die unmittelbare Gefahrenzone zu erreichen. Nun gibt es mehrere Möglichkeiten, wie die Situation enden kann: Tor (ideal), Eckball/Freistoß (nicht schlecht), Ballverlust in der Vorwärtsbewegung (schlecht) oder der Pass zurück. Geht es nach so manchem Tribünenschreihals ist der Retourpass so ziemlich das Schlimmste, was passieren kann. Das Publikum will schließlich unterhalten werden.

Wenn man eine Aktion schnörkellos und erfolgreich zu Ende spielen kann, dann sollte man das natürlich tun. Wenn nicht, sollte man im taktikgeprägten Fußball nicht immer versuchen sein Glück zu erzwingen-  und mit dem Neuaufbau des Spiels, also einem Pass in die Defensive oder notfalls auch zum Torhüter, erzeugt man Kontrolle. Auch wenn es der Zuseher nicht gerne sieht oder wahrhaben will.

Folgende Sätze muss man sich immer vor Augen halten:

  • „Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich allerdings alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.“ – Zitat des 1980 verstorbenen, französischen Philosophen Jean-Paul Sartre.
  • Im Falle eines Konters wird der Gegner versuchen schnell von Offensive auf Defensive umzuschalten – und das ist für gewöhnlich ohne Ball einfacher als mit.
  • Im Falle einer „Belagerungssituation“ wird der Gegner versuchen defensiv dicht und gestaffelt zu stehen bzw. je nach Anforderung aggressives oder „kontrolliertes“ Pressing spielen.
  • Die Punkte 1 bis 4 beweisen: Ja, es ist auch ein Gegner auf dem Platz!
  • Der wohl wichtigste Punkt: Ein Pass zurück ist nicht zwangsläufig „etwas Defensives“, sondern eröffnet einer Mannschaft neue Möglichkeiten. Und dies wiederum zeugt von Kontrolle.

Wir möchten kurz vom Konter weggehen und die Grundproblematik anhand eines Beispiels erklären. In diesem Beispiel steht der ballführenden Mannschaft A (weiß) eine sehr defensiv orientierte Mannschaft B (schwarz) gegenüber, die sich vor dem eigenen Strafraum einigelt.

Der Innenverteidiger eröffnet das Spiel, indem er den linken Mittelfeldspieler anspielt. Dieser wird von seinem Außenverteidiger hinterlaufen. Man versucht hier also einen Angriff zu initiieren.

Aber irgendwie haut das nicht ganz so einfach hin, weil der Gegner zu tief steht. Sich trotzdem mit gepflegtem Passspiel durch die Abwehrreihen der schwarzen Mannschaft zu spielen, erfordert technische Überlegenheit. Nicht jedes Team hat diese Mittel.

Nun kann man sich als Mannschaft jedoch einen Vorteil verschaffen, wenn man sich strategisch richtig als „Block“ bewegt und dann einen Pass zu einem Verteidiger spielt, um den Angriff neu aufzubauen. Die Vorteile, die sich daraus ergeben:

  • Der Gegner muss gezwungenermaßen etwas herausrücken und gibt Räume hinter der Abwehr frei (außer er hat absolut kein Interesse selbst einen Treffer zu erzielen, wovon wir angesichts dessen, dass derjenige punktet, der mindestens einmal mehr trifft als der andere, nicht ausgehen wollen).
  • Speziell in Systemen wie dem 4-2-3-1 oder dem 4-3-3 eröffnen sich somit Möglichkeiten, speziell für Flügelspieler, um Lücken in der gegnerischen Abwehr zu finden. Das eigene Laufspiel wird somit potentiell facettenreicher.
  • Bälle hinter die Abwehr sind nun einfacher zu spielen, weil sich hinter der Viererkette mehr Platz bietet. Egal, ob es sich um Lochpässe, hohe Bälle hinter die Verteidigungslinie oder Diagonalbälle handelt.
  • Man zwingt den Gegner zu Reaktionen. Anstatt sich nach und nach vorne festzulaufen, sorgt man dafür, dass der Gegner unentwegt „schieben“ muss. Somit ist es wahrscheinlicher, dass ihm irgendwann ein taktischer Fehler unterläuft.

In dieser Grafik sehen wir, dass die schwarze Mannschaft nun etwas hinausrückt und Räume hinter der Abwehr freigibt. Die Pfeile symbolisieren mögliche Laufwege für die Spieler der weißen Mannschaft, die es vorher wegen der tiefen Staffelung des Gegners nicht gegeben hätte. Allgemein hat die weiße Mannschaft nun etwas mehr Platz, weil sich mehrere Spieler der schwarzen Mannschaft etwas offensiver orientieren – etwas blasser ist auch die vorherige Staffelung der schwarzen Mannschaft in dieser Grafik zu sehen.

Natürlich ist dies nicht allgemein gültig – aber es wäre ein fataler Irrglaube zu denken, dass Pässe nach hinten keine unmittelbare Auswirkung auf das eigene Offensivspiel haben können.

Im Falle eines Konters kommt ein weiteres Problem hinzu: Man ist als angreifender Spieler auch immer davon abhängig, wie gut die eigenen Teamkollegen umschalten und „mitkommen“. Nun ist das mürrische und auf der Tribüne häufig vernommene Eingeständnis „…‘s hüüft erm kana“ eh schon so etwas wie ein Freispruch für den ballführenden, konternden Spieler, der dann doch wieder nach hinten passt. Aber dennoch muss man wie bei unserem gestrigen Beispiel immer eher darüber nachdenken, was die neun Feldspieler ohne Ball machen und wie sie sich bewegen – nicht unbedingt was der Ballführende macht.

Weil wir schon Sartre zitierten, möchten wir auch noch philosophisch werden und zum Nachdenken anregen: Was der Ballführende macht ist eine Momentaufnahme, die sehr schnell wieder vorbei ist. Was die Mitspieler währenddessen ohne Ball machen, ist ein Konzept! Sollte es in einer taktisch cleveren Mannschaft zumindest sein…

Hier geht´s zum dritten und letzten Teil dieser Serie.

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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