Totaalvoetbal (5/5) – Ende der Dominanz und Erbe des totalen Fußballs
Taktik & Theorie 7.Februar.2012 JK 0
Der vierte Teil der Serie befasste sich mit der goldenen Ära des totalen Fußballs. Anfang der 70er-Jahre konnte sich dem Spiel Ajax´ niemand entziehen und die bedingungslose Spielweise der Niederländer sorgte für einige Ratlosigkeit bei den Gegnern. Doch die Dominanz blieb nicht von langer Dauer und nach einigen Jahren großer Erfolge, sollte der Aufwind des “Totaalvoetbal” bald wieder abflauen.
So erfolgreich die Ajax-Mannschaft mit ihrem Spielsystem des totalen Fußballs auch war, einer stach ganz besonders heraus: Johan Cruyff. Weltklassetechniker, Regisseur und Leitwolf, diese Begriffe beschreiben Cruyff wohl ganz gut. Doch so romantisch die Beschreibung dieses Ausnahmefußballer auch wirkt, Cruyff war nie ein einfacher Zeitgenosse und mit ihm in einer Mannschaft zu spielen, hieß auch, sich Cruyff in gewisser Weise zu unterwerfen. “El Salvador” (der Erlöser), wie er später genannt werden sollte, verfügte neben seinen technischen Fertigkeiten auch über ein extrem hohes Spielverständnis, sowie ein herausragendes Auge, was Laufwege und taktische Anordnung der Mannschaft anging. Diese Eigenschaften Cruyff´s ermöglichten es Ajax mitunter erst, zu der Mannschaft zu reifen, die sie Anfang der 70er-Jahre war und ohne einen Johan Cruyff wären die Niederländer vielleicht nie zu ihren großen Jahren gekommen.
Doch Cruyff war auch Kommandeur und Oberbefehlshaber. Mit wachsendem Erfolg wurde Cruyff, der sein Licht ohnehin nie unter den Scheffel stellte, auch zunehmend einflussreicher und rechthaberischer. Widersprechen konnte man ihm jedoch nur selten, zu intelligent war “König Johan”, und das System des totalen Fußballs war ihm nicht nur rasch in Fleisch und Blut übergegangen, er gehörte schon bald selbst zu den großen Konstrukteuren dieser Spielkunst. Seine Karriere (sowohl als Spieler, wie auch später als Trainer) sollten aber anhaltend Konfrontationen, Dispute und Streitigkeiten prägen und so sank sein Ansehen in der Mannschaft nicht nur zusehends, 1973 sollte seine Zeit bei Ajax (vorerst) abgelaufen sein. Mit dem Amtsantritt von George Knobel zu Beginn der Saison 1973/74 wurde, nachdem Knobel den Mannschaftskapitän von seinem Team neu wählen ließ, der amtierende Kapitän Johan Cruyff abgewählt und Piet Keizer von seinen Kollegen zum neuen Mannschaftsführer auserkoren. Für Teile der Mannschaft endlich die Möglichkeit, ihrer Unzufriedenheit Ausdruck zu verleihen. Für Cruyff ein unverzeihlicher Affront, ein Wechsel war für den Egozentriker damit unausweichlich. Nach kurzem Transfer-Hickhack kam er schließlich bei dem Verein unter, den er die nächsten Jahrzehnte prägen sollte wie kein Zweiter: dem FC Barcelona.
Der Trainer der Katalanen hieß ja seit 1971 bereits Rinus Michels und dieser hatte maßgeblichen Anteil an der Verpflichtung des Spielmachers, wollte Michels Cruyff am liebsten schon 1971 mit nach Barcelona nehmen. Mit der Verpflichtung von Cruyff konnte Michels endlich seine Vorstellung des Fußballs nach Katalonien transferieren und gleich in seiner ersten Saison konnte Cruyff Barcelona nach 14 langen Jahren zum Meistertitel führen.
Der langsame Abschied des totalen Fußballs
Ajax ließ Cruyff ziehen, allerdings nicht nur aufgrund der großen Ablösesumme. Die Verantwortlichen sahen auch ohne ihn in Ajax die dominierende Kraft der kommenden Jahre – eine Fehleinschätzung.
Nach dem Abschied Michels kam die Mannschaft zwar zur absoluten Blüte, der mittelfristige Untergang war rückblickend jedoch vorgezeichnet. Nachdem auch Cruyff den Verein verließ, waren die beiden maßgeblichen Impulsgeber des totalen Fußballs abhandengekommen, was sich in den Resultaten sofort niederschlagen sollte. Nach dem letzten Meistertitel 1973 konnte die Mannschaft erst vier Jahre später wieder Meister werden (immerhin konnte man ab 1977 im Meisterschaftskampf wieder Schritt halten), den niederländischen Pokal konnte Ajax nach 1972 erst 1979 wieder gewinnen und der nächste internationale Titel konnte gar erst wieder 1987 im Europapokal der Pokalsieger gewonnen werden.
Knobel wurde nur ein Jahr später, 1974, gefeuert, doch bereits spätestens seit 1973 war der Zerfall der glorreichen Ajax-Mannschaft besiegelt. Ajax durchlebte in den 90ern allerdings neuerlich äußerst erfolgreiche Zeiten und noch einmal gelang der vorübergehende Aufstieg zum europäischen Spitzenverein.
Das Erbe des totalen Fußballs
Mit dem Einbruch der großen Ajax-Mannschaft 1974 ging auch die Vormachtstellung des totalen Fußballs sukzessive verloren, doch konnte beispielsweise Ernst Happel mit einer sehr ähnlichen Spielauffassung in verschiedenen Ländern bis in die 1980er große Erfolge feiern. Auch haben sich Trainer wie Cruyff oder Michels nie von dieser Spielweise abgewandt und damit durchaus prägenden Einfluss auf die fußballerische Neuzeit genommen.
Cruyff sollte 1985 Michels als Trainer bei Ajax beerben. Er ließ offensiv spielen und etablierte bei den Hauptstädtern ein System, das nicht nur standardmäßig ein 4-3-3 festlegte, sondern auch auf viel Ballbesitz und guter Technik aufgebaut war – und sein System hatte sehr bald Erfolg: Ajax wurde 1986 und 1987 niederländischer Pokalsieger, ebenfalls wurde 1987 der Europapokal der Pokalsieger gewonnen.
1988 wechselte Cruyff zu „seinem“ Verein, dem FC Barcelona und nahm diesmal auf dem Trainersessel Platz. Sofort setzte Cruyff seine Vorstellungen um, unterwarf unter anderem La Masia einer Modernisierung und zog Talente der eigenen Nachwuchsschmiede hoch in die Kampfmannschaft – unter anderem einen gewissen Josep Guardiola. Bereits 1989 konnte Cruyff mit Barcelona den Europapokal der Pokalsieger gewinnen (der zweite Europapokalsieg für ihn binnen 3 Jahren), 1990 konnte der spanische Pokal gewonnen werden. Von 1991 bis 1994 wurde Barcelona unter Cruyff 4x Meister und 1992 konnte die Mannschaft die letzte Auflage des Europapokals der Landesmeister gewinnen.
Sieht man das Spiel des großen FC Barcelona heute, erkennt man schnell das gewaltige Erbe, dass der totale Fußball in Person von Cruyff dieser Mannschaft hinterlassen und ihr über Jahre, als Spieler wie als Trainer, eingeimpft hat. Doch auch international hinterließ das System Standards, nach denen noch heute auf dem Fußballplatz agiert wird. Das eng machen der Räume bei Ballbesitz des Gegners sowie das Spiel in die Breite bei Balleroberung ist heutzutage ebenso gang und gäbe wie das schnelle Kurzpassspiel technisch versierter Mannschaften, um in der gegnerischen Abwehr für Unordnung zu sorgen und die entstehenden Räume zu nutzen. Und auch das Pressing mit einer hochstehenden Abwehrreihe wird von technisch hochklassigen Mannschaften gerne genutzt, um den Gegner früh vom Ball zu trennen.
Warum die Dominanz ein Ende hatte
Schon als Michels Mitte der 1960er bei Ajax das 4-2-4 als Spielsystem etablierte, zeigte sich die defensive Mittelfeldposition als große Problemzone, da sowohl ein Spieler bei Ballbesitz im Spielaufbau fehlte, als auch in der Rückwärtsbewegung bei Ballverlust mindestens ein Mann auf der zentralen defensiven Position abging und schon damals zeigten sich schnelle Konter als probates Mittel, die Schwäche dieses Systems der vollen Offensive auszunutzen.
Mit der Adaption auf das 4-3-3 bzw. das 3-4-3 bei Ballgewinn wurde der Spielaufbau gestärkt. Die Schwachstelle auf den zentralen defensiven Positionen in der Rückwärtsbewegung blieb durch die enorm offensive Ausrichtung jedoch weiterhin bestehen , die gegnerischen Mannschaften brauchten jedoch einige Zeit, sich auf das neue, extrem aggressive Spielsystem, den totalen Fußball einzustellen. So fiel die Achillesferse vorerst nicht weiter ins Gewicht, zu sehr waren die Gegner mit Abwehrschlachten beschäftigt. Mit der Zeit wurde die Taktik jedoch zentrales Thema im Fußball und schon bald würde sich vor allem eine Strategie gegen den totalen Fußball behaupten: Schnelle Konter über die Seite und letztlich rasches Flanken in die Mitte, um die Lücken im Zentrum auszunützen.
Die geschlossene Offensivbewegung des totalen Fußballs bei Ballbesitz/Ballgewinn war weiterhin ein extremer Nachteil bei nachfolgendem Ballverlust und hinzu kam, dass das kraftraubende Spielprinzip des Pressing und der Positionsrochaden spätestens gegen Ende der Partie eine effektive Abwehr der schnellen Konter unmöglich machte, im Gegenteil: Je länger die Partie dauerte, umso größer wurden aufgrund von Müdigkeit die Lücken, die sich für den Gegner auftaten. Hinzu kam, dass neben der taktischen Weiterentwicklung auch die Kondition der Spieler zunehmend besser wurde, was dem totalen Fußball nochmals unangenehm zusetzte, da die verteidigende Mannschaft mit Fortdauer der Begegnung vergleichsweise deutlich frischer war, was insbesondere mit den zunehmenden Kontern eine tödliche Mischung ergab.
Die niederländische Nationalmannschaft und der totale Fußball
Nachdem Michels nach der Verpflichtung Cruyffs 1973 gleich in der Saison 1973/74 mit Barcelona Meister wurde, brach er seine Zelte in Spanien nach drei Jahren wieder ab und übernahm 1974, im Jahr der Fußballweltmeisterschaft, die niederländische Nationalmannschaft. Jedoch übernahm Michels das Amt des Nationaltrainers erst nach erfolgter Qualifikation, es blieben ihm vor Beginn der Weltmeisterschaft daher lediglich 3 Testspiele. Michels machte sich sofort daran, auch in der Nationalmannschaft den totalen Fußball zu etablieren. Der Kader bestand hauptsächlich aus Spielern von Ajax bzw. Feyenoord, was Michels natürlich entgegenkam. Es gelang ihm auch auf Anhieb, aus den Spielern eine funktionierende Einheit zu formen. Die Weltmeisterschaft begann und die Niederlande machten sehr schnell klar, auf welchem Level sie bereits in der Lage waren zu spielen: Dem Auftaktsieg gegen Uruguay (2:0) folgte ein torloses Unentschieden gegen die Schweden, sowie ein 4:1-Sieg gegen Bulgarien.
Die nächste Gruppe war zwar das, was man wohl eine Horrorgruppe bezeichnen würde, für die Oranje elftal stellte jedoch auch sie kein Problem dar: Argentinien wurde gleich in der Auftaktpartie 4:0 abserviert und sowohl die DDR (die ihrerseits der BRD in der ersten Gruppenphase eine Niederlage zufügen konnte und auch Gruppensieger wurde), wie auch Brasilien danach jeweils mit 2:0 vom Platz geschossen.
Im Finale wartete die BRD und bereits nach 80 Sekunden lagen die Niederlande 1:0 in Führung. Über 16 Stationen kam nach Anstoß der Niederländer der Ball zu Cruyff, dessen Solo im Strafraum der Deutschen endete, als Uli Hoeneß den Spielmacher zu Fall brachte. Den fälligen Elfmeter verwandelte Neeskens und ohne bis dahin auch nur eine Ballberührung gehabt zu haben, mussten die Deutschen einem Rückstand hinterherlaufen. Der Trainer der Deutschen, Helmut Schön, ließ gegen die spielerische Übermacht der Niederlande Manndeckung spielen und obwohl Cruyff gleich zu Beginn seinem Schatten Vogts entkommen war, bekam Berti Vogts „seinen“ Mann im Laufe des Spiels immer besser in den Griff. Die Niederländer agierten überheblich und waren sichtlich darauf aus, die Deutschen mit ihrer Spielweise zu demütigen, doch die Deutschen kämpften sich gut in die Partie und nach 25 Minuten stand es 1:1, nachdem auch den Deutschen ein Elfmeter zugesprochen wurde. Nach einem offenen Schlagabtausch bis zum Ende der ersten Hälfte erzielte Deutschland kurz nach der Pause sogar das 2:1.
Von da an entwickelten die Niederländer wieder ein deutliches Übergewicht und kamen durch ständige Sturmläufe teils auch zu guten Chancen, es gelang allerdings kein Tor mehr. Die Niederlande unterlagen ihrer selbstverliebten Spielweise sowie dem disziplinierten und aufopfernden Spiel der Deutschen gleichermaßen. 1978 standen die Niederländer unter Trainer Ernst Happel gleich nochmals im WM-Finale, doch wieder reichte das System der Oranje nicht zum großen Triumph: Rensenbrink verfehlte beim Stand von 1:1 kurz vor Spielende das leere Tor, traf nur den Pfosten und Argentinien fuhr nach Verlängerung einen 3:1-Sieg und damit den ersten Weltmeistertitel ein.
Immerhin: 1988 wurden die Niederländer Europameister, Spielort war wieder Deutschland und diesmal konnte man die Heimmannschaft im Halbfinale ausschalten. Trainer war neuerlich Rinus Michels und somit war zumindest eine kleine, späte Genugtuung gelungen. Auch bei diesem Turnier ließ Michels einen Fußball spielen, der stark an die Blütezeit des totalen Fußballs erinnerte und auch die Nationalmannschaft sollte bis heute von diesem Spielsystem nachdrücklich geprägt bleiben.
JK
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