Die Debatte um die mangelnde Inbrunst der deutschen Chorknaben beim Absingen der Nationalhymne vor dem EM-Halbfinale gegen Italien reisst nicht ab. DFB-Ehrenpräsident Mayer-Vorfelder fordert jetzt drastische Konsequenzen für jene Spieler, die hartnäckig stimmlichen Einsatz vermissen lassen.
Bariton und Alt und Mezzosopran für das deutsche Vaterland, das wünscht sich Gerhard Mayer-Vorfelder künftig vor jedem Länderspiel – und mehr noch: Spieler, die sich um ihren gesanglichen Beitrag drücken, sollen zur Strafe nicht mehr einberufen werden:
“Der Bundestrainer muss die Singpflicht durchsetzen. […] Er sagt immer, er könne sie nicht zwingen. Ich sage aber: Klar kann man die Spieler zwingen. Wenn sich einer der Spieler dann immer noch beharrlich weigert, dann wird er eben nicht mehr eingeladen.“
Eine grandiose Idee, die zu einer völlig neuen Prioritätensetzung bei der Kaderzusammenstellung führen könnte: Lenkt das deutsche Spiel, singt aber nicht – gestrichen. Kriegt keinen geraden Pass auf die Reihe, brüllt sich aber vor dem Spiel die Seele aus dem Leib – Stammplatz. Bewegt zwar bei der Hymne die Lippen, aber nicht den Kehlkopf – bestenfalls Ersatzbank. Umfassendes Scouting würde man sich künftig sparen, potentielle Nationalspieler könnten ihre Gesangsproben einfach auf CD mit frankiertem Rückkuvert an den DFB schicken, der dann gemeinsam mit Dieter Bohlen die zwanzig besten Sängerknaben auswählt.
Als faule Äpfel im deutschen Fußballkorb entlarvt Mayer-Vorfelder in weiterer Folge dann Mesut Özil und Sami Khedira, die angegeben hatten, die deutsche Hymne aus Respekt vor ihren Heimatländern nicht zu intonieren:
„Die Italiener haben mit Inbrunst mitgesungen — und auch mit der gleichen Leidenschaft für ihr Land gespielt. Und wir? Das sah fast schon beschämend aus. […] Der Migrationshintergrund ist für mich keine ausreichende Begründung, stumm zu bleiben. Ich kann nicht für die DFB-Auswahl auflaufen und alle Vorteile einstreichen wollen, dann aber so tun, als wäre ich nur ein halber Deutscher.“
Eine klare Ansage an Özil, Khedira, Podolski & Co.: solange ihr gut spielt und Titel holt, seid ihr willkommen und wohlgelitten, der DFB schmückt sich mit seiner Diversität und macht euch zu Botschaftern des deutschen Miteinanders. Verliert ihr aber gegen die Italiener und habt noch dazu die Chuzpe, bei der Hymne das Maul nicht aufzukriegen, könnt ihr was erleben. Doppelmoral vom Feinsten, zumal der deutsche Verband (wie alle anderen Verbände auch) versucht, Spieler mit Potential, die neben dem einheimischen auch einen anderen Reisepass besitzen, zu einer Entscheidung für die eigene Nationalelf zu bewegen. Dass dies für beide Seiten oft vielmehr eine Frage der Perspektive und Karriereplanung als eine emotionale Grundsatzentscheidung ist, liegt doch eigentlich auf der Hand – zumal der daraus entstehende Vorteil nicht, wie von Mayer-Vorfelder suggeriert, nur für die betreffenden Kicker entsteht, sondern ein beiderseitiger ist.
Mario Balotelli hat die italienische Hymne vor dem Doppelpack gegen Deutschland übrigens nicht mitgesungen, ebenso wenig wie die Spieler von Europameister Spanien ihre textfreie „Marcha Real“. Auch Franz Beckenbauer und viele seiner Kollegen blieben beim deutschen Weltmeistertitel 1974 stumm, auf dem Platz hat’s anschließend aber trotzdem geklappt. Die gesangliche Leistung vor dem Spiel ist also offenbar doch kein zuverlässiger Indikator für das Abschneiden in der nachfolgenden Partie, denn wie hieß es bei den letzten Turnieren so schön: Wo man singt, da lass dich ruhig nieder – und am Ende gewinnt dann Spanien wieder.
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