Kommentar: Ein Vogerl namens Ralf
Kommentar 30.April.2024 Julian Berger
Im Wienerlied der beiden Künstler Alexander von Biczó und Karl Kratzl heißt es: „Das Glück is a Vogerl, gar liab, aber scheu, es lasst si schwer fangen, aber fortg’flogn is glei.“ An diese Zeilen fühlt man sich als österreichischer Fußballfan in diesen Tagen gleich mehrfach erinnert.
Um noch einen Flügelschlag lang in der Vogelmetaphorik zu verweilen: Die Spatzen pfeifen es schon einige Tage von den Dächern. Ralf Rangnick wird neuer Trainer beim deutschen Top-Club Bayern München, am kommenden Mittwoch soll der Deal öffentlich gemacht werden, Mitsprache bei wichtigen Transferentscheidungen inklusive. Der Deutsche war und ist für den österreichischen Fußballbund ein Glücksfall – und zwar im wörtlichsten Sinne.
Denn von einer wohlüberlegten, dem Spielermaterial angepassten Entscheidung pro Rangnick konnte anno 2022 keine Rede sein. Vielmehr gab Peter Schöttel an, Rangnick sei zunächst nicht „auf der Liste gestanden“. Die Telefonnummer habe er von Christoph Freund erhalten. Mehr Glück als Verstand also, könnte man meinen. Noch wenige Tage zuvor zweifelte unter anderem Peter Schöttel daran, ob denn der viel zitierte „Red-Bull-Spielstil“ mit diesem Spielermaterial – ein fürchterlicher Begriff – gepflegt werden kann.
Ralf Rangnick zeigte: Er kann. Und wie. 2:0 gegen Italien, 2:0 gegen Deutschland und zuletzt ein fulminantes 6:1 gegen die Türkei. Und vor allem: Glückseligkeit auf den Rängen, Begeisterung im Blätterwald, selbstbewusste und -kritische Spieler. Keine Spur mehr von der Tristesse der Prä-Rangnick-Ära. Und vor allem: Die Hoffnung auf mehr. Vielleicht ein tolles Abschneiden bei der EM, vielleicht die erste WM-Teilnahme seit fast 30 Jahren. Und dann kamen die Bayern.
Eines vorweg: Es ist völlig verständlich, dass sich ein ehrgeiziger Charakter wie Ralf Rangnick dieser Herausforderung stellen will. Es ist völlig verständlich, dass ein Verein wie der FC Bayern nach ebendiesem Charakter sucht. Weniger verständlich ist jedoch die Art und Weise, wie der ÖFB – in Person von Peter Schöttel – auf die Gerüchte reagiert. Er tänzelt irgendwo zwischen fehlenden Steinen in Rangnicks Weg und der Hoffnung auf dessen Besinnen auf die Möglichkeiten und Freiheiten, die man ihm beim ÖFB bieten kann. Kurzum: Schöttel verliert sich in Phrasen, deren Väter die Faktoren Glück, Zufall und Hoffnung sind. Gleichzeitig geistern bereits Namen wie Klinsmann, Herzog oder Stöger bedrohlich realistisch durch Medien und Sportforen. Dabei geht es hier nicht darum, den einzelnen Personen die Eignung zum Teamchef abzusprechen, allein, ihre Idee von Fußball passt nicht zu den Spielern, die Österreich derzeit zur Verfügung hat. Oder, wie es Profil-Journalist Gerald Grossmann auf Facebook treffend formulierte: „Weil in manchen Medien zuletzt mögliche Nachfolger von Ralf Rangnick diskutiert wurden. Und dann – siehe da – Stöger und das Duo Herzog/Klinsmann genannt wurden. Hat man aus der Ära Rangnick wirklich nichts gelernt?“ Einen kämpferischen Sportdirektor vermisst man dennoch vollends. Einen, der den Wert Rangnicks über den grünen Rasen hinaus betont, einen, der weiß, dass Österreichs Fußball mit Rangnick nicht nur einen Trainer, sondern eine Perspektive verlieren würde, an die man sich als Fußballfan gerade wohlwollend gewöhnt hatte.
Schlechtes Timing
Einen Sportdirektor, der sich auch des schlechten Timings eines möglichen Abgangs vollends bewusst ist. Es ist nicht auszuschließen, dass die Herangehensweise der Mannschaft an die nahende EM unter dem Wissen leidet, dass der Übungsleiter nach der Endrunde ohnehin Geschichte ist. Nicht auszuschließen sind auch Spieler, die ihre Zukunft im Nationalteam an jene Ralf Rangnicks knüpfen. Gemeint sind damit nicht nur aktuelle Teamkicker, sondern auch hoffnungsvolle Talente wie Paul Wanner, bei denen Rangnick zumindest versuchte, ihnen das zu bieten, was er auch dem österreichischen Fußballfan bot: Eine Perspektive. Nun mag man zur Personalie Wanner stehen, wie man möchte und man kann das Argument verstehen, wonach diesem jungen Mann der Bezug zu Österreich zu sehr fehle, um für die heimische Nationalmannschaft aufzulaufen. Aber auch Paul Wanner ist ein Teil der Beweiskette, wenn es um den Zugang Rangnicks zu seiner ÖFB-Tätigkeit geht: Das (scheinbar) Unmögliche versuchen. Widerständen und Widrigkeiten zu trotzen und über den berühmten Tellerrand hinauszusehen.
Wenn man Peter Schöttel glauben mag, so hat er den Trainermarkt ohnehin laufend im Auge. Es ist allerdings – das hat die Vergangenheit beim ÖFB bewiesen – zu befürchten, dass sich dieser Markt aus den bekannten Namen wie eben Stöger und Herzog zusammensetzt, das Im-Auge-Haben ein Synonym ist für das Telefonbuch auf des Sportdirektors Handy, gespickt mit ehemaligen Mitspielern und Weggefährten. Logische Nachfolgekandidaten gibt es kaum, auch, weil potenziell zum Kader passende Trainer wie Hasenhüttl, Hütter oder Glasner erst seit kurzem versuchen, sich (erneut) in einer Top-Liga zu etablieren.
Und so bleibt eigentlich nur die – wohl naive – Hoffnung auf ein Vogerl namens Ralf, das, entgegen der Prognose im eingangs erwähnten Liedwerk, noch nicht gleich fortfliegt.
Julian Berger
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