Spanien und der Plan B: Wird gerade das perfektionierte Tiki-Taka zum Stolperstein?
WM 2014 | Mannschaftsanalyse 5.Juni.2014 Alexander Semeliker 0
Die Spielweise des spanischen Nationalteams, das berühmte stark ballbesitzorientierte Tiki-Taka, gefällt nicht jedem Zuschauer. Die langen Passstafetten seien langweilig, so der Grundtenor. Dennoch waren die Spanier damit in den letzten Jahren überaus erfolgreich. Die Frage nach dem berühmten Plan B stellt sich aber trotzdem – wieder einmal.
Als Grundlage der spanischen Philosophie gilt der niederländische Totaalvoetbal aus den 70er-Jahren, dessen revolutionärstes Element das Pressing und Gegenpressing war. Neben der Zugabe einer hohen Ballzirkulation haben die Spanier dieses Element in allen Facetten verfeinert. Die wichtige Zentralachse mit dem genialen Sergio Busquets kennt sich aus dem Verein und mit Sergio Ramos hat man zudem einen weiteren antizipationsstarken Innenverteidiger. Bei Barca muss Busquets mitunter viel Raum alleine abdecken, aufgrund der etwas balancierteren Ausrichtung des Nationalteams könnte dies im Teamdress jedoch anders sein. Mit Diego Costa hat man zudem nun einen enorm laufstarken Angreifer, was das Spiel gegen den Ball zusätzlich stärken dürfte. Wenn das Spiel eine gewisse Dynamik aufgenommen hat sind die technisch ausgezeichneten Spanier kaum zu bändigen.
Hohe Ballbesitzzahlen suggerieren landläufig gerne eine sehr offensive und spektakuläre Spielweise. Tatsächlich ist ab einer gewissen Grenze der Haupteffekt von viel Ballbesitz, dass der Gegner kaum Möglichkeiten bekommt selbst gefährlich zu werden. Deshalb ist die Philosophie der Spanier eher als defensive Strategie einzuordnen – Stichwort „Tikinaccio“. Bei der letzten Europameisterschaft haben die Spanier beispielsweise insgesamt nur 50 Schussversuche zugelassen – weniger als jede andere Mannschaft. In der Qualifikation waren es in acht Spielen sogar nur deren 41. Allerdings geht man mit der hohen Abwehrlinie auch viel Risiko ein. Gerade auf Topniveau kann dermaßen viel Raum für den Gegner schnell ein Gegentor bedeuten.
Ein großer Kritikpunkt am spanischen System ist seit jeher die Monotonie – nicht nur aus Zuschauersicht, sondern auch taktisch. In der Offensive fehlt es vor allem an physischer Durchschlagskraft. Dies ist allerdings weniger problematisch als die strategische Monotonie, die Vicente del Bosque mit seiner Kadernominierung vorantrieb. Zum einen ließ er mit Alvaro Negredo einen physisch starken Stürmer unberücksichtigt, zum anderen werden die Flügelpositionen fast ausschließlich von nominellen Zentrumsspielern bzw. Akteuren, die gerne von außen nach innen spielen, besetzt. Italien zeigte bei der letzten EM in der Vorrunde, wie man dagegen vorgehen könnte. Angesichts der großen Möglichkeiten, die der spanische Spielersektor hergibt, ist es also durchaus zu hinterfragen, warum sich hinsichtlich der Flexibilität selbst beschneidet – ebenso die Tatsache, dass nur drei Außenverteidiger dabei sind.
Die Kadernominierung ist aber auch das einzige, das man aus Sicht der Spanier im Vorfeld kritisieren kann, zumal die meisten Spieler mit viel Rückenwind aus einer überaus erfolgreichen Saison kommen und der spanische Fußball in aller Munde ist. Atlético holte die Meisterschaft und marschierte ohne Niederlage ins Finale der Champions League, die man erst in der Nachspielzeit gegen Real verspielte. Die Akteure des weißen Balletts dürften aufgrund der lang ersehnten Decima ebenfalls voller Elan zum Team stoßen. Zudem zeigte das spanische Team in der Vergangenheit, dass es ohne Probleme mit dem Druck, der große Turnierfavorit zu sein, umgehen kann.
Keine Frage, der Weg zum Titel führt einmal mehr über die spanische Auswahl. Die Kaderqualität konnte in den vergangenen zwei Jahren noch einmal angehoben werden und ein nachhaltiges Rezept gegen das oft verschmähte Tiki-Taka scheint es (noch) nicht zu geben. Um gegen die Spanier zu gewinnen bedarf es auch externer Faktoren, auf die die Gegner hoffen müssen – etwa das Klima oder schlichtweg Glück, die Iberer an einem schwachen Tag zu erwischen.
Mögliche Aufstellungen
Die Grundordnung der Spanier ist ein 4-3-3 mit dem ballsicheren Barca-Trio im Mittelfeld. Im großen Sinne fraglich ist quasi nur die Besetzung der Flügel. Eine naheliegende Lösung, wäre es mit David Silva und Pedro Rodriguez auf die erfahrensten Optionen zu setzen.
Eine andere Alternative wäre, wie schon bei der letzten EM, auf Andres Iniesta als Flügelspieler zu setzen und ihn im Zentrum positionsgetreu mit Fabregas zu ersetzen, oder mit Xabi Alonso einen zusätzlichen Sechser zu bringen. Die Grundordnung wäre dann eher ein 4-2-3-1.
Die Aufstellung einer B-Mannschaft ist insofern schwierig, als del Bosque nur drei Außenverteidiger nominiert hat. Ansonsten könnte auch die zweite Garnitur der Spanier ohne weiteres als Kandidat für den Titel gelten.
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Alexander Semeliker
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