Einstimmig bekam Deutschland nach mehreren erfolglosen Bewerbungen die Ausrichtung der WM ’74 zugeteilt. Organisation beherrschen die Deutschen schließlich meisterhaft und so stürzte man sich... Weltmeisterschaft 1974: Als der „Terrier“ den besten Spieler biss

Gerd Müller und Paul Breitner - Deutschland 1974Einstimmig bekam Deutschland nach mehreren erfolglosen Bewerbungen die Ausrichtung der WM ’74 zugeteilt. Organisation beherrschen die Deutschen schließlich meisterhaft und so stürzte man sich mit Feuereifer auf die Gestaltung des begehrten Fußballturnieres. 1.769.062 Karten wurden offiziell verkauft, man spielte in neun westdeutschen Städten. Die „Kick-Tempel“ wurden dabei fast alle modernisiert oder, wie das Parkstadion in Gelsenkirchen, neu gebaut. Vier Jahre zuvor hatte man die WM in Mexiko erstmals live und in Farbe via Fernsehen übertragen, das Turnier in Deutschland stand also ebenso unter großer Beobachtung durch die Weltpresse.

Sparwassers Unsterblichkeit

99 Mannschaften meldeten sich ursprünglich zur Qualifikation. Österreich schaffte es im Entscheidungsspiel gegen Schweden knapp nicht das Ticket ins Nachbarland zu lösen. 2:1 hieß es nach 90 Minuten für die Skandinavier.

Alleine die Auslosung für die Gruppenphase verfolgten 800 Millionen Menschen weltweit. Die Zusammensetzung der Töpfe resultierte aus sportlichen und geografischen Gründen. So fanden sich die vier Erstplatzierten der WM 1970, Brasilien, Italien, Deutschland, Uruguay, im ersten Topf wieder. Topf 4 war mit den Außenseitern Zaire, Australien, Haiti und Schweden besetzt.

Gastgeber Deutschland war nach der Auslosung in einer Gruppe mit der DDR, Chile und Australien. Die Ostdeutschen konnten zur Überraschung aller auch den Gruppensieg einheimsen. Im letzten Gruppenspiel besiegte die DDR den „großen Bruder“ mit 1:0. Torschütze Jürgen Sparwasser wurde im sozialistischen Staat zum Volkshelden. „Wenn ich mal sterbe, muss auf dem Grabstein nur „Hamburg 1974“ stehen und jeder weiß, wer drunter liegt.“, lautet ein berühmter Ausspruch von ihm. Dieses Match vom 22. Juni wurde zu einem heftigen Dämpfer für die Titelträume der DFB-Elf, die aber die Gruppenphase als Zweiter überstanden hatte.

Brasilien enttäuschte in Gruppe Zwei, stieg aber ebenso als Zweiter auf. Jugoslawien setzte sich an die Spitze, Schottland und Zaire mussten die Koffer packen. Die Niederlande und Schweden lagen in Gruppe drei vor Bulgarien und Uruguay. Dino Zoff kassierte nach 1.143 Länderspielminuten erstmals wieder einen Treffer – ein Tor mit Folgen. Obwohl die Squadra Azzurra das Spiel noch drehen konnte und mit 3:1 gewann, mussten die Südeuropäer nach einem Sieg, einer Niederlage und einem Remis wegen des schlechteren Torverhältnisses im Vergleich zu Argentinien nachhause fahren. Die starken Polen (Olympiasiegers von 1972) dominierten Gruppe Vier vor Argentinien, Italien und Haiti.

Im Unterschied zu den vorherigen Weltmeisterschaften wurde nach der Gruppenphase, statt dem K.O.-Modus, eine zweite „Gruppenphase“ eingeführt, um die vier Finalisten für das „kleine“ und das „große“ Endspiel zu ermitteln. In zwei Zwischenrunden-Gruppen mit je vier Mannschaften kickte jeder gegen jeden. Brasilien und Deutschland wurden absichtlich nicht in dieselbe Gruppe gelost, um ein mögliches Endspiel nicht vorweg zu nehmen.

Die Niederlande gewannen alle Spiele und waren Finalist. Oranje-Trainer Rinus Michels hatte schon im Vorfeld die Hoffnungen Hollands auf ein gutes Abschneiden geweckt. Herzstück der Elftal war mit Kapitän und Stürmer Cruyff der wahrscheinlich beste Fußballer der damaligen Zeit.

Deutschland besiegte zunächst Jugoslawien und Schweden. Bei der „Wasserschlacht von Frankfurt“ traf die BRD dann auf die starken Polen. Ein Wolkenbruch führte zur Unbespielbarkeit des Terrains, das Match könnte aber nicht verschoben werden. Mithilfe der Feuerwehr „trocknete“ man das Spielfeld und der österreichische Referee pfiff an. In dieser Sumpflandschaft konnten die Polen nicht an ihre vorangegangenen Leistungen anknüpfen. Dribbel- und Schussversuche wurden im Wasser geblockt. Gerd Müller machte sein Müller-Tor, da schadete auch ein verschossener Elfer von Uli Hoeneß nicht. Franz Beckenbauer gab nachher zu: „Bei normalen Spielverhältnissen hätten wir vermutlich keine Chance gehabt.“

Die Zweitplatzierten in den Zwischenrundentabellen, Polen und Brasilien, kickten einen Tag vor dem Finale im Münchner Olympiastadion. Den Fans war das „kleine Finale“ um Platz 3 egal – in Rio wurden symbolisch Särge durch die Straßen getragen. Dementsprechend geknickt und unkonzentriert spielte die Seleção auchund verlor mit 0:1 gegen Polen. Grzegorz Lato, der Siegestorschütze,wurde mit sieben Treffern auch Torschützenkönig der WM.Der kräftige Kicker war trotz seiner Figur ein blitzschneller Flügelspieler und neben Kazimierz Deyna und Andrzej Szarmach einer der polnischen WM-Helden.

Im Finale trafen nun der Gastgeber und die Elftal zusammen.Die Holländer waren leichte Favoriten und ihre alte Rivalität zu Deutschland kochte hoch. Die DFB-Elf wusste, dass sie den niederländischen Star Cruyff unbedingt aus dem Spiel nehmen musste, um eine Chance zu haben. Berti Vogts, der „Terrier“, als beinharter Verteidiger bekannt, spielte im Training den „Kettenhund“ am Versuchsobjekt Günther Netzer. Doch anfangs ging alles schief: Nach 53 Sekunden pfiff Schiedsrichter Taylor den ersten Strafstoß in der Geschichte der WM-Finali. Die „Oranje“-Kicker, die in Blau spielten, hatten vom Anpfiff an bis in die Spitze zu Cruyff kombiniert, der durch eine Hoeneß-Grätsche regelwidrig von den Beinen geholt wurde. Neeskens verwandelte zum 1:0. In Folge fügte sich nicht nur Vogts besser in seine Rolle ein, sondern auch das gesamte deutsche Team wurde stärker. Als Hölzenbein in Minute 25 gefoult wurde, verwandelte der 22-jährige Paul Breitner zum 1:1. Bonhof bereitete Gerd Müllers Siegestor in der zweiten Halbzeit vor: Im Liegen schoss der Bayer mit rechts ein, nachdem er zunächst behindert worden war. Deutschland hatte den zweiten WM-Titel geholt und war der erste regierende Europameister der Weltmeister wurde.

Fazit

„Johan war der bessere Spieler, aber ich bin Weltmeister.“, stellte Beckenbauer später treffend fest. Die Klasse des Herrn Cruyff, der auch zum besten Spieler des Turniers gewählt wurde, reichte im Endspiel nicht aus. Schon zum siebten Mal hatte jene Mannschaft, die im Finale geführt hatte, letztendlich verloren. War der holländische Topstürmer dem Druck nicht gewachsen?

Die internationale Presse war sich einig, dass sich die DFB-Elf den Sieg verdient hatte, weil sie disziplinierter und williger gespielt hätte. Tatsächlich war die Mischung in der Mannschaft von hohem Wert: Beckenbauer und Breitner waren die spielerisch-starken Stars und wurden von Schwarzenbeck und Vogts kämpferisch unterstützt. Overath dirigierte das Team, Netzer blieb sein Ersatzmann. Im Angriff sorgte Gerd Müller für die richtigen Tore, Grabowski und Hölzenbein spielten auf den Flügeln.

Nach dem Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972 wurde auf die Sicherheit besonderen Wert gelegt. Die Quartiere der Teilnehmer wurden stark bewacht. Für Kritiker blieb die Endrunde daher distanziert und kühl. Die Begeisterung der deutschen Fans ließ sich aber davon nicht beeinflussen. Im eigenen Land Weltmeister zu werden ist immer etwas ganz Besonderes.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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