Taktische Revolutionen (6) – Guardiola und das Tiqui Taca
Taktik & Theorie 9.Januar.2013 Nino Duit 1
In dieser mehrteiligen Serie wollen wir euch die gewieftesten Trainer der Fußballgeschichte und deren taktische Entwicklungen vorstellen. Während andere Trainer vielleicht mehr Erfolge feiern konnten, können diese von sich behaupten das Spiel mit ihren Ideen nachhaltig geprägt zu haben. Um zu verstehen, wie es zu den heute gängigen Systemen, wie dem 4-4-2 oder dem 4-2-3-1 kam, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit.
Der legitime Nachfolger des Voetbal Totaal
Es war eine wahre Demonstration ihrer Stärke, dieses Champions-League-Finale im Wembley Stadion im Mai 2011. Passend zum Austragungsort, den Pele als „Kirche des Fußballs“ bezeichnete, bot der FC Barcelona eine beinahe himmlische Leistung. Mit 3:1 wurde Manchester United nicht nur besiegt, sondern auch vorgeführt; das Ergebnis hätte noch weit höher ausfallen können. Der FC Barcelona bestach durch frühes Pressing, schier endlosen Ballstafetten und One-Touch-Fußball. Kurz: Tiqui Taca. Neben Superstar Lionel Messi beherrschen in dieser Mannschaft auch alle anderen Spieler dieses aufwendige, auf Ballbesitz ausgelegte Spiel beinahe blind. Urheber dieses Systems ist Trainer Josep „Pep“ Guardiola. Seine Leistung war es, den Voetbal Totaal, den die Niederländer unter Rinus Michels in den 1970er Jahren anwandten, an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Auch Arrigo Sacchi, der Trainer des AC Mailand der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre ließ sich zwar vom Voetbal Totaal beeinflussen, doch dieser führte doch noch einige Änderungen an diesem System durch. So übernahm er beispielsweise einzelne taktische Mittel, wie etwa das Pressing oder die aggressive Abseitsfalle von der berühmten Ajax-Elf, trotzdem entwickelte er mit der 4-4-2-Formation ein neues System. Das Tiqui Taca des FC Barcelona unter Guardiola ist aber in Wirklichkeit der legitime Nachfolger des Voetbal Totaal der Niederländer aus den 1970er Jahren – verantwortlich für diesen Kulturtransfer war vor allem Johan Cruyff.
Cruyff in Barcelona
Im Sommer 1973, nach drei Triumphen im Europapokal der Landesmeister in Folge mit Ajax Amsterdam, suchte Johan Cruyff nach einer neuen Herausforderung – und fand sie in Barcelona, bei seinem ehemaligen Trainer Rinus Michels. Der Mann, der gemeinsam mit Cruyff bei Ajax den Voetbal Totaal entwickelt hatte, versuchte dieses neue System auch in Barcelona einzuführen. Viel nachhaltiger als Michels Tätigkeit bei den Katalanen, war aber die von Cruyff. Seit mittlerweile fast vierzig Jahren prägt er den FC Barcelona mit seinen Ideen maßgeblich. Als Spieler, Trainer, Ehrenpräsident und Berater implementierte er seine Fußballphilosophie in Barcelona.
Bereits 1979, noch während seiner Zeit als Aktiver, begann Cruyff sich Gedanken um die Zukunft des FC Barcelona zu machen. Mit seinem Vorschlag eine Nachwuchsakademie zu gründen sollte er den Verein nachhaltig prägen – und auch selbst davon profitieren. Als Cruyff die Katalanen rund zehn Jahre später als Trainer übernahm, bediente er sich bei der Zusammenstellung seiner Mannschaft kräftig in eben dieser Akademie, bekannt unter dem Namen „La Masia“. Einer der Spieler, die Cruyff aus der Nachwuchsschmiede hoch in die erste Mannschaft zog war ein gewisser defensiver Mittelfeldspieler, ein Stratege mit einer feinen Technik und, ähnlich wie Cruyff selbst, mit einer noch besseren Übersicht, der auf den Namen Josep Guardiola hört.
In den sechs Jahren von 1990 bis 1996, in denen Guardiola unter Cruyff spielte, konnte er nicht nur riesige Erfolge feiern, sondern auch die niederländische Fußballphilosophie, den Voetbal Totaal, den Cruyff beim FC Barcelona lehrte, studieren. Neben einem Triumph im Europapokal der Landesmeister im Jahr 1992, konnte das berühmte „Dreamteam“ des FC Barcelona auch vier Meistertitel erringen. Die Mannschaft, gespickt mit klingenden Namen wie Hristo Stoichkov, Ronald Koeman oder Michael Laudrup begeisterte mit einem attraktiven und offensiven Fußball.
Über den FC Barcelona B nach oben
Nachdem Guardiola den FC Barcelona im Jahr 2001 verließ, ließ er seine Karriere als Aktiver in Italien und Katar ausklingen. Um sechs Jahre später nach Katalonien zurückzukehren. Als Trainer von Barcelona B lernte er nicht nur das Ausbildungssystem, das er schon als Aktiver durchlaufen hatte, auch als Trainer kennen, sondern traf auch auf einige Spieler, die in seiner späteren Tätigkeit als Coach der ersten Mannschaft eine entscheidende Rolle spielen sollten. Neben Pedro Rodriguez sollte hier besonders Sergio Busquets, einer der Schlüsselspieler der heutigen Elf, erwähnt werden. In den Jahren bevor Guardiola seine Tätigkeit bei Barcelona B aufnahm, schafften schon Spieler wie Andres Iniesta, Xavi Hernandez oder Victor Valdez, heute allesamt Weltstarts, über diese Zwischenstation den Sprung in die erste Elf.
Als Coach von Barcelona B konnte Guardiola große Erfolge feiern. Bevor er die Mannschaft im Sommer 2007 übernahm, konnte diese gerade noch den Klassenerhalt in der vierten Liga sichern. In der nächsten Saison gelang Guardiola mit dem FC Barcelona B der Aufstieg in die dritte Liga. Für die Verantwortlichen, darunter Ehrenpräsident Cruyff, Grund genug den damals 37-Jährigen zum Cheftrainer der ersten Mannschaft zu befördern.
Blindes Verständnis und Pressing
In Guardiolas, von 2008 bis 2012 währender, vierjähriger Amtszeit als Trainer des FC Barcelona prägte er mit seiner Philosophie die Fußballwelt entscheidend. Gemeinsam mit Tito Vilanova, seinem damaligen Co-Trainer und dem jetzigen Chefcoach der Katalanen, entwickelte er ein neues Spielsystem, eine Art Voetbal Totaal des 21. Jahrhunderts: das Tiqui Taca. Um diesen Spielstil wirklich erfolgsbringend anwenden zu können müssen sich aufgrund der hohen Anforderungen an die einzelnen Akteure alle Spieler untereinander beinahe blind verstehen. Genau diese Tatsache ist im Fall des FC Barcelona gegeben, da sich die meisten Spieler schon seit Jugendtagen kennen und gemeinsam in der Talenteschmiede „La Masia“ ausgebildet wurden.
Die Grundlage des Tiqui Taca ist also der Voetbal Totaal, den die Niederländer in den 1970er-Jahren praktizierten. Wie beim Voetbal Totaal ist es auch beim Tiqui Taca entscheidend, dass ein ungemein aggressives Pressing gespielt wird und die gegnerische Mannschaft schon weit in deren eigener Hälfte attackiert wird. Dadurch spart sich die Mannschaft lange Wege zurück in die eigene Spielhälfte. Als ideale Formation für dieses Pressing gilt das 4-3-3-System. Genau dieses System wird beim FC Barcelona als defensive Grundformation angewandt,wobei die Viererabwehrkette sehr weit aufrückt. Als kompakter Block attackiert der FC Barcelona mittels Gegenpressing sofort nach eigenem Ballverlust das gegnerische Team.
Die Entwicklung des Tiqui Taca
Ist der Ball wieder zurückerobert, wechselt das Team umgehend in die offensive Grundformation, ein 3-4-3-System. Schon bei Ajax der 1970er-Jahre wurde eine Mischform zwischen 4-3-3 und 3-4-3 angewandt. Damals steckten aber andere taktische Überlegungen dahinter. Rinus Michels agierte nämlich mit einem Libero, der in der Defensivformation in der Abwehr verharrte, während er in der Offensivformation ins Mittelfeld aufrückte. Beim FC Barcelona von heute passiert eigentlich das Gegenteil. Befinden sich die Katalanen in Ballbesitz, so lässt sich der nominelle defensive Mittelfeldspieler, meist Sergio Busquets, zwischen die beiden Innenverteidiger fallen. Dadurch entsteht eine Dreierabwehrkette. Währenddessen rücken die beiden Außenverteidiger so weit auf, dass sie als Mittelfeldspieler, aber beinahe schon als Flügelstürmer agieren. Besonders der Rechtsverteidiger der Katalanen, Dani Alves, muss hier erwähnt werden. Mit Iniesta und Xavi spielen eigentlich nur zwei Spieler permanent im Mittelfeld wobei auch diese während des Spiels gelegentlich mit den nominellen Stürmern die Plätze tauschen.
Bei eigenem Ballbesitz spielt der FC Barcelona also in einer 3-4-3-Formation. Hierbei wird, anders als beim Voetbal Totaal nicht versucht schnell nach vorne zu spielen, sondern primär den Ball in den eigenen Reihen zu halten – dadurch entsteht der extrem hohe Ballbesitzanteil des FC Barcelona, der oftmals die 75-Prozent-Marke übertrifft. Die Spieler sollen den Ball so schnell wie nur irgendwie möglich zirkulieren lassen; meist wird er von einem Spieler mit nur einer einzigen Berührung zum nächsten weitergeleitet. Die Spieler die gerade nicht den Ball haben, müssen sich permanent bewegen, um ihren Kollegen mehrere Anspielmöglichkeiten zu bieten. Mit vielen Doppelpässen und Positionsrochaden soll der Gegner verwirrt werden, mit ständigen Spielverlagerungen soll er zum ermüdenden Verschieben gezwungen werden. Da der FC Barcelona eigentlich ohne echte Sturmspitze, dafür aber mit fast ausschließlich kombinationsstarken, technisch versierten und schnellen Offensivspielern agiert, ist das Team noch weniger ausrechenbar. Das Herzstück dieser Elf bilden mit Sicherheit die beiden Mittelfeldspieler Xavi und Iniesta, die mit ihrer Übersicht und Spielstärke die drei Stürmer, insbesondere Lionel Messi, mit klugen Pässen einsetzen.
Erfolge über Erfolge
Der FC Barcelona unter Josep Guardiola ist eine einzige Erfolgsgeschichte. In seiner vierjährigen Tätigkeit als Coach der Katalanen errang seine Elf 14 von 19 möglichen Titeln, darunter dreimal die spanische Meisterschaft, zweimal den spanischen Pokal und 2009 und 2011 jeweils die Champions League, den Weltpokal und den UEFA Super Cup.
Spätestens durch diese Mannschaft wurde bewiesen, dass die These, wonach eine gute Offensive Spiele und eine gute Defensive Titel gewinnt nicht korrekt ist – zumindest nicht ganz. Schließlich schied der FC Barcelona unter Guardiola auch zweimal in der Champions League aus. Mit Inter Mailand und dem FC Chelsea jeweils gegen eine ultradefensive Mannschaft. Trotz dieser beiden Nackenschläge, gelang den Katalanen allgemein betrachtet eine Reihe riesiger Erfolge die jeweils mit beeindruckendem Fußball gewonnen wurden.
Diesmal auch im Nationalteam erfolgreich
Während es anderen großartigen Verfechtern des Offensivfußballs, wie etwa Gusztav Sebes, Rinus Michels oder Arrigo Sacchi nicht gelang mit ihren verschiedenen Systemen auch mit der Nationalelf Titel zu feiern, beendeten Guardiolas Ideen diese traurige Tradition. Zwar saß er bei den Titelgewinnen, die die spanische Nationalmannschaft während seiner Amtszeit errang nicht selbst auf der Bank, doch wurden von Nationaltrainer Vicente del Bosque nicht nur größtenteils Spieler des FC Barcelona eingesetzt, sondern auch das Spielsystem der Katalanen angewandt. Mit dem Tiqui Taca gewann die spanische Nationalelf 2008 und 2012 zwei Europameisterschaften und 2010 eine Weltmeisterschaft.
Nino Duit, abseits.at
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Nino Duit
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