„Das Wunder von Bern“ ist für unsere Lieblingsnachbarn aus dem Norden nicht gerade das Äquivalent des österreichischen „Cordobas“. Der DFB hat schließlich drei WM-Titel... Weltmeisterschaft 1954: Ra(h)n an den Speck! – Die deutsche Sensation

Retro Fußball„Das Wunder von Bern“ ist für unsere Lieblingsnachbarn aus dem Norden nicht gerade das Äquivalent des österreichischen „Cordobas“. Der DFB hat schließlich drei WM-Titel vorzuweisen und hofft seit Jahren, dass demnächst Nummer Vier hinzukommt. Mit dem überraschenden Sieg bei der Endrunde 1954 begann der Aufstieg der Deutschen als Fußballgroßmacht. Kaum jemand hatte ihnen im Vorfeld den Titelgewinn zugetraut, aber nicht nur aus diesem Grund war die fünfte Austragung des FIFA-Turnieres etwas ganz Besonderes.

Basel, Bern, Genf, Lausanne, Zürich und Lugano

Die Endrunde trug dieses Mal offiziell den Namen „Fußball-Weltmeisterschaft“ und wurde nach langem Hick-Hack von der Schweiz ausgetragen. Die Eidgenossen tauschten mit dem eigentlich vorgesehenen Veranstalter Schweden, da sie so ihre 50-jährige FIFA-Mitgliedschaft gebührend feiern konnten. Erstmals wurden die Spiele live übertragen und so kamen tausende Menschen vor Radio und Fernsehen in den Genuss, ihre Nationalmannschaften zu verfolgen. 1954 meldeten sich auch genügend Teams zum Wettkampf an. Einige Mannschaften bekamen sogar Absagen erteilt, da sie die Anmeldefrist versäumt hatten: Die Holländer mussten so zuhause bleiben.

Den Eidgenossen wurde, wegen der Kleinheit des Landes, zunächst keine vernünftige Turnierleitung zugetraut: Mit dem St.-Jakob-Park in Basel und dem Stadion Wankdorf in Bern verfügten sie jedoch über herzeigbare Sportstätten. Hinzu ließ man noch Spiele in Genf, Lausanne, Zürich und Lugano austragen.

34 Teams spielten in der Qualifikation. Darunter auch die Elf der noch jungen BRD gegen das autonome Saarland, das heute ein deutsches Bundesland ist. Das Duell Spanien – Türkei wurde nach einem zwei Siegen und einem Unentschieden, das auch in der Verlängerung kein Tor brachte, per Los entschieden. Spanien musste daheim bleiben und auch die starken Schweden kamen nicht an Belgien vorbei. Der spätere Vize-Weltmeister Ungarn musste nach dem Rückzug Polens kein einziges Qualifikationsspiel bestreiten.

16 Nationen qualifizierten sich schlussendlich und wurden in vier Vierergruppen aufgeteilt: Die FIFA ließ je zwei „gesetzte“ gegen zwei „ungesetzte“ Teams auflaufen. Möglichen Favoriten sollte so ein frühes Ausscheiden erspart werden, denn sie galten als Publikumsmagneten. Pro Sieg gab es zwei Punkte, bei einem Unentschieden und einer 2 x 15-minütigen Verlängerung, die nichts einbrachte, wurden die Punkte geteilt. Die ersten beiden Mannschaften qualifizierten sich für das Viertelfinale, diese Platzierung wurde alleine durch die Punkteanzahl bestimmt. Bei Punktegleichheit entschied das Los, falls Punktgleichheit auf dem zweiten und dritten Platz vorliegen sollte, wurde allerdings ein Entscheidungsspiel gespielt.

So kam es, dass Jugoslawien durch Losentscheid vor Brasilien, das ebenso einen Sieg und ein Unentschieden vorzuweisen hatte, gereiht wurde. In Gruppe 2 besiegte Ungarn Deutschland, die BRD kam jedoch im Entscheidungsspiel um Platz 2 gegen die Türkei weiter. Außerdem fand in dieser Gruppe der bis dahin höchste WM-Sieg statt: 7:0 triumphierte die Türkei über Südkorea. Österreich „siegte“ in Gruppe 3 durch Losentscheid mit dem schlechteren Torverhältnis vor Noch-Weltmeister Uruguay. Die Schweiz rang in der letzten Gruppe Italien überraschend mit 4:1 nieder und konnte so hinter England ins Viertelfinale aufsteigen.

Tropenhitze und Fritz-Walter-Wetter

Den Eidgenossen, die wieder vom Wiener Karl Rappan trainiert wurden, wurde Österreich als Viertelfinalgegner zugelost. Das Match, das als „Hitzeschlacht von Lausanne“ in die Sporthistorie einging, ist zugleich auch das torreichste WM-Spiel aller Zeiten. Der Gastgeber führte nach 23 Minuten bereits mit 3:0, da der rot-weiß-rote Keeper Kurt Schmied einen Sonnenstich erlitten hatte und so orientierungslos umher taumelte. Zu allem Überfluss verschoss Rapid-Legende Robert Körner auch noch einen Elfmeter. Doch die Österreicher rissen sich zusammen und spielten die Schweizer schließlich schwindelig. „Nach dem 0:3 sind wir zur Mittelauflage, der Lange, also der Ossi (Ernst Ocwirk, Anmerkung), und der Gschropp, der Hanappi. Sag ich: „Jetzt fahr ma heim.“ Sagt er: „Nix fahr ma heim, jetzt drah ma die Partie noch um.““, erzählte Wacker-Wien-Legende Theodor „Turl“ Wagner später. Der Stürmer sollte in dieser Partie noch drei Tore erzielen.

Mit einem 5:4 ging es zunächst in die Kabinen. Nach 90 Minuten hieß es dann 7:5 für Österreich und insbesondere Tormann Schmied wurde gefeiert. Der Goalie konnte sich jedoch an nichts mehr erinnern und war während des gesamten Spieles vom österreichischen Masseur dirigiert worden, da eine Auswechslung nach den damaligen Regeln nicht möglich war. Was für die Schweiz eine der bittersten historischen Niederlagen ist, blieb bis heute Österreichs größter WM-Erfolg. Die rot-weiß-roten Kicker erreichten das Halbfinale, wo man als Favorit gegen die Begegnung mit Deutschland, die zuvor Jugoslawien ausgeschaltet hatten, ging.

In den anderen Viertelfinalspielen besiegten die favorisierten Ungarn Brasilien mit 4:2, ebenso wie Uruguay England ausschaltete. Nach einer Verlängerung stand erneut dasselbe Ergebnis auf der Anzeigetafel im ersten Halbfinale der WM ’54: Puskás und Co. besiegten Uruguay und standen im WM-Finale. Schon zuvor galten die Magyaren als heiße Anwärter auf den Titel: Tormann Grosics, Kapitän Puskás und Linksaußen Czibor gaben in der Goldenen Elf den Ton an. Vier Jahre lang blieb diese Nationalmannschaft ungeschlagen und war jedem Fußballliebhaber in ganz Europa bekannt. 1952 hatten die Ost-Europäer die olympische Goldmedaille geholt und blieben auch im Europapokal der Fußball-Nationalmannschaften, einem „Urahn“ der EM, ungeschlagen. Bei ihrem legendären 6:3 gegen England im Wembley-Stadion war auch dem Letzen klar, dass Ungarn den Fußball neu erfunden hatte – mit hängender Spitze und offensivem Kurzpassspiel. Anno 1954 traute ihnen jeder den Weltmeistertitel zu.

Die Österreicher gingen am 30. Juni 1954 mit 1:6 gegen die BRD unter. 1:0 für Deutschland stand es zur Halbzeit, danach machte der „Teufelskerl“ Toni Turek im Tor alle Ausgleichchancen der Rot-Weiß-Roten zunichte. Nach einem Walter-Elfmeter zum 3:1 gaben die Österreicher auf und wurden schließlich mit einer „Schraub‘n“ nachhause geschickt. Die Wiener Presse machte Zeman und Happel für die Niederlage verantwortlich. In Wirklichkeit spielte, wie auch zuvor in Lausanne, das Wetter eine gewichtige Nebenrolle: Es regnete und die Deutschen verfügten über das rutschfestere Schuhwerk. Sie trugen neu entwickelte Stollenschuhe von Adolf Dassler und fanden so besseren Halt als die Österreicher in ihren „Nagelschuhen“.

Mit einem 3:1-Sieg gegen den Noch-Weltmeister Uruguay konnte Österreich danach im Spiel um Platz drei allerdings die erfolgreichste WM-Platzierung der Geschichte eingefahren.

Deutschland trat einen Tag später zum Finale gegen die legendären Ungarn an. Deren Starspieler Puskás war allerdings rekonvaleszent und nicht in Topform. Wieder hatte der Wettergott ein Einsehen und ließ den Himmel weinen: Das Fritz-Walter-Wetter impfte den Deutschen Mut ein, sie wussten nun, dass sie nun im Vorteil waren. Bei strömendem Regen führten die Ungarn jedoch bald mit 2:0, Morlock brachte die DFB-Elf aber noch innerhalb der ersten 15 Minuten heran. Helmut Rahn konnte bald darauf den umjubelten Ausgleich erzielen. Danach drehten die Ost-Europäer auf und „beschossen“ das deutsche Tor: Goalie Turek oder rettendes Metall waren allerdings immer zur Stelle. Rahn wurde mit seinem Treffer zum 3:2 kurz vor Ende des Spieles zum Helden von Bern. Dieses ballesterische Wunder machte den Kriegs- und Nachkriegsgebeutelten Deutschen auch außerhalb des Platzes Mut: Auf in die Zukunft, hieß die Parole.

Sepp und seine Jungs

2010 wollte eine deutsche Studie herausgefunden haben, dass nicht nur die Dasslerschen „Patschen“ ein erheblicher Vorteil für die BRD war. Einigen Kickern soll aufputschendes Methamphetamin injiziert worden sein. Diese Substanz findet man übrigens auch in Crystal Meth.

Die Ungarn hatten mit dem Endspiel ihr erstes Match seit 1950 verloren. Mit Sándor Kocsis stellten sie jedoch den besten Torschützen des Turniers: Elf Mal traf er in der Schweiz. Der Herausragendste der Magyar-Mannschaft war eindeutig Ferenc Puskás – Spielgestalter mit gefürchtetem linken Fuß und der wahrscheinlich beste ungarische Kicker aller Zeiten. Auf Seiten der Weltmeistermannschaft sind besonders Fritz Walter und Siegestorschütze Helmut Rahn unvergessen. Teamchef Herberger gilt bis heute als „Vater“ des ersten WM-Titels, den er nur mit Amateur-Spielern errungen hatte. Herberger wurden besondere psychologische Fähigkeiten zugeschrieben: Er formte aus spielerisch schwächeren Kickern ein fast perfektes Team, in dem er den Mannschaftsgeist belebte. „Ihr müsst brennen!“, impfte der gebürtige Mannheimer seinen Jungs ein.

Allgemein war die erste als Fußball-WM bezeichnete Weltmeisterschaft ein leibhaftiger Erfolg: Nie fielen mehr Tore, der Veranstalter nahm 2,75 Millionen Franken ein und die FIFA musste auch keine Bettelbriefe versenden, um Teilnehmer anzulocken. Die Zuschauer kamen via Radio und TV auf ihre Kosten.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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