Europameister 2008, Weltmeister 2010, Europameister 2012 – so liest sich die in diesem Jahrtausend beeindruckende Vita der „Furia Roja“. Das Ausscheiden in der Vorrunde... Kommentar | Meine persönlichen Verlierer der WM (2)

Xavi Hernandez (Spanien, FC Barcelona)Europameister 2008, Weltmeister 2010, Europameister 2012 – so liest sich die in diesem Jahrtausend beeindruckende Vita der „Furia Roja“. Das Ausscheiden in der Vorrunde in Brasilien fügt sich natürlich nicht in diese imposante Epoche des Weltfußballs ein, steht in gewisser Weise aber sinnbildlich für deren Ende. Die Wachablöse ist erfolgt, rückblickend zeichnete sich die Beendigung der spanischen Vorherrschaft schon vor Turnierbeginn ab.

Dem auf extremen Ballbesitz ausgelegten „Tiki-Taka“ des FC Barcelona, das mit Guardiola auch bei den Münchner Bayern Einzug hielt, wurde zweimal eindrucksvoll die Grenzen aufgezeigt: einmal von den Deutschen selbst, im Folgejahr wiederum vom aktuellen Champions-League-Sieger Real Madrid. Das Herzstück dieser Spielstrategie, extreme Ballsicherheit und endlose Ballstafetten, sowie das geduldige Warten auf den einen richtigen Moment um den tödlichen Pass in die Tiefe anbringen zu können, trug nicht mehr die gewünschten Früchte. Beide Teams wurden jeweils durch in Perfektion vorgetragenen Konterfußball regelrecht auseinandergenommen.

Schnelle, spritzige und agile Spielertypen wie Ronaldo und Di Maria versetzten Guardiolas eigener Erfindung im CL-Halbfinale den Todesstoß. Eine gewisse Stärke Standardsituation in Zählbares umzumünzen, ist natürlich für den Kampf gegen den totalen Ballbesitzfußball auch förderlich, wie Sergio Ramos unter Beweis stellte. Für einen generellen Abgesang auf das „Tiki-Taka“ ist es dennoch entschieden zu früh, einen solchen wird es wohl auch nie geben.

Die Grundidee, Ballbesitz garantiere die Kontrolle über das Spiel, wird wohl immer ihre Gültigkeit haben. Tempowechsel, Flexibilität und Überraschungsmomente durch die individuelle Klasse einzelner Akteure sind von höchster Priorität im modernen Angriffsspiel. Ebenso wie den Bayern fehlte den Spaniern oftmals der Zug zum Tor, ihr Spiel war nicht auf den Endzweck, das Erzielen von Toren, ausgerichtet. Eigene Angriffe wurden zu statisch, zu vorhersag- und ausrechenbar vorgetragen. Insbesondere die Niederländer vollbrachten eine wirkliche taktische Meisterleistung, zermürbten mit einer ausgeklügelten Defensivtaktik die von der oftmals langen Saison müde wirkenden Spanier. Sprintstarke Spieler wie Robben wussten ihre Qualitäten im System van Gaals, der blitzschnelles, überfallartiges Umschalten zum Trumpf erklärt hatte, perfekt einzusetzen.

Die Angriffsbemühungen der Oranje erweckten allerdings nie einen konzeptlosen Eindruck, nicht immer löste man die Handbremse, auch der geordnete, bedächtige Aufbau zählte durchaus zum Repertoire der Elftal. Doch wann immer sich die Gelegenheit bot, Robben auf die Reise zu schicken und somit Lücken zu reißen, wurde sie genützt. Bedingt durch die Überform des Flügelflitzers bargen Konterangriffe stets enorme Gefahr.

Sergio Ramos und Pique wussten nicht wie ihnen geschieht. Ihres Zeichens beide Innenverteidiger von absolutem Weltklasseformat, wurden regelrecht schwindlig gespielt. Die völlige Indisponiertheit des spanischen Defensivverbundes kam nicht nur gegen Van Persie und Co. zum Vorschein, auch gegen die Chilenen wirkte man von Beginn an nur allzu leicht verwundbar. Zur Tatsache, dass Del Bosque Erfolgstrainer der letzten beiden Endrunden, nicht ansatzweise einen Plan B zum angesprochenen „Tiki-Taka“ in der Tasche zu haben schien, gesellte sich auch noch jene, dass einige Leistungsträger ihre Topform nicht annähernd abrufen konnten. Der erst kürzlich eingebürgerte Brasilianer Diego Costa, jeder seiner Ballkontakte wurde von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet, wirkte trotz aller Bemühungen wie ein Fremdkörper und wurde kaum in Szene gesetzt. Seine im Liga-Finale erlittene Verletzung war seinem Leistungsvermögen mit Sicherheit nicht zuträglich.

Die Leichtigkeit mit der Robben Sergio Ramos stehen ließ, obwohl dieser aus der besseren Position heraus ins Laufduell gestartet war, verblüffte. Zugleich ist sie aber auch als klarer Beleg dafür heranzuziehen, dass gleich mehrere Spanier nicht voll auf der Höhe zu sein schienen, einen wahren Alptraum erlebten. Einen Alptraum, aus dem sie auch gegen Chile nicht aufwachten. Die Spanier hatten dem impulsiven, körperbetonten Spiel von Sanchez und Kollegen nichts entgegenzusetzen. Die Kämpfer aus Südamerika erwiesen sich in allen Belangen als überlegen, agierten auch weitaus kombinationsstärker. Die wenigen Chancen, die nicht von der chilenischen Defensive schon vorzeitig vereitelt werden konnten, entschärfte Schlussmann Bravo bravourös. Chile lief nie wirklich Gefahr, die Kontrolle über das Geschehen zu verlieren.

Auf Seiten der Spanier hingegen sucht ein Weltklasse-Keeper wie Casillas schon länger nach seiner Form und der nötigen Sicherheit. Der Kapitän, Held von 2010, als er Robben komplett entnervte, patzte mehrmals entscheidend, war seiner Mannschaft nicht der so dringend benötigte Rückhalt. Die ganze Saison verlief für Casillas nur bedingt zufriedenstellend.

Nach seiner Ausbootung durch Jose Mourinho, atmete „San Iker“ hörbar auf als dieser Real verließ, doch auch Ancelotti degradierte ihn im Ligabetrieb zur Nummer zwei. Das Denkmal des Real-Urgesteins bekommt erste Risse und beginnt merklich zu bröckeln. Immer wieder machen auch Gerüchte über einen Tapetenwechsel Casillas‘ die Runde. An Xavi, dem einstigen Motor und Taktgeber im Spiel Spaniens gingen die Zeichen der Zeit nicht spurlos vorüber, sowohl gegen Chile als auch im bedeutungslosen „Freundschaftsspiel“ gegen Australien, musste die einstige Führungsfigur mit einem Platz auf der Bank vorlieb nehmen. Der mittlerweile 34-Jährige, der auch im Klub nicht mehr unumstritten war, kehrt Barcelona den Rücken und lässt seine Karriere in Katar ausklingen – ein gut dotierter Vertrag inklusive. Xabi Alonso, der eine solide WM spielte und wohl noch zu den besseren seines Teams zählte, beendet aller Voraussicht nach seine Teamkarriere, weitere Größen der goldenen Generation könnten es ihm gleich tun.

Auch Iniesta kam während der Gruppenphase nie an seine Galaform aus 2010 heran. David Villa wiederum wechselte nach nur einem Jahr vom Meister Atlético Madrid in die amerikanische MLS. Rein vom fußballerischen Aspekt her betrachtet mit Sicherheit zweitklassig, finanziell ganz sicher äußerst lukrativ. Unter Tränen gab der 32-Jährige gegen Australien seine Abschiedsvorstellung im Trikot der Nationalelf.

Fernando Torres, Stürmer in Diensten vom Chelsea FC und Leistungsträger bei den Titeln 2008 und 2010, stemmte 2012 die CL-Trophäe. So leid mir das tut, aber seit seinem Wechsel an die Stamford Bridge ist er nur mehr ein Schatten seiner selbst. In 28 PL-Spielen vermochte er nur magere fünf Treffer zu verbuchen. Viel zu wenig für einen Mann mit seinen Fähigkeiten und Ansprüchen. Dem potentiellen Weltklasse-Stürmer, der in London nicht und nicht glücklich zu werden scheint, eilt mittlerweile ein zweifelhafter Ruf als Spezialist im Vernebeln von Großchancen voraus.

In Anbetracht dieser Umstände ist ein Umbruch wohl unausweichlich und wird wohl auch erfolgen. Interessanterweise wird diese Aufgabe aller Voraussicht nach von Del Bosque in Angriff genommen werden. Man darf wirklich gespannt sein, wo der Trainerfuchs die Hebel ansetzt und ob er die Mannschaft in strategischer Hinsicht einem Face-Lifting unterzieht.

Wie werden die Veränderungen aussehen und werden sie greifen? Die Zukunft wird es weisen. Eine totale Abkehr vom „Tiki-Taka“ ist auszuschließen, einige Modifikationen werden allerdings nötig sein, will man wieder an alte Erfolge anschließen.

Eine über viele Jahre hinweg erfolgreiche Ehe wirft man schließlich nicht ohne weiteres weg, es bedarf aber immer wieder des einen oder anderen belebenden Elements.

(David Kühhas)

David Kühhas

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