Die Belgier sind verrückt nach ihrem Nationalteam: Wie eine Werbekampagne alles veränderte
WM 2014 | Allgemein 4.Juli.2014 Stefan Karger 0
Vor einigen Jahren interessierte sich in Belgien fast niemand fürs heimische Nationalteam. Die Fußballer wurden in der Öffentlichkeit als arrogante, abgehobene Millionäre wahrgenommen, die Länderspiele waren schlecht besucht und die Sympathiewerte lagen im tiefsten Kellergeschoss. Mittlerweile ist jedoch das ganze Land im Fußballfieber und das Achtelfinalspiel zwischen Belgien und den USA sorgte für noch nie dagewesene Einschaltquoten. Wie gelang dem belgischen Verband der Umschwung?
Seit den 80er-Jahren verlor die belgische Nationalmannschaft immer mehr an Popularität. Als Belgien im Jahr 2009 im Rahmen der WM-Qualifikation auswärts auf Armenien traf, fand sich gerade einmal ein Fan, der sein Nationalteam nach Jerewan begleitete. Auch viele der Nationalspieler hatten wenig Interesse ihr Land zu vertreten, schwänzten Trainingseinheiten und gingen stattdessen feiern. Einwechselspieler gaben sich beleidigt, weil sie nicht in der Startelf standen und verweigerten ihren Einsatz.
Für die Medien war die geringe Popularität ein gefundenes Fressen und die Tageszeitungen schossen sich mit Freude aufs Nationalteam ein. Der belgische Verband erkannte, dass Maßnahmen gesetzt werden müssen, um das Vertrauen zwischen den Anhängern und der Auswahl wieder herzustellen. Das Ausmaß des Misstrauens wurde allerdings erst offenbar, als eine Umfrage ergab, dass die Fans der Nationalbank mehr vertrauten, als der Nationalmannschaft. Dieses niederschmetternde Ergebnis veranlasste den Verband zu einem ungewöhnlichen Schritt. Er beauftragte die Marketingagentur Boondoggle das Image des Nationalteams aufzupolieren – und diese leistete ganze Arbeit.
Die Geburt der Red Devils
Boondoggle verlor keine Zeit und startete eine landesweite Kampagne, die die Spieler des Nationalteams geschlossen mittrugen. Zunächst wurde der Spitzname „Red Devils“ fürs Nationalteam auserkoren, danach drehte die Agentur gemeinsam mit den Spielern zahlreiche Videos, die sich in Windeseile im ganzen Land viral verbreiteten. Die Kicker stellten den Fans Aufgaben und erfüllten ihrerseits danach die Wünsche von ihren Anhängern. Die Fans füllten beispielsweise ein Stadion mit einem Fassungsvermögen von 46.000 Sitzplätzen voll mit Kinderzeichnungen über das belgische Nationalteam. Die Anhänger mussten im ganzen Land Anfeuerungsrufe aufnehmen, bis diese zusammen 500.000 Dezibel erreichten. Im Gegenzug besuchten die Spieler ihre Fans, erledigten dort den Abwasch in der Küche oder halfen Kinder bei ihren Hausaufgaben. Die Aufgaben auf beiden Seiten zeugten von einer großen Kreativität – die Spieler des Nationalteams mussten am Ende ihrer Trainingseinheit beispielsweise in „Sumo-Ringer-Kostümen gegeneinander antreten, oder auf an der Latte aufgehängte rote Farbbeutel schießen.
Es gab zahlreiche weitere Aktionen, die im ganzen Land gut ankamen. Die Gesichter von 10.000 Fans wurden in Miniaturform auf den Mannschaftsbus gedruckt, auf Facebook wurden zahlreiche Aktionen und Bilder von Fans geteilt, was die Folge hatte, dass sich die Beitrittszahlen im größten sozialen Netzwerk vervielfachten. Vor einigen Jahren bestanden die meisten Kommentare noch aus wüsten Beschimpfungen, heute werden Beiträge euphorisch kommentiert und geteilt. Die Begeisterung ging so weit, dass sie eine Stadt namens Geel (belgisch für Gelb) kurzfristig in Rood (Rot) umbenannte.
Vereint hinter dem Nationalteam
Die Medien wurden im Rahmen dieser Kampagnen zunächst bewusst außen vor gelassen, da die Agentur der Meinung war, dass diese von sich aus auf den Zug aufspringen müssten, weil man nichts erzwingen will und kann. Nach und nach wurden die Berichte in den Zeitungen immer positiver und die Medien halfen mit, dass die Euphorie im ganzen Land immer größer wurde. Das König-Baudouin-Stadion, früher Heysel-Stadion, war zuletzt fünfmal in Folge ausverkauft und die Fans standen nach langer Zeit wieder geschlossen hinter der Mannschaft. Die Marketing-Aktionen hatten im Grunde keinen politischen Hintergrund, führten aber dazu, dass die oft gespaltene Nation wie ein Mann hinter dem Team stand. Die niederländischsprachigen Flamen im Norden stehen heute genauso hinter dem Nationalteam, wie die französischsprachigen Wallonen im Süden. Die ganze Nation ist in dieser Sache geeint – der Fußball hat das geschafft, was der Politik nicht gelingen wollte.
Das Achtelfinalspiel zwischen den “Red Devils“ und den USA sahen knapp 4,2 Millionen Belgier vor ihren TV-Geräten. Weitere 500.000 sahen sich die Begegnung in Bars und auf Großleinwänden im Freien an. Diese Zahlen sich beeindruckend, wenn man bedenkt, dass Belgien nur etwa 11 Millionen Einwohner hat. Das Spiel mit den besten Einschaltquoten der vergangenen Saison in Österreich war das Länderspiel gegen Irland, das 1,02 Millionen Zuschauer sehen wollten.
Dass die Marketing-Aktionen so gut ankamen war übrigens auch ein großer Verdienst von Vincent Kompany, der nicht nur eines der größten Aushängeschilder in den Kampagnen war, sondern auch innerhalb des Teams gehörige Überzeugungsarbeit leistete. Er machte jungen Spielern wie Eden Hazard klar, dass im Endeffekt alle von diesen Aktionen profitieren werden und sorgte dafür, dass die Mannschaft zu hundert Prozent hinter den Kampagnen stand. Es ist erstaunlich, wie schnell die Popularitätsmaßnahmen griffen und die Mannschaft das Vertrauen der Fans zurückgewinnen konnte. Von diesem Beispiel können auch andere Verbände lernen, denn in Belgien waren aufgrund der gespaltenen Bevölkerung die Voraussetzungen sicherlich nicht einfacher, als in den meisten anderen europäischen Ländern.
Stefan Karger, www.abseits.at
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Stefan Karger
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