Das war’s: „Schland“ hat‘s gepackt und den vierten Stern geholt. Trotz ihrer Favoritenstellung hatten die Deutschen in einem guten Spiel mit der „Albiceleste“ ihre liebe Mühe, wurden aber durch Götzes sehenswerten Treffer doch noch ein verdienter Weltmeister. Insgeheim war die DFB-Elf wohl von Anfang an der Topfavorit: Experten und (v.a.) Ex-Spieler wollte von dieser Rolle aber wegen Wetterkapriolen und Verletzungspech nichts wissen.
Götz von Rio
Gut Ding braucht eben Weile, denn eigentlich feilte Löw schon seit 2006 (damals noch als Co-Trainer) am ultimativen Show-Down. Die Erwartungshaltung war jedes Mal erdrückend hoch und immer wenn das DFB-Team nicht weltmeisterlich spielte wurde gekeppelt und kritisiert, dabei gab es eh nicht viel zu bemängeln: Bei Turnieren steigerte sich die Mannschaft regelmäßig und bewies gestern wieder einmal, dass eine Schwalbe (Messi) noch keinen Sommer (WM-Titel) macht.
Der Schiedsrichter war leider auch in diesem Endspiel nicht fehlerlos und knüpfte damit an die zweifelhafte Tradition dieser Endrunde an. Die Skepsis gegenüber den Leistungen der „Schwarzen“ verleitete ORF-Polzer zu dem Ausspruch: „Ich glaube, es stimmt SOGAR.“, als Higuains Tor wegen Abseits aberkannt wurde. Auch diesmal wurde getreten und gekämpft, davon zeugte Schweinsteigers Gesicht. Kramer wurde wegen Benommenheit ausgewechselt, Higuain küsste Neuers Knie – eine blutige Fußballschlacht, die am Ende von den DFB-Jungs gewonnen wurde.
Schuld daran war ein 37-Millionen-Euro teurer Bayernprofi. Jetzt wissen wir’s, Mario Götze kann Deutschland tatsächlich zum Weltmeistertitel schießen und danach ein relatives emotionsloses „Wir sind überglücklich“ von sich geben. Keine Kritik an dieser Stelle, der Bursche wird schließlich fürs Spielen und nicht fürs Reden bezahlt. Ein übermütiger Thomas Müller, der einer kolumbianischen Reporterin ein Interview auf „boarisch“ gibt, wird dem schwarz-rot-goldenen Freudentaumel trotzdem gerechter als der auch im Moment des Triumphes vergleichsweise ernste Götze. Willkommen in der (R)Ahnenreihe (Rahn, G. Müller, Brehme) der DFB-Siegestorschützen, Herr Götze!
Hohe Politik
Die Weltmeister-Kanzlerin gratulierte ihren Burschen auf dem Rasen und in der Kabine. Angela „Selfie“ Merkel, die seit ihrem Amtsantritt bei jedem Großereignis dem DFB-Team die Daumen drückt, scheute auch diesmal keine Kosten und Mühen (der Steuerzahler) und legte die 10.000 Kilometer Berlin-Rio für ein Fußballmatch zurück. Das hat Tradition bei der Bundeskanzlerin: Ein Statement in Richtung Integration war 2010 der Handshake in der Kabine mit einem halbnackten Mesut Özil, Schweinsteiger wurde für seine rote Karte in der EM-Gruppenphase 2008 von der „Mutter der Nation“ höchstpersönlich getadelt und verfolgte das letzte Gruppenspiel gegen Österreich an ihrer Seite auf der Tribüne. Lukas Podolski, einst Jungspund, fasste einen Besuch der Kanzlerin bei der Heim-WM 2006 in seiner unnachahmlichen Art wie folgt zusammen: „Sie hat uns viel Glück gewünscht, dann war sie auch schon wieder weg.“
Acht Jahre später schoss der Spaßvogel die DFB-Elf zwar nicht zum Pokal, dafür aber ein Selbstporträt mit dem größten Fan der DFB-Elf nach Spiel Nummer Eins gegen Portugal. Merkel avancierte zum Edelanhänger und Glücksbringer des Teams. Ein toller Schachzug, so verleihen sich Politiker genug Bodenständigkeit: „Eh eine von uns.“, soll der eine oder andere Bundesdeutsche denken. Dass es bei öffentlichen Repräsentationen des Landes zu Begegnung zwischen den Repräsentanten (in diesem Fall: der Sportler) und dem jeweiligen Regierungs-/ Staatsoberhaupt kommt, liegt auf der Hand. Merkels Fußballengagement ist jedoch größtenteils politisches Kalkül, so widmete auch Lahm in seiner Autobiografie der Beziehung Kanzlerin – DFB-Elf („In einer Beziehung und es ist unkompliziert“) ein ganzes Kapitel. Die Identitätssuche der deutschen Nation, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann, wird auch durch dieses „Wir sind Fußball“-gesteuerte Bündnis der Regierungschefin geeint. Wenn’s hilft.
Fazit – „I hab valurn, wie nur ana verlier’n kann.“
Jetzt hat Brasilien Stadien, die kaum gebraucht werden, weil der nationale Fußball zu wenige Menschen interessiert. Sogar die für die WM realisierten Verkehrsprojekte wurden aus der Sicht eines Veranstalters für Großereignisse gebaut und stellen für die urbane Bevölkerung vielfach keine Erleichterung da. Öffentliche Räume wurden zweckentfremdet, Bürgerrechte beschnitten, Minderheiten nicht beachtet. Die Ausbeutung der Arbeitnehmer war in Brasilien’14 Fortsetzung einer fragwürdigen Tradition, die beim Pyramidenbau im alten Ägypten ihren Anfang nahm.
Sportlich gesehen hingegen erfreute das Massenspektakel die ganze Fußballwelt und wusste zu gefallen. Auch die teilnehmenden Nationen äußerten sich wohlwollend über die Gastfreundschaft der Südamerikaner. Die breite Bevölkerung setzte ihre gebündelten Kräfte, wenn sie in ökonomischen Belangen der Obrigkeit schon nichts entgegnen konnte, wenigstens auf einen vollen Erfolg der Seleção. Fußball ist eben noch immer eine Sache des Volkes. Möchte man zumindest glauben. Doch auch auf diesem Feld wurden die Einheimischen enttäuscht: Nach dem Ausscheiden der Seleção stürzte die Begeisterung ins Bodenlose. Ulla Ebner, Ö1-Korrespondentin, ist sich sicher: „Ich bin überzeugt, wenn ich heute auf die Straße gehe wird mir kein einziges gelb-grünes Brasilien-T-Shirt mehr begegnen.“ Für die meisten ist es nur ein kleines Trostpflaster, dass „Erzfeind“ Argentinien nicht den Titel geholt hat, ansonsten ist die Stimmung spätestens nach dem Abpfiff des Halbfinales auf dem Gefrierpunkt angelangt. Brasilien hat verloren, wie man nur verlieren kann. Zumindest Herr und Frau Brasileiro/Brasileira.
PS: Oma hat Recht gehabt, Deutschland ist Weltmeister geworden!
Marie Samstag, abseits.at
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