Der Held vom Algerien-Spiel war André Schürrle, der vom Duell mit den USA Mats Hummels und im Rahmen der Sternstunde vom Halbfinale gegen Brasilien... Eine Hommage an Bastian Schweinsteiger: Klasse ist, wenn alles schmerzt und du trotzdem vorangehst

Bastian Schweinsteiger (Deutschland, FC Bayern München)Der Held vom Algerien-Spiel war André Schürrle, der vom Duell mit den USA Mats Hummels und im Rahmen der Sternstunde vom Halbfinale gegen Brasilien ist es wohl nicht nötig einen einzigen Helden herauszupicken. Den großen Traum vom Finalgoldtor machte schließlich Mario Götze wahr. Doch ein deutscher Spieler verkörperte die deutschen Tugenden – vor allem gestern Abend – wie kein anderer.

Das Finale der Fußball-WM 2014 dauerte 129 Minuten und neun Sekunden. Es ist symptomatisch, dass mit André Schürrle und Mario Götze zwei Joker für die Entscheidung sorgten. Nicht nur, weil sie körperlich etwas frischer waren als viele ihrer Kollegen, sondern auch weil der Kopf noch nicht überstrapaziert war.

Wir haben’s leicht vorm Fernseher

In einem derart langen Fußballspiel ist so vieles dabei, was man sich – gerade auf derart hohem Tempo – als Fernsehzuseher gar nicht vorstellen kann. Da sind jede Menge Sprints, intensive Läufe, Kopfballduelle, Zweikämpfe, Sekundenentscheidungen – und zwar nicht mit dem alleinigen Fokus ein Tor zu erzielen, sondern auch mit dem Fokus ein klar vorgegebenes taktisches Korsett nicht zu sprengen und im Dienste der Mannschaft dieses Konzept umzusetzen. Dies trifft gerade auf die konzeptschwangere deutsche Mannschaft zu und erfordert enorme Konzentration.

15,3 Kilometer, die sich anfühlen (müssen) wie 100

Deutschlands Nummer 7 Bastian Schweinsteiger legte in den 129:09 Minuten WM-Finale die weitesten Wege zurück. Der Bayern-Star lief insgesamt 15,3 Kilometer und legte davon über 4,4 Kilometer auf höchster Belastung zurück. Hinzu kommt aber auch, dass Schweinsteiger 124 Ballkontakte verbuchen konnte und dabei 105 Pässe mit 90%iger Genauigkeit spielte. Diese Werte zeugen schon mal grundsätzlich von einer hohen Aktivität – und jede Aktivität auf dem Platz erfordert bekanntlich höchste Konzentration.

Schmerzen sind…

Doch erst jetzt kommen in unserer statistischen Aufarbeitung einer großen Leistung die Schmerzen hinzu. Kein Spieler auf dem Platz wurde öfter gefoult als Schweinsteiger. Sechsmal ging der deutsche Mittelfeldspieler durch Fremdeinwirkung zu Boden, einmal wurde er sogar von Mascherano UND Biglia gleichzeitig gefoult. Nach einem Faustschlag von Sergio Agüero musste der zu diesem Zeitpunkt bereits völlig fertige Schweinsteiger mit einem blutenden Cut unter dem Auge raus, wurde behandelt. Deutschland konnte zu diesem Zeitpunkt noch einmal wechseln. Doch Schweinsteiger biss sich durch.

…wenn dir alles weh tut

Betrachtet man die Zweikämpfe des 108-fachen Nationalspielers, kommt man nicht umhin zu bemerken, dass ihm gerade in der Verlängerung jeder einzelne selbst weh tat. In seinem 46.Saisonspiel (davon übrigens nur 23 in der deutschen Bundesliga) holte der 29-Jährige noch ein letztes Mal alles aus sich heraus, bevor es in den wohlverdienten Urlaub bzw. an die Feierlichkeiten ging. Doch es sind nicht nur die nackten Zahlen, die Schweinsteigers Final-Kraftakt beeindruckend erscheinen lassen.

Klasse ist…

Neben all den Strapazen, Schmerzen und der großen Initiative in seinem Spiel trug „Schweini“ auch noch die taktische Ausrichtung der Mannschaft mit – gerade an einem Tag, an dem sein Nebenmann Toni Kroos da und dort mit Nervosität und mangelnder Präzision zu kämpfen hatte. Schweinsteiger war der Taktgeber im Mittelfeld der deutschen Mannschaft, zugleich der Spieler, der den Ball immer wieder mit gezielten Vorstößen ins letzte Drittel trug. In absolut allen dahingehenden Statistiken lag Schweinsteiger weit über dem Mannschaftsdurchschnitt.

…wenn du trotzdem vorne weg gehst

Ein großer Fußballer ist Schweinsteiger schon lange. Nächste Saison wird der Bayer sein 600.Pflichtspiel als Fußballprofi bestreiten und auf Klublevel erreichte er bereits alles, was es zu erreichen gibt. Der Fußball hat sich verändert und mit leichtfüßigem, kopflosem Spektakel gewinnt man im Olymp des Weltfußballs keinen Blumentopf mehr. Der Fußball wird immer mehr von dynamischer, variabler Taktik, vorausschauendem Denken und schließlich auch von physischer Stärke geprägt. Da dies genau die Tugenden sind, die der vorne weg gehende Schweinsteiger im größten Spiel seiner Karriere abrief, zählt er nach diesem Turnier, aber vor allem nach diesem Finale zu den ganz Großen des Weltfußballs. Kein anderer Spieler der jüngeren Vergangenheit konnte in einem WM-Endspiel eine derartige Mischung aus Physis, Ballsicherheit, Konzentration, „Architektur“ und vor allem Teamgeist und Unermüdlichkeit auf den Platz bringen.

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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