Wir drehen das Rad der Zeit etwas zurück. Es ist Anfang März 2020 und in Mitteleuropa erwachen nach und nach die Ligen im Amateurfußball... Kommentar: „Warten auf das Vereinssterben“

Wir drehen das Rad der Zeit etwas zurück. Es ist Anfang März 2020 und in Mitteleuropa erwachen nach und nach die Ligen im Amateurfußball aus ihrer langen Winterpause. Nach der kalten Jahreszeit sollte für die Fußballbegeisterten bald die schönste Zeit des Jahres beginnen. Lange Abende bei Tageslicht und angenehme Temperaturen, gepaart mit heißen Nachbarschaftsderbys sowie spannenden Meisterschaftsentscheidungen. Doch bis es soweit, ist freut man sich, dass der Ball Anfang März wieder rollt, so auch im westslowakischen Fußballverband. In diesem Teil der Slowakei startet die viertklassige Liga „Nord-West“ schon eine Woche vor den anderen Ligen  in ihre Frühjahrssaison. Da bin ich natürlich dabei und es sollte in das nahe der Stadt Trnava gelegene Hlohovec gehen.

Das letzte Spiel

Das Tabellenschlusslicht FC Slovan Hlohovec trifft auf dem MFK Spartak Banovce nad Bebravou. Für meinen dreijährigen Sohn ist es etwas Besonders, denn er darf erstmals in ein wirklich großes Stadion mitkommen. Er fiebert auf der etwas in die Jahre gekommen Tribüne mit, wie sich die „Lilanen“ aus Hlohovec den „Weißen“ nach einer Führung noch mit 1:2 geschlagen geben müssen. So wie für ihn dieser Ausflug etwas Besonderes war, sollte es auch für mich ein besonderer Ausflug werden, nämlich bis dato mein Letzter.

Unter der Woche bricht der slowakische Fußballverband als erster alle Amateurmeisterschaften ab. Andere Länder ziehen nach und sagen zumindest ihre Spiele für das nächste Wochenende ab. Die Profiligen sind zu diesem Zeitpunkt ebenfalls schon unterbrochen. Der zuvor gehegte Gedanke, dass man im Frühjahr zumindest Spiele im österreichischen Amateurfußball, sofern die Zahl von 500 Personen am Sportplatz nicht überschritten wird, anschauen kann, erfüllt sich ebenfalls nicht. Der ÖFB sagt am 12.03. bis auf weiteres alle Spiele ab.

Auch im privaten Bereich gibt es Einschnitte. Am Dienstag und Mittwoch wird vor der Schule, wo unsere Hallenkickrunde stattfindet, noch gescherzt, ob wir uns nächste Woche wiedersehen werden, denn wenn die Schulen geschlossen werden, sind ja auch die Turnsäle zu. Am Freitag, dem 13.03, verkündet die Regierung den „Lockdown“, der das Leben eines pulsierenden Landes abrupt ins Stocken brachte. Meine Freunde aus der Fußballrunde habe ich seit diesem besagten Mittwoch nicht mehr gesehen, geschweige denn, dass mit anderen Leuten Fußball spielen habe können.

Das Coronavirus hat keine Bogen um Österreich gemacht und beginnt sich auch hier zu verbreiten. Die Bevölkerung trägt die in allen Lebensbereichen einschneidenden Maßnahmen sofort mit. Das war jedenfalls gut und richtig, sodass Österreich von den schlimmen Szenarien, wie sie mit Bildern aus Italien und Spanien in das Wohnzimmer geleifert werden, verschont blieb.

Der endgütige Saisonabbruch

Einen Monat später zieht Ostern ins Land und stellt die Bevölkerung auf die erste große Geduldsprobe, denn trotz sinkender Infektionszahlen fällt bei bestem Wetter das insbesondere für Familientreffen genutzte Fest ins Wasser. Für den Fußball in Österreich sollte wenige Tage später die Entscheidung fallen, wie es weitergeht. Es sieht nicht gut aus, weil Veranstaltungen aller Art bereits bis 30.06. untersagt wurden.

Am 15.04. wird verlautbart, dass die Fußballsaison im Amateurbereich endgültig abgebrochen und annulliert wird. Die beiden Profiligen sollen ohne Zuschauer zu Ende gespielt werden. Wie das vonstattengehen soll weiß man über zwei Wochen später noch immer nicht so genau. Insbesondere haben die Zweitligisten bei fehlenden Einnahmen nicht die finanziellen Mittel nahezu tagesaktuelle Tests zum Kostenpunkt von etwa 100 Euro pro Person durchzuführen. Auch bei der Bundesliga kann man Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Methoden stellen, aber das Fernsehgeld und die UEFA scheinen derzeit noch das stärkere Druckmittel als die Rationalität zu sein. Doch ein Fertigspielen der Liga zu forcieren, um Europacupstarter für die nächste Saison zu ermitteln, scheint ebenfalls nicht mehr zielführend. Die Vereine werden im Sommer wohl nicht durch Europa reisen können. Dass die neue Europacupsaison auch erst im Spätsommer startet, ist aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich.

Nun aber wieder zurück zum Abbruch der Amateurligen, der in der kurzen Zeit nach seiner Verkündung bei einigen Vereinen Empörung hervorgerufen hat. Insbesondere fühlten sich die Herbstmeister, von denen einige schon ein ordentliches Punktepolster gesammelt haben, um ihre Aufstiegschance gebracht. Dass dies der Wahrheit entspricht, ist unbestritten, jedoch sind die Alternativen, wie etwa das Einfrieren oder die Mitnahme des Punktestandes oder die Halbsaison ganz zu werten, auch nicht wirklich praktikabel gewesen und Benachteiligte und Nutznießer gibt es ebenfalls in jeder der vorgeschlagenen Varianten.

Zwei Wochen nach der Verkündung dieses Beschlusses wird aber schon ersichtlich, dass diese Pause seine ersten Opfer nach sich zieht. Regional- und Landesligisten leiden besonders unter den Spielausfällen. Ihre doch üppigen Budgets sind ohne Zuschauereinnahmen und Sponsorengeldern nicht wirklich gedeckt. Bisher haben sich der ASK Ebreichsdorf aus der Regionalliga Ost und der FC Zell am See aus der Salzburger Liga aus ihren Spielklassen zurückgezogen, der Regionalligist SAK 1914 hat all seine Spieler freigestellt, um keine Kosten zu haben. Da wohl davon auszugehen ist, dass noch einige weitere Vereine die spielfreie Zeit nicht schadlos überstehen werden, wird den meisten der designierten Aufsteiger sowieso ein Platz in höheren Ligen angeboten werden.

Die große Ungewissheit

Doch wann es überhaupt eine neue Saison geben wird, ist ebenfalls ungewiss und wird in diesem Zusammenhang an jenem 15.04. gerne leichtfertig überlesen. Im Kontaktsport Fußball ist es schwer die Abstände eines Babyelefanten einzuhalten, sodass selbst Trainingseinheiten bis auf weiteres verboten wurden und seitens der Regierung sogar gemeint wurde, dass man erst wieder Fußball spielen werde können, wenn es ein Medikament oder eine Impfung gegen dieses Virus gibt. Dies könnte allerdings noch mehrere Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern.

Es ist schwer zu verstehen, dass es meine wöchentlich stattfindenden Fußballrunden in der Halle wohl erst wieder in einigen Jahren geben wird. Für den Amateurfußball ist es im Gegensatz zum Hallenkick aufgrund mehrerer Faktoren sogar unmöglich diese Pause durchzustehen. So wichtig es auch ist, vorsichtig zu sein, um eine Wiederausbreitung des Virus zu vermeiden, so muss man sich auch bewusst werden, dass der Amateursport eine wichtige Stütze in der Gesellschaft ist. Alleine der ÖFB hat über eine halbe Million Mitglieder. Die Zahl der Personen, die zusätzlich noch im Fußballsport involviert sind, damit das Vereinsleben und der Meisterschaftsbetrieb reibungslos ablaufen können, ist bei dieser Zahl noch nicht einberechnet. Neben diesen Personen sehnen sich nochmals die zahlreiche Besucher der Sportplätze nach einem Wiederbeginn der Fußballigen.

Alleine im ländlichen Raum sind die Heimspiele der örtlichen Fußballmannschaft ein wichtiger und beinahe der einzige Anlass, dass die Bevölkerung regelmäßig zusammenkommt. Vor und nach den Spielen trifft man sich In der Kantine und genießt am Wochenende die Gesellschaft anderer Leute, wodurch man dem Arbeitsalltag bestens entfliehen kann. Ein Fehlen dieser Zusammenkünfte kann zweifelsohne zu mehr Vereinsamung und Depressionen führen, aber jedenfalls führt das Ausbleiben dieser Zusammenkünfte auch zum Ausbleiben von wichtigen Einnahmen zur Aufrechterhaltung des Spielbetriebes. Ebenfalls sicher ausfallen werden in diesem Jahr die meist im Frühjahr oder Sommer stattfindenden Sportfeste, die nicht einen unerheblichen Teil zur Finanzierung der nächsten Saison beigetragen haben.

Aber nicht nur der wirtschaftliche Aspekt soll hier betrachtet werden, sondern es darf auch nicht der gesundheitliche Aspekt außer Acht gelassen werden, denn Kinder und Jugendliche werden durch diese Vereine an den Sport gebunden, machen ausreichend Bewegung und sind die Zukunftsaktien der Vereine, um auch in den nächsten Jahren genügend Spieler im Erwachsenenbereich zu haben, um dem Verein eine ausreichende Kaderstärke zu geben. Sollte der Amateurfußball eine lange Pause machen, verliert man eine Vielzahl an Kinder an andere Sportarten oder sonstige Freizeitaktivitäten, wodurch die Vereine aufgrund des zu erwartenden Spielermangels auch noch Jahre nach der Krise betroffen sein werden.

Nicht zu vergessen, dass all diese Vereine ehrenamtlich geführt werden. Von Personen, die mit viel Herzblut ihre Freizeit zur Gänze für diverse Aktivitäten im Verein aufbringen. Der Idealismus dieser Personen hielt bisher das Vereinswesen in Österreich am Leben. Schon in den letzten Jahren haben Vereine aufgrund des Funktionärsmangels vermehrt ihren Spielbetrieb eingestellt, weil sich einfach keine Nachfolger für dieses zeitaufwendige Ehrenamt gefunden haben. Mit einer längeren Pause gehen auch weitere dieser (überlebens-)wichtigen Funktionäre dem Sport verloren und dies hat ein weiteres Vereinssterben zu Folge.

Zu guter Letzt muss man noch ein Auge auf die Spieler werfen, für die der Verein jedenfalls ein sozialer Treffpunkt unter Gleichgesinnten ist. Für einige kann der Verein aber auch ein Anker in der Gesellschaft sein. Sei es auf dem Gebiet der Integration oder der Sozialisation, um Leute mit gesellschaftlichen Werten vertraut zu machen.

Die Krise trifft aber nicht nur den Fußball, sondern auch alle anderen Kontakt-, Kampf- und Mannschaftssportarten, für die das zuvor Geschrieben ebenfalls zutrifft. Kleinere Sportverbände, wie etwa der Judoverband, sehen nicht nur einer ungewissen Zukunft entgegen, sondern haben tatsächlich Existenzängste, wenn nicht spätestens ab Sommer wieder zurück in die Normalität geht.

Die Öffnung der Sportplätze und der Sportplatzkantinen und das Zulassen des Trainings unter der Einhaltung der Abstandsregeln sind ein Schritt in die richtige Richtung und ein Hoffnungsschimmer, dass der Spielbetrieb doch in naher Zukunft wieder aufgenommen werden kann. Die Reaktionen seitens der Vereine fallen aber nicht nur positiv aus, denn ohne Ziel eines Meisterschaftsbetriebes zu trainieren, ist auf Dauer wohl keine Option.

Noch hat das Vereinssterben nicht eingesetzt, sollte es aber gröbere Verzögerungen oder sogar einen Ausfall der kommenden Saison geben, dann werden zahlreiche Vereine nicht überleben und dies zieht wahrscheinlich einen weitaus größeren Schaden nach sich, als es das Coronavirus, bei der derzeitigen Verbreitung in der österreichischen Gesellschaft, anrichten könnte. Es bleibt nur mehr die Hoffnung, dass die Ansteckungszahlen auch nach der schrittweisen Öffnung bis zum Sommer niedrig bleiben, damit der Breitensport abseits von Tennis, Golf und Pferdesport noch eine Zukunft hat.

Ich ging vor Kurzem mit meinem Sohn am Sportplatz in Siebenhirten vorbei. Er erzählte mir von damals, als die Weißen gegen die Grünen gewonnen haben. Er kann sich noch erinnern, dass der VfB Mödling hier an einem Sonntagvormittag einen 2:0-Auswärtssieg feiern konnte. Hoffentlich kann er bald wieder neue Eindrücke von den Fußballplätzen hierzulande sammeln.

Heffridge

Philipp Karesch alias Heffridge wurde 1979 in Wien geboren und hatte von Kindesbeinen an die Lust am Reisen und Fußball zu spielen. Durch diese Kombination bedingt, zieht es ihn nach wie vor auf die Fußballplätze dieser Welt. Die dort gesammelten Eindrücke sind ein fixer Bestandteil der abseits.at-Kolumne Groundhopper's Diary.

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