Kommentar: Interessante Wertvorstellung oder ein Appell für mehr Mindestanstand im Stadion
Gesellschaft & EthikKommentar 10.Mai.2023 Louzi
Christian Günter äußert nach dem Pokalspiel unter anderem Kritik an RB-Spieler Silva nach dem Münzwurf, die wieder einmal die Frage aufwirft, was denn eigentlich die Grenzen für die Fans sein sollen und was für ein Stadionerlebnis wir eigentlich anstreben.
Eine differenzierte Auseinandersetzung mit Fanverhalten
„Ich lege mich da einfach nicht hin. Ich habe letzte Woche auf Schalke bei einem Eckball glaube ich auch fünf Feuerzeuge in den Rücken gekriegt. Wenn es keine Platzwunde oder irgendwas ist, dann nehme ich das Ding und werfe es auf die Seite, dann hat es sich erledigt und dann kochen die Emotionen gar nicht so hoch.“
Verharmlosung
Diese Worte waren am vergangenen Dienstag auf Sky von Freiburgs Kapitän zu hören. Dies war nicht das einzig Gesagte und es gab auch Kritik am Fanfehlverhalten. Das soll hier nicht unter den Tisch gekehrt werden. Und Herr Günter mag ein ehrenwerter Mann sein, das kann und will ich hier überhaupt nicht beurteilen. Das soll auch keine Kritik an ihm persönlich werden, diese Stimmung vermitteln viele handelnde Personen. Doch war es trotzdem dieser Teil des Interviews, der mich aus dem Halbschlaf, der mich bereits erfasst hatte, riss und mich noch länger wach halten sollte. Denn wieder einmal fragte ich mich, warum in Fußballstadion die Wertvorstellungen, scheinbar mehrheitsfähig, so weit weg von meinen sind. Denn mir fehlt ihr die Gegenrede. Somit folgt diese nun hier.
Auf Menschen wirft man nichts
Ich möchte nicht missverstanden werden: Halte ich Schauspielerei von Spieler*innen für sehens- und wünschenswert? Nein, auf keinen Fall. Ich finde es lächerlich, wie Woche für Woche Spieler*innen (wobei ich da tendenziell die Männer mehr als Problem sehe) bei leichtesten Kontakten zu Boden gehen und den sterbenden Schwan spielen, oder bei selbst provozierten Berührungen „stürzen“ in einer Form, als ob scheinbar alle physikalischen Gesetze außer Kraft wären ob der Brutalität des imaginären Fouls.
Und dies gilt natürlich auch bei jeder anderen Art des Kontaktes oder Angriffs zwischen oder auf Spieler*innen. Doch unabhängig davon, dass ich nicht probieren werde mir eine 2-Euro-Münze an den Kopf werfen zu lassen, um beurteilen zu können, ob man bei so einem Treffer zu Boden gehen muss oder nicht, verschiebt sich hier die Wertvorstellung in eine sonderbare Richtung. (Aber jeder oder jede, die den Selbstversuch wagen will, bitte ich herzlich um Rückmeldung zu den Ergebnissen)
Es ist und bleibt, ohne Wenn und Aber, vollends inakzeptabel irgendetwas auf einen Menschen zu werfen. Sei es ein Feuerzeug, eine Münze, ein leerer oder voller Bierbecher. Und von Böllern und Pyrotechnik will ich gar nicht anfangen. Denn da passiert dann offensichtlich eine seltsame Grenzverschiebung. Es kann doch nicht das Ziel sein, Fehlverhalten von Fans damit klein zu reden, dass es keine Platzwunde gibt als ‚legitimen‘ Grund um zu Boden zu gehen, nachdem man von etwas getroffen wurde. Wollen wir denn alles solange entschuldigen, bis man dann ganz schockiert sein kann, wenn ein Spieler oder eine Spielerin ernsthaft verletzt wird? Ich sage nein. Es muss umgedreht werden: die Feuerzeuge sind einfach schon nicht zu akzeptieren und es darf nicht die Stimmung erzeugt werden, wo wir das tolerieren – Spieler*innen gar das Gefühl haben, da müssen sie weiterspielen und das hinnehmen. Ganz im Gegenteil: die Schwelle, wo unterbrochen wird, Vereine in die Verantwortung gezogen werden und endlich gegen solche Leute konsequent vorgegangen wird, muss deutlich gesenkt werden. Ein Fußballstadion sollte kein Ort der Menschenverachtung sein, wo die Würde der Protagonisten keine Rolle spielt und (oftmals durch übermäßigen Alkoholkonsum herbeigeführte) unkontrollierte Emotion sich in inakzeptabler Weise entladen darf.
Wer irgendetwas Richtung Spielfeld und Menschen wirft, hat auf einem Fußballplatz und im Stadion nichts verloren.
Punkt.
Da gibt es keine Ausreden.
Und klar: lasst uns über Schauspieleinlagen in den verschiedensten Situationen reden und wie man diesen – vielleicht auch mit strengeren Strafen für die ‚Künstler*innen‘ – Einhalt gebieten kann. Doch dies ist eine andere Diskussion, die unter keinen Umständen mit dem Werfen von Gegenständen einhergehen darf.
Wir können es verändern
Und es gibt noch viele weitere Themen – nehmen wir nur homophobe Fangesänge – die auch angegangen werden müssen. Aber fangen wir Step by Step an und stellen zunächst die körperliche Integrität und Sicherheit der Spieler*innen sicher. Und so sind alle zivilisierten Fans und Fußballinteressierten gefragt: holen wir uns friedliche und sichere Fußballstadion zurück und fangen damit an, dass das Werfen egal welchen Gegenstandes auf einen Menschen nicht hinnehmbar ist. Sprechen wir unsere Vereine darauf an, reden wir mit unseren Sitznachbarn oder -nachbarinnen darüber und schaffen wir eine Stimmung und eine Dynamik, in der die Werfer*innen alleine am Pranger stehen (im übertragenen Sinne) und sukzessive aus den Stadien verschwinden. Dann brauchen wir auch nicht die entbehrliche Diskussion führen, ob man erst bei einem Treffer mit Platzwunde zu Boden geht oder nicht. Und wenn jemand in Zeiten der Inflation sein Kleingeld nicht braucht, freut sich sicher die Jugendarbeit des nächsten Fußballvereins darüber.
Louzi, abseits.at
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