Die Verwunderung war groß, als ein erschöpfter, enttäuschter Lionel Messi den „Goldenen Ball“ für den besten Spieler des Turniers entgegennahm. In Foren und sozialen... Kommentar | Messi ist „bester Spieler der WM“ – die Suche nach den Gründen

Lionel Messi (Argentinien, FC Barcelona)Die Verwunderung war groß, als ein erschöpfter, enttäuschter Lionel Messi den „Goldenen Ball“ für den besten Spieler des Turniers entgegennahm. In Foren und sozialen Netzwerken konstatierten Fußballfans, dass es gleich mehrere Spieler gäbe, die bei der Weltmeisterschaft 2014 besser spielten als der argentinische Superstar.

Und damit haben die Fans auch absolut recht. Lionel Messi spielte unter Berücksichtigung seines spielerischen Potentials eine recht biedere WM. Am Pressing seines Teams beteiligte er sich nur, wenn es gar nicht anders ging, oder der zu attackierende oder abzudeckende Spieler gerade den Radius seines Spazierfeldes kreuzte. Messis Präsenz auf dem Platz mutete fast schon autistisch an und auch wenn er im Finale etwas aktiver war, als in den Spielen zuvor, hatte man immer das Gefühl, dass er nicht an seine Leistungsgrenze ging.

Effizient

Betrachtet man die harten Fakten, erkennt man, dass der Barcelona-Superstar die Hälfte, nämlich vier von acht Treffern für die offensiv allgemein etwas enttäuschende Albiceleste erzielte. Einen weiteren Treffer bereitete er vor und auch sonst hatte Messi bei vielen entscheidenden oder gefährlichen Situationen seine Füße im Spiel. Dennoch ist hier von einer Mannschaft die Rede, die in sieben WM-Spielen (trotz schwacher Vorrundengruppe) lediglich acht Treffer erzielte – es ist also sicher nicht so, dass Messi das gesamte Offensivspiel seiner Mannschaft an sich riss und formte oder ans Limit trieb. Messi tat schlichtweg das, was notwendig war – und das reichte um eine mit innovativen Defensiv- und Konterkonzepten ausgestattete Mannschaft bis ins Finale zu bringen.

Nicht im Stil des Turniers

Klar: Messi entschied gleich mehrere Spiele zugunsten Argentiniens. Unterm Strich mutet der Titel „Spieler des Turniers“ aber seltsam an, wenn man bedenkt, dass die WM 2014 wohl als Turnier in die Geschichtsbücher eingehen wird, das von Umschaltspiel, mannschaftlich geschlossenem Pressing und Spiel ohne Ball geprägt war, wie kein anderes Turnier davor. Dies waren großteils nicht die Tugenden, die der kleine Dribblanski an den Tag legte und es ist kaum auszudenken, wie stark diese argentinische Mannschaft gewesen wäre, wenn Messi auch noch an diesen Baustellen mitgemischt hätte.

Wollte er nicht mehr oder konnte er nicht mehr?

Apropos: Diverse (auch internationale) Fernsehstationen kritisierten Messi in den ersten Atemzügen der WM für seine passive Art Fußball zu spielen. Er gehe nur spazieren, mache viel zu wenig für das Spiel. ORF-Experte Roman Mählich sprach ein wahres Wort (ja, hin und wieder gibt’s auch beim ORF wahre Worte, auch wenn das manchen nicht schmecken wird), indem er in den Raum stellte, dass Messi vielleicht deshalb nicht präsenter ist, weil er körperlich oder geistig gar nicht im Stande ist präsenter zu sein. Über die Allgemeinverfassung des vierfachen Weltfußballers lässt sich von außen nur mutmaßen, aber man muss bei einem derartigen Ausnahmekönner davon ausgehen, dass ebendiese Allgemeinverfassung ein Mitgrund für seine blutleeren, wenn auch effizienten Auftritte sein kann.

Südamerika und das „wie“

Welche Infos haben wir nun also gesammelt? Messi spielte körperlos, wirkte lustlos, ging ein bisschen in Brasiliens Stadien spazieren – und entschied gleichzeitig Spiele, indem er Tore schoss oder einleitete. Dies reichte für den Einzug ins WM-Finale, jedoch nicht dafür, die Fans zu verzücken oder ein fußballerisches Feuerwerk abzubrennen, was in Südamerika ein nicht zu verachtender Erfolgsfaktor auf dem Weg zur Fußballheiligkeit ist. Fazit: Der beste Spieler der Weltmeisterschaft war Messi zweifelsohne nicht.

Druck aus der argentinischen Bevölkerung

Nun kommt aber eine weitere Facette hinzu, die gerne vergessen oder ausgeblendet wird. Für keinen anderen (einzelnen) Fußballer war die WM eine solche mentale Last wie für Lionel Messi. Ein ganzes Land erkor den 27-jährigen Ausnahmefußballer aus, den Pokal nach Buenos Aires zu holen. Alles rund um Messi war Füllstoff, der ganze Druck lastete auf den schmalen Schultern des 93-fachen Nationalspielers. Die Hoffnungen einer großen Fußballnation lasteten einzig auf Messi.

Messi vs Maradona

Messi ist ein Fußballstar – ein echter Star. Demnach ist der introvertierte Mann aus Rosario auch gezwungenermaßen ein Popstar. Und das ist er wiederum im eigentlichen Sinn nicht, auch wenn er notgedrungen in diese Rolle gesteckt wird. Der extrovertierte Maradona war einer, der diesem Druck gewachsen war. Das Sinnbild für ein kickendes, südamerikanisches Enfant terible wuchs mit dem Druck, nutzte Spielfeld und Medien als Bühne seiner Emotionen und Exzentrik. Messi ist – abgesehen vom (eigentlich) Wesentlichen, nämlich seinen spielerischen Vorzügen – völlig konträr zum Maradona’schen Idealbild eines mitreißenden, südamerikanischen Fußballstars und trotzdem schaffte er es, die argentinische Nationalmannschaft mit relativ fundamentalen Mitteln ins Finale zu tragen.

Der soziologische Aspekt

Die argentinischen Fans hofften auf Messis Genialität, die ihnen den Titel bringen sollte. Im Endeffekt war es Messis Genialität (aber auch viele andere Faktoren), die Argentinien immerhin ins Finale brachten, wo man Deutschland einen heißen Kampf lieferte. Paradox: Selbst wenn Argentinien Weltmeister geworden wäre, wäre Messi nicht der beste Spieler des Turniers gewesen. Es ist eher (wenn man eine Begründung suchen möchte) der soziologische Aspekt, der Messi zu einem der außergewöhnlichen Fußballer des Turniers macht. Nicht aber seine spielerischen Darbietungen, die von vielen anderen Spielern übertroffen wurden und auch weit unter dem Zenit des Lionel Messi anzusiedeln sind. Fazit: Messi war sicher nicht der beste Fußballer des Turniers, jedoch einer der Fußballer, für die die WM am schwersten zu bewältigen war und die trotzdem das Optimum herausholten. Dass die FIFA den „Goldenen Ball“ ebenfalls nach diesen Maßstäben vergab, wagen wir allerdings zu bezweifeln…

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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