Was passiert ist, ist passiert. Die Tatsache, dass man die Vergangenheit nicht ändern kann, muss jeder akzeptieren. Selbst Goran Djuricin, obwohl er im Moment... Kommentar: Entschuldigen, nicht rechtfertigen

Was passiert ist, ist passiert. Die Tatsache, dass man die Vergangenheit nicht ändern kann, muss jeder akzeptieren. Selbst Goran Djuricin, obwohl er im Moment als Übungsleiter eines Fußballvereins, den dessen Anhänger zur Religion hochstilisiert haben, seinen Dienst versieht. Höchst menschlich ging „Gogo“ jedenfalls zu Werke, als er seinen Nicht-Doch-Spucker in Richtung Admira-Betreuer Franta beschrieb. Angriff ist immer noch die beste Verteidigung: So eine Respektlosigkeit geht gar nicht. Warum muss der in offenen Wunden bohren? Das ist eine Gemeinheit.“, schnaubte der Wiener, ehe er Stein-und-Bein schwor, dass er den feuchten Gruß nur angedeutet hatte. Vermutlich (höchstwahrscheinlich) stimmt das sogar. Das spielt aber nur eine untergeordnete Rolle.

Schauplatzwechsel: Wiener Derby, vor wenigen Tagen. „Das ist halt das Derby, da geht es um viel. Es ist keiner verletzt worden, es hat sich keiner wehgetan. In Wahrheit ist nichts passiert., erklärte Verteidiger Sonnleitner die Spielunterbrechung. Kollege Schaub setzte noch eines drauf: „Es ist immer das Gleiche. Wenn man es provoziert von den Fans, darf man sich nicht wundern, wenn dann mal ein Feuerzeug fliegt., rechtfertigte der 22-jährige Sach- und Personengewalt. Es scheint, als würden sich die halbgaren Distanzierungen des Vereines auch schon auf die Spieler übertragen. Dass Rapid sonst auch anders kann, ist dagegen wohl bekannt: Immerhin forderte der österreichische Rekordmeister vor nicht einmal einem Jahr wutentbrannt eine Gegendarstellung, als eine konservative Tageszeitung im Herbst 2016 den Rapid-Fans rechtsradikales Gedankengut unterstellte. Damals zauberten die Hütteldorfer im Nu ein mehrsätziges Lamentationsschreiben auf ihre Homepage. Jetzt – nach der zweiten Spielunterbrechung in Folge – liest man ausschließlich im Zusammenhang mit der von der Bundesliga aufgebrummten Strafe in einem Nebensatz, dass der Verein „das Werfen von Gegenständen wie bereits mehrfach kommuniziert ablehne“. Aja.

Lippenbekenntnisse, falsche Toleranz, Wegschauen – diese Verhaltensweisen wirft man Rapid vor, wenn es zu unrühmlichen Zwischenfällen kommt. Sogar mir wurde schon unterstellt, ich würde mit erlebnisorientierten Fans „packeln“, als ich den Umgang mit der Pyrotechnik-Frage kritisiert habe. Damals und heute war und bin ich nicht willens mich auf eine Seite zu schlagen. Ich versuche eher die Wurzeln des Problems zu erkennen. Frei daher gesagt: Ich will den Hund finden, der drin sein muss.

Hütteldorfer Toleranzpatent

Toleranz kommt von tolerare („erdulden“, „ertragen“) und es ist nicht unbedingt angenehm von der Lust und Laune eines anderen, der einen gerade so erduldet/erträgt, abhängig zu sein. Rechte und Pflichten zu haben, ist da weitaus angenehmer. Zugegebenermaßen ist das Verhältnis zwischen Zuschauern und Veranstaltern von Darbietungen oder Sportveranstaltungen kein klar definiertes. Mit dem Kauf der Eintrittskarte erwirbt der potenzielle Besucher nämlich das – meist unter Vorbehalt gehaltene – Recht dem Spektakel beizuwohnen. Mehr nicht. Dass der Fußballplatz zudem ein Soziotop mit besonderen Sprachcodes, Ritualen, Sitten und Gebräuchlichkeiten ist, habe ich auch schon ausführlich dargelegt.

Der Fan darf demnach schreien, jubeln, schimpfen, pfeifen, hüpfen, singen, weinen, grölen, usw. Platzstürme, Gegenstände aufs Spielfeld zu werfen, Spieler zu attackieren, sind dagegen Taten, die strafrechtlich belangbar und daher klarerweise ausgeschlossen sind. Der Gesetzgeber hat einen Rahmen abgesteckt, der auch im Stadion gilt. Ohne Diskussion. Wem es verbal zu bunt wird, der muss wahrscheinlich zuhause bleiben. Milieubedingte Unmutsäußerungen beugen vorschnellen Anzeigen nach § 107-Gefährlicher Drohung nämlich vor. Dieser Aspekt des Fußballs ist also nachvollziehbar gestaltet.

Fußball ist aber nicht nur rational. Wenn das der Fall wäre, würden keine Durchschnitts- bzw. Unterdurchschnittsverdiener Millionäre bejubeln und ihnen das Geld in die Tasche stecken. Jeder Fan zahlt schließlich freiwillig aufs Sparkonto ein und sponsert so seinen Herzensverein. Und weil Fußball nicht immer logisch, rational oder systematisch funktioniert, braucht es hie und da auch alogische, irrationale, unsystematische Methoden um mit gewissen Problemen fertig zu werden. Ich kann mich nur wiederholen: Mehr als einen langen Sermon habe ich schon von mir gegeben, als es um Fans und Gewalt ging. Auf den Punkt gebracht: Gewalt in der Fankurve basiert auf einem gesellschaftlichen Problem, das auch nur im gesellschaftlichen Kontext gelöst werden kann. Ein Fußballverein ist zwar in der Lage, gewisse Entwicklungen einzuschränken, auf lange Sicht spiegeln sich auf der Tribüne aber jene Zustände, die auch im Alltagsleben präsent sind. Und dazu wird immer auch Gewalt gehören.

Niemand verlangt von einem Klub diese Zustände alleine zu lösen. Rapid würde das nicht schaffen. Rapid ist keine soziale Einrichtung, aber ein Veranstalter, ein Arbeitgeber, der – wenn’s sein muss – auch repressiv eingreifen sollte, falls grobe Pflichtverletzungen auftreten: Wenn der Trainer ein ungemütliches tête-à-tête hat oder wenn sich Fans unsportlich gebärden, ist es Zeit zu handeln und sich eindeutig zu positionieren. Aber man drückt sich wieder einmal vor klaren Statements: Mit “Wir haben die geilsten Fans, die es gibt, wenn wir gewinnen” wird lieber beschwichtigt. Stets bemüht man sich bei den Hütteldorfern von einer kleinen Gruppe zu reden, die den friedlichen Anhängern in die Suppe spuckt. Mittlerweile weiß jeder, dass die Mehrheit der Rapidler keine Krawallmacher sind. Doch wen interessiert schon die Mehrheit? Was wäre, wenn ein Arzt seinem an einer seltenen Krankheit leidenden Patienten ruhig und bestimmt klarmacht, dass seine gesundheitlichen Probleme höchsten bei einer Person von 10.000 auftauchen, anstatt ihn zu behandeln. Dieser Patient würde sich verschaukelt vorkommen. Rapid beschwichtigt und öffnet mit solch einem Wischi-Waschi-Getue Populisten Tür und Tor. Es ist eine Unart sich anstatt dessen lieber darauf zu konzentrieren, dem Geschäftsführer des Stadtrivalen den Schwarzen Peter zuzuschieben oder über die – aus grün-weißer Sicht unnötige – Spielunterbrechung zu lamentieren.

Es wird Zeit..

…für Rapid gewisse Dinge ohne Wenn und Aber anzusprechen. Das unausstehliche „aber“ rechtfertigt und fördert schlechtes Benehmen. Die Rapid-Fans stehen nicht unter Artenschutz, sind keine unmündige Partie von Hirnlosen. Im Gegenteil: Sie bewiesen schon früher erstaunliche selbstreinigende Fähigkeiten indem sie politisches Gedankengut aus der Kurve entfernten. Jetzt ist es an der Zeit den grün-weißen Lernprozess zu reanimieren. Sollte dieses Unternehmen auf keine Gegenliebe auf der Tribüne stoßen, muss Rapid die Maßnahmen verschärfen. Für alle, die es nicht kapieren: Fußball ist ein Wettkampf, zu dem der Gegner gehört. Fußball ist ein Sport, zu dem anständiges Verhalten gehört. Fußball ist ein Spiel und kein Kampf auf Leben und Tod.

Goran Djuricin hatte gestern Glück. Kontrahent Franta leistete dem Rapid-Coach unerwartete Schützenhilfe: „Für mich ist die Sache erledigt. Emotionen gehören zum Fußball dazu.“ Was wirklich passiert ist, will Franta nicht erzählen. Auch ok. Wie gesagt – es spielt nur eine untergeordnete Rolle. Ungeschehen machen, was geschehen ist, kann „Gogo“ so oder so nicht. Rechtfertigen – wie es bei Rapid üblich ist – sollte er es aber auch nicht. Er kann sich nur entschuldigen und aus diesem Fehler lernen. Fußball ist nämlich auch menschlich.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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