Wieso der Libero im Amateurfußball noch genutzt wird (1)
Taktik & Theorie 26.Dezember.2013 Rene Maric 4
Obwohl sich die Viererkette im Spitzenfußball bei fast allen Topteams – außer in einzelnen Vereinen und besonders in Italien – durchgesetzt hat, so ist eine andere Variante im Breitenfußball nach wie vor vorherrschend. Dies ist zwar suboptimal, da der Libero einige gravierende Nachteile mitbringt, ist letztlich aber nur eine Konsequenz der Umstände und Begebenheiten im Amateurfußball. In dieser dreiteiligen Serie wollen wir darum die Ursachen unter die Lupe nehmen und klären, wieso viele Trainer im Amateurfußball noch immer den Libero als unabdinglich sehen – und wieso sie teilweise damit auch richtig liegen.
Im ersten Teil konzentrieren wir uns auf die zwei taktischen Hauptgründe und die Wechselwirkung mi dem Spielermaterial.
Der Libero als Dauerabsicherung
Der am häufigsten vorgebrachte Grund ist die Instabilität auf Amateurniveau beim Spiel ohne Libero. Beim Kettenspiel und ohne Libero gibt es keine Absicherung für individuelle Fehler. Damit sind nicht nur verlorene Zweikämpfe oder fehlgeschlagene Grätschen gemeint, nach denen der Gegenspieler erfolgreich aufs Tor laufen kann, sondern auch Fehlpositionierungen. Steht ein Spieler in der Viererkette nicht auf seiner Position und öffnet die Schnittstellen nur minimal zu leicht, dann kann sofort ein Pass in den Rücken der Abwehr kommen.
Selten sind die Innenverteidiger und auch der Torwart in den Niederungen des Breitenfußballs antizipativ und athletisch genug, um solche Pässe konstant zu verhindern. Der Libero hilft dabei. Selbst wenn Schnittstellen geöffnet sind – was bei einer klassischen Manndeckung und Liberospiel durchgehend der Fall ist, beziehungsweise es gar keine normalen Schnittstellen gibt – ist dies kein großes Problem.
Der Libero ist frei von einem Gegenspieler, kann sich horizontal und ballorientiert frei bewegen, wodurch er sämtliche Pässe in die Tiefe abfangen kann. Auch verlorene Zweikämpfe und misslungene Grätschen sind nicht mehr so riskant, da ein Spieler dahinter den Gegner noch aufhalten oder zumindest in weniger gefährliche Zonen leiten kann.
Somit ist der Libero eine Art Absicherung für individuelle Schwächen. Diese individuellen Schwächen sind es nämlich, welche ihm eine Daseinsberechtigung geben. Der Libero ist im Endeffekt ein „Korrekturspieler“, welcher sich isoliert vom Mannschaftsverbund (Libero als Freirolle in einem 1-2-5-2) und dessen Strategie („Manndeckung“) bewegt. Während die gesamte Mannschaft einen Gegenspieler verfolgt und sich dadurch die eigene Position diktieren lässt, hat der Libero Freiheit und muss sich an die Bewegungen des Balles stärker anpassen, wodurch er immer nahe am Spielgeschehen ist und die Fehler vor sich korrigiert.
Dabei ist übrigens nicht nur die eigene Defensive, sondern auch die gegnerische Offensive gemeint. Denn auch deren Fehler sind ein Grund, wieso der Libero nach wie vor so vielfältig genutzt wird.
Mangelhafte Raumnutzung der gegnerischen Angriffsreihen
Auf Amateurniveau gibt es nur wenige Offensivreihen, die dazu im Stande sind, gegnerische Manndeckungen ordentlich zu bespielen. Auch ihnen fehlen dabei individuelle wie kollektive Stärken. Individuell sind beispielsweise nur wenige Akteure dazu im Stande punktgenaue Pässe oder Kombinationen über mehrere Stationen unter Druck zu spielen. Durch die Manndeckungen ist nahezu immer Druck gegeben, wodurch die Spiele in den unteren Ligen auch so fahrig sind.
Auch taktische Mittel im kollektiven Sinne werden kaum genutzt. Raumöffnende Läufe, Positionswechsel oder das Bespielen der Dynamik der gegnerischen Manndeckungen sind nahezu inexistent, wodurch die strategischen Nachteile der Manndeckung mit Libero weniger zum Tragen kommen. Einfachste Mittel wie das Kreuzen der Stürmer können ebenfalls mit der Manndeckung relativ einfach verteidigt werden, hier haben die Manndecker auf den Halbverteidigerpositionen lediglich einen Nachteil auf den ersten Metern, weil sie nicht agieren, sondern reagieren und ohne Positionstausch dem Gegner in einer klassischen Manndeckung nachlaufen müssen.
Die meisten Teams im Amateurfußball bauen darum meistens mit langen Bällen auf, welche das Mittelfeld überbrücken. Vorne versucht dann ein luftzweikampfstarker Spieler den Ball in offene Räume weiterzuleiten oder ihn zu behaupten, seitlich oder auf das nachrückende Mittelfeld abzulegen, welche dann sofort in die Spitze spielen. Diese Spielweise kann ebenfalls mit einem Libero relativ gut verteidigt werden.
Der Libero steht hinter den beiden Manndeckern, wodurch er verpasste lange Bälle abfangen oder Weiterleitungen bei verlorenem Luftzweikampf ablaufen kann. Nach Balleroberungen dient er zudem als freie Anspielstation in der Tiefe, erhält einfache Pässe und hat ein offenes Sichtfeld nach vorne; ganz im Sinne des Amateurfußballs und seinem Kick and Rush kann er sofort zurückbolzen und im Idealfall das Aufrücken der gegnerischen Mannschaft bespielen.
Neben diesen beiden taktischen Aspekten kommt auch das Spielermaterial bei einem Libero besser zum Tragen.
Spielerverteilung im Kader
Meistens gibt es in den Mannschaften der untersten Klassen bis zur Bezirksliga selten eine Auswahl von unterschiedlichen Spielertypen; es gibt eher eine Auswahl irgendwelcher Spielertypen, wo man sich freuen darf, einen starken Kader mit 15 Spielern zu haben. Diese mangelnde Auswahl hat natürlich Nachteile; es gibt nur wenige Mannschaften mit mehr als vier oder fünf unter Druck technisch starken Akteuren. Stattdessen gibt es aber meistens sechs oder mehr körperlich relativ starke Akteure, welche zumindest auf diesem Niveau 90 Minuten lang mit Kampf überzeugen können.
Durch das Spiel mit Libero kann man einen der wenigen spielintelligenten und dafür körperlich suboptimal aufgestellten Spieler gut einbinden. Als Libero hat er freies Sichtfeld, kann zentral Räume überladen (wenn der Gegner ebenfalls mit Libero agiert) und dient als Spielgestalter aus der Tiefe. Er kann dann die wenigen anderen technisch starken Akteure mit Direktpässen einsetzen, womit wir meistens wieder beim Überbrücken des Mittelfelds durch lange Bälle sind.
Die körperlich starken Kämpfer können dann als Vorstopper und Halbverteidiger auflaufen, um die gegnerischen Techniker abzumontieren. Gleichzeitig ist dadurch aber ohnehin jedes konstruktive und spielerisch hochwertige Aufbauspiel nicht möglich. Diese Aufgabe übernimmt dann eben der Libero und bildet mit den anderen technisch starken Akteuren ein Grundgerüst, welches sich um die Offensive kümmert. Die anderen Akteure kümmern sich dann um die Defensive, während einzelne Akteure natürlich für beides zuständig sind.
Diese Spielweise mit Libero, langen Bällen und dem Fokus auf das direkte Duell im Zweikampf kommt somit dem Spielermaterial einer durchschnittlichen Amateurmannschaft auf niedrigstem Niveau entgegen. Damit können die vorhandenen Akteure relativ einfach und vergleichsweise effektiv eingebunden werden. Man stelle sich eine versuchte Ballbesitzspielweise bei einem Kreisklasseteam vor. Diese Vorstellung alleine ist mit einer der Gründe, wieso so etwas eben auf diesem Niveau nicht praktiziert wird beziehungsweise kaum praktiziert werden kann.
Rene Maric, abseits.at
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