Unerfahrene Abwehr als Knackpunkt im niederländischen Team
WM 2014 | Mannschaftsanalyse 4.Juni.2014 Stefan Karger 2
Die Stärken der niederländischen Mannschaft liegen traditioneller Weise in der Offensive und auch bei der Weltmeisterschaft in Brasilien setzen die Fans in erster Linie ihre Hoffnungen auf die Offensivakteure. Speziell in der Abwehr bieten die Oranje einige Spieler auf, die relativ unerfahren sind und sich in großen Spielen erst einmal beweisen müssen. Stimmt die Chemie in der Offensivfraktion zwischen Robin van Persie, Arjen Robben und Wesley Sneijder, dann kann die Mannschaft von Trainer van Gaal jedem Team gefährlich werden.
Nachdem der Rekordnationalspieler und Weltklassetorhüter Edwin van der Sar Ende 2009 seine Laufbahn im Nationalteam beendete, entstand auf dieser Position eine Lücke, die kein anderer Goalie füllen konnte. Fulham-Keeper Maarten Stekelenburg sollte seinen Platz einnehmen, wurde aber immer wieder von Verletzungen zurückgeworfen und zeigte auch auf Vereinsebene zuletzt schwache Leistungen, sodass er in Ungnade fiel und die Weltmeisterschaft von zu Hause verfolgen wird müssen. Die momentane Nummer 1 im Tor der Niederländer ist der junge Ajax-Amsterdam-Keeper Jasper Cillessen, der nach einer zweijährigen Eingewöhnungsphase beim Verein den Stammplatz von Kenneth Vermeer eroberte und dank starker Leistungen sich nun auch im Nationalteam einen Stammplatz erobern konnte. Der 25-Jährige verfügt über starke Reflexe und wurde insbesondere von den Ajax-Fans für die Weltmeisterschaft 2014 gefordert. Bei gegnerischen Flanken kann man jedoch Schwächen erkennen, gegen ihn spricht außerdem seine Unerfahrenheit. Trotzdem dürfte Louis van Gaal dem Ajax-Keeper sein Vertrauen schenken und somit die Premier-League-Legionäre Tim Krul (Newcastle) und Michael Vorm (Swansea) auf die Ersatzbank verbannen.
Es sieht ganz danach aus, dass Trainer Louis van Gaal, hauptsächlich aufgrund der Verletzung von Kevin Strootman, das System seiner Mannschaft von einem 4-3-3 auf ein 5-3-2 umstellen wird. Links in der Dreierkette hat Feyenoord-Kicker Bruno Martins Indi die besten Aussichten auf einen Stammplatz, zentral wird Ron Vlaar von Aston Villa auflaufen, neben Stefan de Vrij, der ebenfalls bei Feyenoord unter Vertrag steht. Ebenfalls Chancen auf einen Einsatz hat der 22-jährige Ajax-Innenverteidiger Joël Veltman, der erst auf zwei Länderspieleinsätze kam.
In der Innenverteidigung fehlen Charaktere wie der einst legendäre Jaap Stam – erfahrene, gestandene Kicker, die auch in brenzligen Situationen die Ruhe bewahren können. Ron Vlaar bringt noch die meiste Erfahrung mit, wobei der 29-Jährige auch erst zwei Länderspiele auf dem Buckel hat. Durch die Umstellung vom 4-3-3 auf das 3-5-2-System könnte es van Gaal jedoch gelingen, zusätzliche defensive Stabilität in seine Mannschaft zu bringen. Dennoch ist die Abwehr das Sorgenkind der Niederländer, denn auch in jüngster Zeit schlichen sich immer wieder Konzentrationsfehler ein, die zu Gegentreffern führten. Aufgrund der Umstellung auf das solider wirkende 5-3-2-System gehen sich in dieser Bewertung gerade noch fünf Punkte aus.
Egal ob im 4-4-2, oder im 5-3-2-1-System – auf der rechten Außenbahn ist Feyenoord-Außenverteidiger Daryl Janmaat gesetzt. Der 24-Jährige ist auf Vereinsebene seit zwei Jahren nicht mehr aus der Feyenoord-Mannschaft wegzudenken und hat sich auch im Nationalteam einen Stammplatz erspielt. Der Rechtsverteidiger erregte schon einige Male das Interesse von Premier-League-Vereinen wie etwa Arsenal und glänzt durch seine Geschwindigkeit, Ausdauer und Zweikampfstärke. Er schaltet sich regelmäßig in die Offensive ein, wo er immer wieder Torgefahr erzeugen kann und auch das Auge für seine Mitspieler hat.
Auf der linken Abwehrseite hat der vielseitige Terence Kongolo die besten Karten, der so wie Daryl Janmaat bei Feyenoord unter Vertrag steht. Kongolo spielte heuer beim Verein sowohl in der Innenverteidigung, als auch auf der linken Abwehrseite, beziehungsweise im linken Mittelfeld. Daley Blind, der Sohn des Co-Trainers Danny Blind, ist mittlerweile auf der linken Abwehrseite keine Option mehr und darf sich höchstens Chancen im Mittelfeld ausrechnen. Kongolo verfügt wie Janmaat über eine erstaunlich hohe Ausdauer, ist aber eine Stufe unter ihn zu stellen.
Louis van Gaal lässt im Mittelfeld mit zwei Abräumern und einem offensiven, kreativen Freigeist spielen, wobei letztere Rolle Wesley Sneijder ausfüllen wird. Für Rafael van der Vaart bliebe also ohnehin nur der Platz auf der Ersatzbank, allerdings bleibt dem HSV-Spieler die Joker-Rolle erspart, da er aufgrund einer Wadenverletzung die Weltmeisterschaft verpassen wird. Der Galatasaray-Spieler schoss heuer 12 Meisterschaftstore und ist für die kreativen Impulse in der Mannschaft zuständig. Neben einem starken und präzisen Schuss, der ihn auch bei Standards auszeichnet, kann er Lücken in der gegnerischen Abwehr ausfindig machen und perfekte tödliche Pässe spielen. Wenn er allerdings nicht in Spiellaune ist, dann kann er sich schon mal längere Auszeiten nehmen und unsichtbar bleiben.
Hinter ihm hat der junge Jordy Clasie gute Chancen auf einen Startplatz. Der Feyenoord-Spieler gilt als unermüdlicher Zweikämpfer, der viele Bälle erobern kann und von den Fans äußerst geschätzt wird. Der 22-Jährige ist sicherlich bereit für höhere Aufgaben, ihm fehlt jedoch noch die internationale Erfahrung und er wird sich in den großen Spielen erst beweisen müssen. Nigel de Jong verfügt über diese Erfahrung und hat ebenfalls gute Chancen auf einen Platz in der Startaufstellung. Der ehemalige Manchester-City-Spieler absolvierte heuer 32 Meisterschaftsspiele für den AC Milan und lebt ebenfalls in erster Linie von seiner Zweikampfstärke. Weitere Kandidaten für diese Position wären der Norwich-Spieler Leroy Fer und Georginio Wijnaldum (PSV Eindhoven).
Sollte van Gaal auf das 5-3-2-System setzen, dann übernehmen die Außenverteidiger im Ballbesitz die Rolle der Flügelspieler. Arjen Robben würde neben Robin van Persie im Sturm spielen und Jeremain Lens (Dynamo Kiew) würde sich auf der Ersatzbank wiederfinden. Im klassischen 4-3-3-System sieht die Sache jedoch ganz anders aus, denn dann würde Bayern-Spieler Arjen Robben auf den rechten Flügel rutschen, während Jeremain Lens wohl einen Fixplatz am linken Flügel hätte. Den Dynamo-Kiew-Spieler zeichnet seine Schnelligkeit und Ausdauer, sowie seine Torgefahr aus. Bisher erzielte er in 20 Einsätzen für die Niederlande sieben Treffer. Im 4-3-3-System würden wir sicherlich Arjen Robbens berühmte Läufe von rechts in den Strafraum bewundern dürfen, allerdings ist davon auszugehen, dass er zumindest im Eröffnungsspiel gegen Spanien neben van Persie im Sturmzentrum spielen wird, wobei er immer wieder zur Seite ausweichen wird. Wir gehen bei der Bewertung vom wahrscheinlicheren 5-3-2-System aus, schließen aber die starken Alternativen im 4-3-3-System mit ein, sodass es einen Punkt zusätzlich gibt.
Egal welches System – Robin van Persie wird aller Voraussicht nach immer gesetzt sein. Der 30-jährige Manchester-United-Legionär ist an guten Tagen einer der gefährlichsten Stürmer der Welt und erzielte auch beim jüngsten Länderspiel gegen Ecuador den einzigen Treffer der Niederländer beim 1:1-Unentschieden. Nach einer Knieverletzung die er sich Ende März zuzog, musste er sechs Wochen pausieren, wurde aber rechtzeitig zur Weltmeisterschaft wieder fit. Im 5-3-2-System wird er mit Arjen Robben einen torgefährlichen Partner vorfinden. Wenn die Chemie zwischen den beiden passt, dann können sie für jede Mannschaft der Welt zu einer großen Gefahr werden. Die Alternativen im Angriff sind Schalke-Spieler Klaas-Jan Huntelaar und Fenerbahce-Stürmer Dirk Kuyt.
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