Abseitsverdächtig | Owe vom Gas!
Kommentar 11.April.2012 Georg Sander 0
Rund um das Westderby, das Red Bull Salzburg gegen Wacker Innsbruck mit 2:0 gewann, bewiesen Fans und Polizisten, wie Deeskalation zwischen organisierten Fangruppen und Polizei NICHT aussieht. Die Linie „scharf“ gegenüber Fußballfans entpuppt sich gut elf Monate nach dem Platzsturm beim Wiener Derby als unzureichend.
Die Öffentlichkeit könnte zu dem Schluss kommen, dass sich die organisierten Gruppierungen sehr gerne mit der Polizei in die Haare bekommen, Auswärtsmobs von Wien bis Altach hauptsächlich wütend und anarchisch durch die Landen ziehen. Die Massenmedien geben sich gerne martialisch: Bürgerkrieg beim Wiener Derby hieß es damals, Kamera-Team von Austria-Salzburg-Rowdys attackiert war eine weitere knackige Headline wert, ebenso Wildes West-Derby: Wacker-Innsbruck-Fan verletzt Polizist. Das Wie und Warum erlangen die Kollegen oft nur vonseiten der Exekutive. Doch was liegt solchen Meldung zugrunde?
Prämisse 1: Gesellschaftsproblem Alkohol
Kein Vereinsverantwortlicher oder Fanclubleiter wird die Hand dafür ins Feuer legen, dass alle Mitreisenden Unschuldslämmer sind. Drogen wie Alkohol bringen in den Menschen oftmals das Schlechteste zum Vorschein. Der ICD-10, die weltweit gebräuchliche Klassifikation von Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), listet unter F 10.0, „akute Alkoholintoxikation“, als Wirkung Punkte wie Enthemmung, Streitlust, Aggressivität oder Einschränkung der Urteilsfähigkeit auf. Dieser Mix aus dem Erlebnis der Auswärtsfahrt, der Emotionalisierung durch das Spiel selbst und die Intoxikation führen oftmals zu Blödheiten. Das ist unbestritten. Jedoch sollten sich die Medien und die (Innen-)Politik nicht an den Fußballfans abputzen. Laut einer Statistik des Anton-Proksch-Institutes verdoppelten sich die Liter getrunkenen Biers und Weins seit 1955 beinahe. Das Rote Kreuz gibt an, dass bereits ein Drittel der Mädchen unter 15 und die Hälfte der Burschen in demselben Alter mehrere Räusche hinter sich haben. Alkohol – und aus Polizeikreisen konnte allgemein vernommen werden, dass gerade die alkoholisierten Fans für Probleme sorgen – ist ein Gesellschaftsproblem.
Prämisse 2: Gesellschaftsproblem Jugendarbeitslosigkeit
Der weitverbreitete Spruch A.C.A.B. („All Cops Are Bastards“) hängt wie ein Credo in den Köpfen des falsch-verstandenen Fantums und richtet sich gegen „die Obrigkeit“. Die Obrigkeit ist aber genau das Konglomerat, welches den jungen Mädeln und Burschen wenig bietet. Der Jugend fehlt die Perspektive. Die Arbeitslosigkeit unter 15-24 Jährigen stieg von 5 Prozent 2000 auf 10,3 Prozent 2005 und liegt laut neuesten Zahlen bei 8,3 Prozent. Anfang April waren 37.217 Jugendliche ohne Job! Der Verein wird zum Ersatz wichtiger Beziehungskonstrukte bei Heranwachsenden, ersetzt Familie, Freundschaftsnetzwerke, Arbeitskollegen.
Differenzierung
Ein anonym bleiben wollender Vereinsfunktionär erzählte nach einem Interview, dass eben einige Fans die Grenze nicht kennen, was erlaubt ist und was nicht. Auch einige uniformierte Beamte legen, wie im Falle der Kontrolle der Verrückten Köpfe und I Furiosi vor dem Westderby, schikanöse Vorgehensweisen an den Tag. Sadistische Aussagen – Zitat „Auf das WC durften die Fans auch nicht, sondern wurden ‚höflich’ aufgefordert, wie ein Kleinkind in die Hose zu machen.“ – von einzelnen „Freunden und Helfer“ sind oft nur die Spitze eines missbräuchlichen Verhaltens. Auf der einen Seite stehen Gesetzesbrüche durch Fans, auf der anderen eine Ausnutzung der Autorität. Grob gefasst gibt es prozentuell bei der Exekutive genauso viele Deppen wie in der Gesamtbevölkerung, also auch den Fans. In Zahlen gilt Folgendes: 1.074 Straf- und Veranstaltungsanzeigen gab es laut dem Nationalratsabgeordneten Hermann Krist in der Spielzeit 2010/11 in der österreichischen Fußballbundesliga. In den Stadien befanden sich 2010/11 1,4 Millionen Zuseher. Anders ausgedrückt: 0,07 Prozent der Stadionbesuche endeten mit einer Anzeige.
Deeskalation eher von einer Seite möglich!
Beide Seiten, Politik und Fanclubs, sind gut beraten, vom Gas runter zu steigen. Der Fußball hat nichts davon, wenn wöchentlich ein prozentuell verschwindend geringer Teil für Negativschlagzeilen sorgt. Genauso wenig hat die Politik etwas davon, Alkoholmissbrauch und Jugendarbeitslosigkeit halbherzig zu bekämpfen und dafür eine Jugendkultur, die das Fantum nun mal ist, in die Mangel zu nehmen. Eine der beiden Seiten kann sehr schnell und aktiv etwas zur Deeskalation beitragen. Richtig geraten, es handelt sich nicht um die Politik. Pyrotechnik sollte nur in dem gegenwärtig gesetzlichen Rahmen verwendet werden, Böller sollten verschwinden und der Bierbecher in der Hand, das Feuerzeug in der Hosentasche bleiben. Auch stumpfe Hassparolen haben nichts am Fußballplatz verloren, ebenso Rassismus, Antisemitismus und Gewalt. Dies hier explizit herausheben zu müssen, ist schon mühsam genug.
Wenn sich die führenden Köpfe der Kurven ihrer Verantwortung stellen, können die Auswüchse der oben erwähnten Probleme eher bekämpft werden, als mit einer Verschärfung der Situation. Selbst wenn diese vonseiten der Exekutive an den Tag gelegt wird. Der Besuch eines Fußballspiels soll nach Angaben vieler, vieler anderer Fans auch ohne Alkohol und Hass möglich sei.
Eines ist klar: Jeder Mensch ist für sein Handeln selbst verantwortlich und muss auch die Konsequenzen tragen!
Georg Sander, abseits.at
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