Morgen beginnt also die Europameisterschaft 2021, offiziell weiterhin als UEFA EURO 2020 benannt. Aus einigen Gründen stehen wir vor einem „komischen“ Turnier. Irgendwie ist... Kommentar: Die irgendwie komische EURO

Morgen beginnt also die Europameisterschaft 2021, offiziell weiterhin als UEFA EURO 2020 benannt. Aus einigen Gründen stehen wir vor einem „komischen“ Turnier. Irgendwie ist heuer nichts so, wie es sonst ist, wenn es an Großereignis geht. Und auch die Euphorie um das österreichische Nationalteam hält sich vor der dritten Teilnahme einer ÖFB-Auswahl bei einer EURO in Grenzen.

Auch wenn sich Europa im Allgemeinen und Österreich im Speziellen derzeit wieder in etwas ruhigeres Fahrwasser zu begeben scheint, übertüncht die Pandemie immer noch einiges. Die meisten Fans wissen schon gar nicht mehr, wie ein Stadion von innen aussieht. Fußballfeste mit vollgepackten Stadien hatten in den letzten Monaten Seltenheitswert. Und auch die EURO 2020 wird noch ein – im wahrsten Sinne des Wortes – leises Herantasten an den Ursprungszustand sein.

Ebenfalls in die seltsame Stimmung spielt hinein, dass das Turnier diesmal nicht in einem einzigen Land stattfindet, sondern gleich in elf Städten. Diesmal hat also nicht nur der Gastgeber einen gewissen Heimvorteil, sondern mehrere Länder, die einige ihrer Partien zu Hause austragen können. So etwa Spanien, Deutschland, Russland, Italien oder die Niederlande. Es entbehrt nicht gerade einer gewissen Ironie, dass dieser – natürlich lange geplante – Feldtest einer EM in mehreren Ländern genau in Zeiten einer Pandemie fällt, in der Reiserestriktionen den Alltag der Bevölkerungen europäischer Länder bestimmen. Schlechte Nachrichten für Groundhopper jedenfalls…

Es ist aber auch ganz allgemein eine komische Situation, dass ein solches Turnier nicht mit einem einzelnen Land assoziiert wird. Den schnellen Überblick, welches Spiel in welcher Stadt stattfindet, haben derzeit die wenigsten Beobachter und Fans. Konnte man bei anderen Turnieren stets in Erinnerungen schwelgen und von „damals in XY“ sprechen, muss man jetzt wohl Partie für Partie nachblättern, welchen Austragungsort man gerade live im Fernsehen verfolgt. Das bedeutet natürlich auch, dass die tatsächlichen, alltäglichen Rahmenbedingungen für die Teams unterschiedlich sind. Eine Partie in Baku ist etwas anderes als ein Match in St. Petersburg. Das Finalspiel findet übrigens im Londoner Wembley-Stadion statt.

Die Verschiebung der EM um ein Jahr ist auch ein Faktor, der die Vorfreude auf das Turnier trübte. Zwar trifft sich dies aufgrund der umstrittenen Winter-WM 2022 in Katar recht gut, aber dennoch wurden viele geübte Fußballfans aus ihrem gewohnten Zweijahresrhythmus gerissen. Nicht nur für uns als Fußballmedium hatte diese Routine über Jahrzehnte seine Richtig- und Selbstverständlichkeit. So fühlt es sich jetzt doch etwas seltsam an, der Creme de la Creme des europäischen Fußballs in einem „ungeraden“ Jahr auf die Beine zu schauen. Das war man normalerweise eher vom Confederations Cup gewohnt – und der hatte immer schon einen ausgeprägten „Test-Charakter“.

Auch das dichte Programm der letzten und auch kommenden Zeit sorgt für einen gewissen Overkill. Viele Ligen und Bewerbe mussten wegen der Pandemie bereits seit vergangenem Sommer in kürzester Zeit durchgeboxt werden, die Olympischen Spiele in Tokio stehen ebenfalls noch an und die ersten Partien in der Europacup-Qualifikation finden bereits wieder Mitte Juli statt. Kurze Zeit nach dem Saisonende in den großen und kleinen europäischen Ligen also noch eine EM einzuschieben, ist natürlich heftig und wohl auch ein nicht zu unterschätzender Prüfstein für so manche Beziehung.

Und zu guter Letzt wäre da noch die fehlende Euphorie rund um das ÖFB-Nationalteam. Aber irgendwie kennt man das ja schon von 2016. Nach der starken Qualifikation unter Marcel Koller wurde man bei den letzten Tests vor der EURO auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ein maues 2:1 über Malta inklusive Alaba-Eigentor, ein 0:2 gegen die Niederlande und schließlich eine hundsmiserable EURO mit dem 0:0 gegen den späteren Europameister Portugal, dank eines überragenden Robert Almer, als einziges Highlight – neben Niederlagen gegen Ungarn und Island. Das blutleere Auftreten der Mannschaft war damals wie eine der seltenen, sprichwörtlichen „angesagten Revolutionen“. Niemand erwartete nach den Vorbereitungsspielen Wunderdinge – das Turnier kam angesichts des bärenstarken Quali-Jahres 2015 wohl ein bisschen zu spät für die dann schon übersäuerte Koller-Elf.

Ähnlich wirkt die Situation heute. Das 0:4 gegen Dänemark Ende März leitete eine Kehrtwende in der Erwartungshaltung ein. Es ging zwar gegen eines der aufstrebenden Teams Europas, aber bei weitem gegen keinen Kapazunder. Anfang Juni folgte die 0:1-Niederlage gegen England und ein am Ende des Tages leider unnötig schöngeredetes 0:0 gegen die Slowakei. ÖFB-Präsident Windtner schoss sich mit so mancher Aussage über die Stärke des Teams ins eigene Knie. Irgendwie hätte er ja auch Recht, zumal die Qualität der Einzelspieler tatsächlich optimistisch stimmen sollte, aber der Foda’sche Ergebnisfußball reißt halt niemanden vom Hocker. Die Kritik am Team hatte sich in den letzten Wochen ein wenig verselbstständigt und selbst die ORF-Kommentatoren wirkten ob der passiven Herangehensweise ein wenig ratlos. Daran ändert auch nichts, dass sich nun Akteure wie Naumoski oder Vastic zu Wort meldeten und eine Lanze für Foda brachen. Nicht gerade die ganz großen Instanzen, die noch spontan für einen Stimmungsumschwung und eine Manifestierung der gegenteiligen Gefühlslage im Land sorgen könnten…

Aber andererseits wissen wir auch, dass alles ein bisschen anders aussieht, sobald das Turnier angepfiffen wird. In drei Spielen kann alles passieren und auch andere Teams, wie beispielsweise Gruppengegner Niederlande, stehen unter Druck. Angesagte Revolutionen finden eben nur manchmal statt und man darf nicht verwundert sein, wenn das Nationalteam am Ende doch an ebendiesen drei wichtigen Tagen – und womöglich darüber hinaus – sein volles Leistungspotential abrufen kann. Auch wenn sämtliche Begleitumstände seltsam sind, wird’s spannend und völlig ergebnisoffen.

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen