Das „Mutterland des Fußballes“ sollte die schlechte WM von Chile vergessen machen. England bewarb sich 1960 gemeinsam mit Spanien und Deutschland um die achte Austragung des Turniers und erhielt, nach dem Rückzug der Iberischen Halbinsel, hauchdünn vor den Deutschen den Zuschlag. Hauchdünn sollte sechs Jahre später auch der Sieg der Engländer auf dem Platz ausfallen. Aber nicht nur das berühmte „Wembley-Tor“ blieb lange in Erinnerung.
Kurzfristig waren viele Kritiker nach dem chilenischen Reinfall von der Idee beseelt, die Fußballweltmeisterschaft für längere Zeit ruhen zu lassen. Doch die FIFA musste feststellen, dass viele Länder längst Blut geleckt hatten und sich auf die, im 4-Jahres-Rhythmus stattfindenden, Wettkämpfe intensiv vorbereiteten. 71 Nationen meldeten sich diesmal zur Qualifikation der Endrunde an.
Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Portugal, die Schweiz, Ungarn, die UdSSR, Italien und Spanien konnten als jeweilige Gruppenerste die Qualifikation überstehen. Uruguay, Chile und Argentinien reisten mit dem regierenden Weltmeister aus Südamerika an. Mexiko kam als Vertreter Mittelamerikas, Nordkorea setzte sich in der Afrika-Australien-Asien-Gruppe durch.
Früchte des Zorns
Erstmals übertrug man die Auslosung der Gruppen live. Das Komitee verteilte diesmal nur vier Mannschaften als „gesetzte“ Teams: Gastgeber England, Weltmeister Brasilien, Deutschland und Italien. Danach wurden die Lostöpfe gut durchgeschüttelt und vier Gruppen gebildet.
In Gruppe A siegte Gastgeber England vor Uruguay, Mexiko und Frankreich. Die Deutschen setzten sich in ihrer Gruppe an die Spitze und ließen Argentinien, Spanien und die Schweiz hinter sich. Brasilien musste schon nach der Vorrunde die Koffer packen. König Pelé schoss beim 2:0-Sieg über Bulgarien zwar ein Freistoßtor, danach verlor der amtierende Weltmeister allerdings zweimal mit 1:3. Die brasilianischen Fans waren über das Vorrunden-Aus erzürnt: Doch was hatten sie sich erwartet? Die Mannschaft, die zur WM 1966 anreiste, hatte kaum mehr etwas mit dem Weltmeisterteam von vor vier Jahren gemein. Die einzige Wunderwaffe der Seleção wurde von den Gegner „zum Abschuss freigegeben“: Pelé wurde rüde „abgewatscht“. Im letzten Gruppenspiel gegen Portugal verletzte sich der Weltfußballer und erklärte später, er wolle nie wieder an einer Endrunde teilnehmen, da die FIFA nichts unternommen hätte, um die absichtlichen Fouls an ihm zu unterbinden. WM-Debütant Portugal und die starken Ungarn stiegen ins Viertelfinale auf. Ebenso wie die Sowjetunion und Nordkorea, die überraschenderweise Italien und Chile nachhause schickten. Nordkorea hatte die Italiener mit einem knappen 1:0 besiegt und Torschütze Pak Doo-Ik hielt danach auf der Tribüne eine Rede an den Staatsführer Kim Il-Sung. Die heimkehrende Squadra Azzurra wurde von den Fans um 2 Uhr früh auf dem Flughafen mit angefaultem Obst und Gemüse bedacht.
Im Viertelfinale besiegte England Argentinien knapp mit 1:0. Portugal sah nach wenigen Minuten bereits wie der sichere Verlierer aus, als Nordkorea mit 3:0 führte. Danach drehte Eusebio, der Torschützenkönig des Turniers wurde, auf und erzielte vier Tore. Portugal stand plötzlich im Halbfinale. Der torgefährliche Stürmer hatte an diesem Erfolg einen großen Anteil. „Pantera Negra“, der schwarze Panther, tanzte sich katzenartig durch gegnerische Abwehrreihen und war auch für sein „fair play“ bekannt. Der 1,75 Meter große Angreifer wurde zum ersten Spieler der zwei Jahre nach dieser WM den goldenen Schuh gewann.
Die Sowjetunion konnte sich auf ihre starke Defensive, in der besonderes Welttorhüter Lew Jaschin gute Figur machte, verlassen und so gegen Ungarn einen 2:1-Sieg einfahren. Deutschland hatte beim 4:0 gegen Uruguay seinen Spaß mit den Südamerikanern.
Win with style!
Das Semifinale versprach spannend zu werden: Portugal musste gegen den Gastgeber antreten. Doch das Herz der Mannschaft, Eusebio, wurde von Nobby Stiles aus dem Spiel genommen und die Mannschaften neutralisierten sich. Bobby Charlton sorgte schließlich für eine 2:0-Führung, Eusebio konnte mit einem Elfertor nur mehr verkürzen. Die Briten kamen mit nur einem Gegentor ins Finale. Im zweiten Halbfinale gewann die DFB-Elf gegen die Sowjetunion mit 2:1. Haller und Beckenbauer trafen dabei zur Führung der Deutschen, in der 88. Minute konnte Porkujan nur mehr den Ehrentreffer beisteuern. Die Russen bauten 1966 auf eine starke Defensive: Lew Jaschin war ein legendärer Keeper, Schesternjow, der Kapitän und Abwehrchef, galt für einige als bester russischer Spieler aller Zeiten. Trotz seiner Größe war er äußert flink und dominierte durch seine Sprungkraft etliche Kopfballduelle. Aufgrund seiner guten Zweikampfbilanz bekam er den Spitznamen „Iwan, der Schreckliche“. Doch nach dem verlorenen Halbfinale, musste die UdSSR auch ihre Träume von Platz drei begraben. Überraschungsteam Portugal ergatterte mit einem 2:1-Sieg überraschend die „Bronzemedaille“. Allerdings erzielte José Torres das rettende Tor erst in der 88. Spielminute.
Das Finale am 30. Juli 1966 wurde zum Fußballklassiker: Gottfried Dienst pfiff das Endspiel zwischen Deutschland und England an. Im Vorfeld hatte DFB-Teamchef Schön Franz Beckenbauer zum „Kettenhund“ für Bobby Charlton gemacht. Zunächst gingen die Deutschen durch ein Tor von Haller, der einer der Besten des Turniers auf Seiten des DFB war, in Führung. Geoff Hurst konnte allerdings schon wenige Minuten später ausgleichen. Peters erhöhte in der 78. Minute auf 2:1 und die Briten sahen bereits wie die sicheren Sieger auch. Selbst der deutsche Radiomoderator, der das Finale kommentierte, war sich sicher, dass das Finale nun verloren sei. Doch Verteidiger Weber konnte in der letzten Minute der regulären Spielzeit nach einem ruhenden Ball doch noch ausgleichen.
In der Verlängerung knallte Hurst dann den Ball an die Latte. Dienst zeigte einen Eckball an, bis ihm der Linienrichter klar machte, dass er ein Tor gesehen habe. Das „Wembley-Tor“ wurde zur nationalen Tragödie für die deutschen Fußballfans. 2006 konnte endlich nachgewiesen werden, dass der Ball die Torlinie tatsächlich nicht mit vollem Umfang passiert hatte. Hurst schoss in der 120. Minute noch den 4:2-Treffer und die „Three Lions“ krönten sich so zum Weltmeister.
Das Tor wurde weltberühmt – der Torschütze selbst bekam allerdings nicht so ganz das „standing“ einer englischen Legende, wie Charlton, Matthews oder Law. Dabei war der West-Ham-United-Kicker, der einzige Spieler, dem in einem WM-Finale drei Tore anerkannt wurden. Trotzdem kennen heute nur eingefleischte Fußballfans den Namen Geoff Hurst.
Eine deutsche Boulevard-Zeitung bewies Humor und titelte in trauter, nationaler Zusammengehörigkeit: „Wir haben 2:2 verloren!“ Verstecken mussten sich die DFB-Kicker für ihre Leistung während des Turniers nicht. Und auch vier Jahre später waren sie wieder gut dabei.
Die WM 1966 im Ursprungsland der Fußballkunst zeigte wieder offensivere und spielfreudigere Partien als ihr Vorgänger in Chile. Eine harte Gangart wie bei Italien, Chile oder Uruguay war nicht erfolgreich und wurde mit einem frühen Ausscheiden dieser Teams quittiert. Auch der Sportsgeist setzte sich vermehrt durch und sorgte für einen Aufschwung in der ganzen Fußballwelt.
Marie Samstag, abseits.at
Marie Samstag
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