Haugsdorf am 01.11.2020 um 16.15 Uhr. In der im Norden des Bezirks Hollabrunn gelegenen Ortschaft regnet es in Strömen und die Dunkelheit bricht gerade... Kommentar: Schlusspfiff, die Zweite – Eine Retrospektive des Fußballjahres

Haugsdorf am 01.11.2020 um 16.15 Uhr. In der im Norden des Bezirks Hollabrunn gelegenen Ortschaft regnet es in Strömen und die Dunkelheit bricht gerade über den beschaulichen Sportplatz herein. Völlig durchnässte Fußballspieler begeben sich in die Kabine und einige hartgesottene Fans machen sich auf den Heimweg. Auf den ersten Blick ist für Anfang November nichts Außergewöhnliches zu sehen, jedoch ist jedem bewusst, dass das Fußballjahr gelaufen ist. Ein Jahr, in welchem man sich in der ersten acht Wochen nach dem Jahreswechsel noch nicht gedacht hätte, dass Vokabeln, wie Kontaktsportverbot, Coronaampelschaltung, Zuschauerbeschränkung, Geisterspiele oder Kantinenschließung den Fußball hierzulande und auf dem gesamten Kontinent prägen werden würden. Ganz Europa ist spätestens seit Ende Oktober wieder auf den Weg in den zweiten Lockdown. In Österreich war es mit 03.11.2020 so weit. Mit diesem Datum einhergehend wurde auch den Kontaktsport im Freien für mindestens einen Monat untersagt, was abseits der Ausnahmen für die Profiligen bedeutet, dass man sich in eine verfrühte Winterpause begeben muss.

Der Jahresbeginn

Das Fußballjahr 2020 begann etwas anders als sonst, denn durch die Geburt meines zweiten Sohnes im Dezember 2019 war im Jänner nicht viel mehr möglich, als einige Testspiele auf Kunstrasenplätzen in der Ostregion abzuklappern. Mitte Februar sollte es dann doch für ein Wochenende nach Italien gehen. Es gibt zwar erste COVID-Fälle in der Lombardei, aber abgesehen vom Fiebermessen am Flughafen in Rom schenkt man dem Virus keine nähere Bedeutung. Die Reise in die Abruzzen verläuft ohne Zwischenfälle, sollte aber bis dato meine letzte Flugreise werden. Eine Woche später gibt es in der Lombardei die ersten Todesopfer zu beklagen. Einhergehend werden in dieser Region auch die ersten Fußballspiele abgesagt. Da man wieder zurück in Mitteleuropa ist, werden diese Nachrichten eher dahingehend aufgenommen, dass man diesmal Glück gehabt hat, weil man von Spielabsagen verschont geblieben ist.

Aufgrund der bevorstehenden EURO beginnen die Nachbarländer schon etwas früher mit den Ligen im Unterhaus, sodass Ende Februar und Anfang März noch Spiele in Ungarn, Kroatien, Tschechien und der Slowakei besucht werden können. Doch es wird immer deutlicher, dass sich COVID-19 nicht mehr auf Italien beschränkt und wenn man beim Grenzübertritt in die Slowakei Infoblätter über COVID-19 und einen Verhaltenskodex erhält, dann wird die unsichtbare Gefahr auch tatsächlich visualisiert.

Die Ereignisse sollten sich Mitte März überschlagen. Die Hoffnung, dass Spiele in höheren Ligen zwar ohne Besucher oder mit geringer Besucheranzahl ausgetragen werden, jedoch im Unterhaus weitergespielt wird, erfüllt sich ebenfalls nicht. Ganz Europa steht für zwei Monate still. Im Fußball wird zuerst die EURO 2020 um ein Jahr verschoben und danach werden die Amateurligen größtenteils abgebrochen. Ein einziges Land auf dem Kontinent trotz in dieser Zeit dem Lockdown. Im totalitären Weißrussland nimmt die nach dem Kalenderjahr gespielte Liga wie gewohnt und mit Zuschauern ihren Betrieb auf. Selbst unter den Fußballfans findet sich hier die Bandbreite von Meinungen, über Fassungslosigkeit und Kopfschütteln bis hin zur Suche nach Livestreams und zaghaften Reiseplanungen dorthin.

Der Profifußball im Rest Europas nimmt erst ab Mitte Mai wieder Fahrt auf, wobei die deutsche Bundesliga die Vorreiterrolle innehat. In Geisterspielen werden die meisten Profiligen – einige wenige wurden abgebrochen –  dann peu à peu im Laufe des Julis beendet. Die internationalen Bewerbe finden ihre Sieger erst im August 2020.

Der Wiederbeginn

Abseits der Profiligen wird ab Mitte Mai auch wieder gespielt. Während in nahezu allen Staaten des Kontinents erste Schritte zurück in die Normalität gesetzt werden, geschieht dieser in Tschechien abrupt, denn dort kippt das Höchstgericht die Coronaregelungen aufgrund deren Verfassungswidrigkeit, sodass auch das Fußball spielen wieder zugelassen wird. In Österreich kann man das dortige Geschehen bis Anfang Juni nur online mitverfolgen. Erst als in der ersten Juniwoche die Einreisebestimmungen für die meisten Nachbarländer fallen, ist es auch uns wieder möglich die dortigen Sportplätze zu besuchen. So steht der Juni ganz im Fokus der tschechischen Zwischensaison, in der nicht nur Testspiele, sondern auch zahlreiche Sommercups ausgetragen werden. Während deutsche Groundhopper wie eine Heuschreckenplage über den Nordwesten des Landes herfallen, bleiben wir aufgrund des großen Angebots nahezu ausschließlich in der Grenzregion des südmährischen Kreises, wo zahlreiche Vereine und deren Sportplätze besucht werden, die man sonst wohl nie angefahren hätte. Das absolute Highlight war wohl der Region Cup 2020, in dem fünf Vereine aus dem Unterhaus des Znaimer Bezirks im Meisterschaftsformat über fünf Wochen lang gegeneinander spielten.

Doch es ist bald nicht mehr alles Eitel und Wonne, denn vom Balkan, wo ebenfalls sehr bald wieder Zuschauer zu allen Spielen zugelassen wurden und sich keiner ernsthaft an Abstands- oder Hygieneregeln hielt, erreichen einen Nachrichten, dass sich COVID-19 doch nicht so einfach aus Welt bringen lässt. Während hierzulande nahezu ausschließlich über positiven Fälle im Zuge der Adria-Tour im Tennis berichtet wird, geht es fast unter, dass das Belgrader Derby im am 10.06.2020 vor 20.000 Zuschauern wohl ein Superspreader-Event für die erneute Ausbreitung des Virus in den Staaten Serbien und Montenegro gewesen ist.

Der Saisonstart in Österreich

Am Anfang Juli ist es dann wieder erlaubt, dass man in Österreich Kontaktsport betreiben darf und somit auch wieder Fußball gespielt werden kann. Zwar hätten schon seit Ende Mai Zuschauer bei Sportevents anwesend sein dürfen, jedoch nützt dies einem wenig, wenn die Ausübung der meisten Sportarten noch verboten ist. In der Bundesliga werden aufgrund des ausgearbeiteten COVID-Konzeptes allerdings in der laufenden Saison keine Zuschauer zugelassen. Im Gegenzug vertröstet man die Vereine mit höheren Kapazitätsgrenzen ab Herbst, die allerdings nur für kurze Zeit im August wirksam werden sollten. Dieses Szenario zeichnete sich leider schon ab Juli ab, denn seither stiegen die Zahlen auch in Österreich wieder an. Anfangs noch sehr langsam, aber immer stetig.

In den Landesverbänden herrschte einhellig die Meinung, dass man im Unterhaus die Saison später beginnt, man dafür aber im November etwas länger spielt. Tatsächlich beginnen alle Fußballverbände auch etwas später. Dies ist bei den westlichen Bundesländern, die sonst bereits Mitte Juli loslegen auch wegen der sonst zu kurzen Vorbereitungszeit verständlich. In Niederösterreich und der Steiermark ist dies nicht mehr so ganz nachvollziehbar, denn auch sonst hätte in diesen Bundesländern die Saisonvorbereitung nicht vor Juli begonnen. Ex ante betrachtet ging man hier wohl davon aus, dass die Zahlen im Herbst nicht mehr steigen werden, was sich ex post betrachtet als fataler Fehler herausstellen sollte.

Jedenfalls hat bei den ersten Bewerbsspielen im Juli und insbesondere bei den im August in Österreich und den Nachbarländern beginnenden Meisterschaften wieder ein Gefühl eingesetzt, dass die Sportplatzbesuche, wieder zur Normalität geworden sind. Genauso, wie wir sie vor März 2020 gewohnt waren. Jedoch sollte diese Normalität nur von kurzer Dauer sein. Während die hierzulande ausgesprochene Reisewarnung für Kroatien Mitte August hingenommen wird und die Grenzschließung in Ungarn Anfang September als überzogen abgetan wird, überwiegt im Osten Österreichs noch die Freude über den Wiederbeginn im Unterhaus. Während aufgrund der steigenden Infektionszahlen, die hoch angesetzten, zugelassen Zuschauerkapazitätszahlen in der Bundesliga halbiert werden, gehen im Unterhaus noch Derbys mit 500 Besuchern oder mehr über die Bühne. Nicht nur in Österreich, sondern auch in den Nachbarländern Tschechien und der Slowakei.

Es wird kompliziert

Da es Mitte September keinen Rückgang bei den Infektionszahlen gibt, wird seitens der Bundesregierung bei Sportveranstaltungen im Amateurbereich eine Zuschauerhöchstgrenze von 100 Personen festgelegt. Hat man zugewiesene Sitzplätze, dürfen es immerhin 250 Besucher sein. Mehr Kapazität ist nur erlaubt, wenn es ein umfangreiches Corona-Konzept samt Anmeldung bei der Bezirkshauptmannschaft gibt. Die meisten Vereine helfen sich mit Bierbänken und Biertischen, die nummeriert werden, aus, damit mehr als 100 Besucher kommen können. Für richtig große Spiele, wie wir sie gerne in unsere Planungen aufnehmen, müssen wir verzichten oder in andere Länder ausweichen. Doch auch in der Slowakei ist ab Oktober eine Beschränkung auf 200 Zuschauer bei Sportveranstaltungen geplant. Aber das Coronavirus ist dort schneller. Ende September werden dort bereits die Kantinen auf den Sportplätzen geschlossen und auf den Plätzen auch die Maskenpflicht eingeführt. Mit Oktober gibt es dann nur mehr Geisterspiele und zwei Wochen später ist die Saison beim Nachbarn endgültig unterbrochen.

Zu diesem Zeitpunkt schüttelt man in Österreich noch den Kopf über Niederösterreich. Dort vermeinte die Landesregierung, dass man die Coronaampel des Bundes nicht umsonst errichtet haben soll und verlautbart, dass ab Oktober nur mehr in Bezirken, die auf dieser Ampel in grün und gelb erleuchten, vor Zuschauer gespielt werden darf. Dies führte dazu, dass in ganzen Landstrichen, wie etwa im Marchfeld und dem Weinviertel seither nahezu alle Spiele abgesagt wurden.

Während in Niederösterreich von Woche zu Woche in weniger Bezirken vor Publikum gespielt wird, geht im Rest der Republik das Fußballgeschehen mit den Einschränkungen von Mitte September weiter. Mühsam ist der Sportplatzbesuch dennoch geworden. Man muss abklären, ob man Fotos machen darf und man sich dann als Fotograf frei um den Platz bewegen darf. Macht man das nicht, wird seitens der Vereine fast wie ein auf frischer Tat ertappter Verbrecher behandelt, weil man den unbekannten Fotografen als einen Kontrolleur zwecks Einhaltung der Coronabestimmungen vermutet. Aber da muss an dieser Stelle auch eine Lanze für die Vereine gebrochen werden. Denn dort bemühten sich die ehrenamtlich tätigen Personen darum, dass die in manchen Punkten in der Praxis kaum durchführbaren Verschärfungen bestmöglich umgesetzt werden. Diese Aufgabe wird zusätzlich erschwert, weil Fußballveranstaltungen von der Regierung als Feindbild betrachtet werden. Insbesondere sollen die Sportplatzkantinen wegen ihres „Après Soccer“ (sic!) angeblich ein großer Treiber bei den Neuinfektionen sein. Gut, es gab aber kaum Infektionen auf Sportplätzen und es sind diesen auch keine Cluster zuordenbar. Auch gilt eine Infektion im Freien als sehr unwahrscheinlich. Aber man will hier seitens der Politik gar keine lösungsorientierten Vorschläge, wie etwa, die Kantinen auf einen Kioskbetrieb umzustellen, sondern lediglich, dass man den Fußball so schnell wie möglich in die Knie zwingt.

Die große Ungewissheit

Trotz der gesetzten Maßnahmen, steigen die Coronainfektionen unaufhaltsam. Sie wachsen exponentiell und werden schnell von dreistelligen zu vierstelligen Zahlen. Zu Beginn der Herbstferien kapitulieren das Burgenland, wo eine Kantinenschließung mit Spielende in orangefarbenen Bezirken auch keine Wirkung zeigte, und das Land Salzburg und setzen den Spielbetrieb bis auf Weiteres aus. Für die Vereine und Sportplatzbesucher in den anderen Bundesländern wird es aber auch nicht angenehmer. Es kann zwar weiterhin vor Zuschauern gespielt werden, jedoch dürfen nur mehr zugewiesene Sitzplätze ausgegeben werden und jede Veranstaltung muss bei der Bezirkshauptmannschaft angezeigt werden. Zuschauer müssen während der gesamten Veranstaltung einen Mund-Nasen-Schutz tragen und es gibt ein Kantinenverbot. Immerhin wurde das Kantinenverbot dahingehend ausgelegt, dass Getränke und Speisen im Kioskbetrieb weiterhin verkauft werden können.

Die Hoffnung, dass man sich so doch noch bis Mitte oder Ende November in die Winterpause retten kann, um so ein Terminchaos im Frühjahr zu vermeiden, erfüllt sich nicht. Die Zahlen sind außer Kontrolle geraten und die Regierung hat wohl wenn auch nicht die falschen, zumindest nicht die richtigen Maßnahmen gesetzt, um die Ausbreitung des Virus wirklich stoppen zu kennen. Der zuerst mit 03.11.2020 folgende „Lockdown light“ beendet mit 01.11.2020 die Saison im österreichischen Unterhaus. Einzig die Bundesliga, die Frauen Bundesliga und höchsten landesweiten Jugendligen, dürfen ohne Zuschauer weiterspielen, genauso wie die restlichen europäischen Profiligen internationalen Bewerbe.

Wieder zurück in Haugsdorf, wo die siegreichen Kicker des heimischen AFC noch kurz ihren 10:1 gegen Gnadendorf feiern. Auch dort sind sich die Offiziellen bewusst, dass das Fußballjahr 2020 schon etwas früher Geschichte ist. Ein außergewöhnliches Jahr, dessen Verlauf wohl niemand so prognostiziert hat. So wie in Haugsdorf, hofft man bei den Vereinen des Landes, dass es im Frühjahr 2021 wieder weitergeht. Ohne Kapazitätsbeschränkungen, zugewiesenen Sitzplätzen oder Maskenpflicht im Freien.

Doch man ist wohl ein Optimist, wenn man glaubt, dass es im Frühjahr wieder normal weitergeht. Das Vertrauen in die Regierung, dass sie dieser Krise bewältigen kann, ist in der Bevölkerung immer weniger vorhanden und dieses Vertrauen ist seitens der Vereine noch einmal um ein weiteres Stück geringer. Die Politik hat den Stellenwert des Amateurfußballs sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Dieser Stellenwert ist eigentlich nicht vorhanden, denn– insbesondere im Herbst – hat man den Vereinen mit völlig überzogenen Maßnahmen, die dann seitens der Vereine dennoch sehr gut umgesetzt und eingehalten wurden, das Leben außerordentlich schwergemacht. Bleibt nur zu hoffen, dass so viele Vereine wie möglich diese schwierige Zeit einigermaßen unbeschadet überstehen und 2021 für alle Fußballbegeisterten ein besseres Jahr als 2020 wird.

Heffridge

Philipp Karesch alias Heffridge wurde 1979 in Wien geboren und hatte von Kindesbeinen an die Lust am Reisen und Fußball zu spielen. Durch diese Kombination bedingt, zieht es ihn nach wie vor auf die Fußballplätze dieser Welt. Die dort gesammelten Eindrücke sind ein fixer Bestandteil der abseits.at-Kolumne Groundhopper's Diary.

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