Die deutsche Debatte rund um den Kampf gegen gewaltbereite Fans und für mehr Sicherheit in den Stadien treibt immer absurdere Blüten. Der jüngste Vorschlag... Pfosten der Woche (KW 05) – Lorenz Caffier

Die deutsche Debatte rund um den Kampf gegen gewaltbereite Fans und für mehr Sicherheit in den Stadien treibt immer absurdere Blüten. Der jüngste Vorschlag aus dem Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns zeigt, dass es offenbar schon längst nicht mehr um die Sache selbst und eine ernsthafte Diskussion darüber, sondern um politisches Kleingeld und Desensibilisierung der Gesellschaft für die Nutzung moderner Überwachungstechniken durch die Behörden geht.

Innenminister Lorenz Caffier ließ vergangene Woche mit einer bemerkenswerten Idee aufhorchen: er plant, im Rahmes eines Pilotprojekts in Rostock Gesichtsscanner an den Stadioneingängen installieren zu lassen, die die erfassten biometrischen Daten der Besucher automatisch auswerten und mit der Datei „Gewalttäter Sport“ abgleichen soll. Laut Caffier soll dadurch Personen mit aufrechtem Stadionverbot der Zutritt zu Heimspielen der Hansa effektiver als bislang verwehrt werden, darüberhinaus will er „Gewaltchaoten“ und „Pyromanen“ schon am Eingang aussortieren:

“Es geht nicht um die Erfassung aller Besucher eines Fußballspiels. Mir geht es allein darum, dieses Gefahrenpotenzial durch den Einsatz moderner Technik zu verringern, zum Nutzen der übergroßen Mehrheit der Besucher.”

Dass es in vielen Kurven Deutschlands und Europas Probleme mit Fans gab und gibt, ist unbestritten. Einen Eintrag in die deutsche Datei „Gewalttäter Sport“ verdient man sich aber vergleichsweise einfach: oft genügt es, im Zuge einer Masseningewahrsamnahme in der Nähe gewesen zu sein, wenn irgendjemand an einem Bahnsteig einen Böller zündet. Caffier schlägt also vor, mit Atomraketen auf Spatzen zu schießen – zumal die Vereine ihre Pappenheimer in der Regel gut kennen und Stadionverbote sehr effektiv kontrollieren können, wenn sie es denn auch wollen. Auch die potentielle anderweitige Nutzung der erhobenen Daten verschweigt Caffier geflissentlich; doch wie lautet das an dieser Stelle übliche Totschlagargument so schön:  wer nichts zu verbergen hat, hat ja bekanntlich auch nichts zu befürchten.

Abgesehen davon bedarf es für die automatische Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten entweder einer entsprechenden Rechtgrundlage oder einer den datenschutzrechtlichen Erfordernissen genügenden Einwilligung der Betroffenen; dass derzeit weder im Polizeigesetz, noch im Sicherheits- und Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommerns eine entsprechende Regelung besteht und im vorliegenden Fall aufgrund der mutmaßlichen Unverhältnismäßigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht halten würde, stört Caffier nicht und freut Hunderte von Studenten, die künftig per Unterschrifteneinholung rund um die Bierstände des Stadions zu einem kleinen Nebenverdienst kommen könnten.

Kritik an Caffiers Plänen hagelt es allerdings nicht nur von den üblichen Verdächtigen – Fanbeauftragte, Liberale, Datenschützer – sondern auch von Reinhard Rauball, Vorsitzender der DFL, sowie der Gewerkschaft der Polizei (!). GdP-Chef Bernhard Witthaut kommentierte knapp:

„Es ist Irrsinn, ein Sicherheitssystem aufzubauen, das nur über totale Überwachung funktioniert, insbesondere wenn eine Rechtsgrundlage fehlt.“

Zusammengefasst: Datenschützer und Juristen tippen sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, die Liga lehnt den Vorschlag ab, selbst der Polizeigewerkschaft ist die Sache zu heiss. Dass Caffier trotzdem an seinem Pilotprojekt festhält, legt den Schluss nahe, dass es ihm mitnichten um mehr Sicherheit in den Stadien geht. Fußballfans haben in der öffentlichen Debatte schon seit längerem keinen leichten Stand – also warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, sich als Kämpfer für mehr Sicherheit in deutschen Stadien profilieren und gleichzeitig der Polizei die Möglichkeit geben, moderne Überwachungstechnik auf dem Rücken der Fans zu testen und damit den ersten Schritt zur Salonfähigkeit ebenjener Technik zu setzen?

Es gibt zweifellos Probleme, die zu lösen und Maßnahmen, die zu treffen sind. Eine Versachlichung der Diskussion täte aber dringend Not, und Vorschläge wie jener von Lorenz Caffier sind, selbst oder gerade wenn sie tatsächlich so gemeint sein sollten, wie sie der Öffentlichkeit verkauft werden, höchst bedenklich und verzichtbar. Denn das Stadion ist kein rechtsfreier Raum – das gilt nicht nur für die Fans, sondern auch für ihre Überwacher.

(Lichtgestalt)

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