Algeriens Taktik: Bosnische Handschrift für einst chaotische Nordafrikaner
WM 2014 | Taktikanalyse 8.Juni.2014 Alexander Semeliker 1
Algeriens Spielweise bei der WM 2010 war zutiefst unattraktiv und unproduktiv. Die Nordwestafrikaner standen tief und vertrauten in der Offensive nur auf die individuellen Qualitäten der Einzelspieler. Die Folge: Man trat ohne eigenen Treffer die Heimreise an. Unter Vahid Halilhodzic hat sich der Spielstil jedoch geändert.
Der 61-Jährige Bosnier mistete den Kader nicht nur aus, sondern implementierte eine neue Philosophie, die sich am modernen Spiel orientiert. Das heißt er legt unter anderem großen Wert auf ein aggressives Pressing und Gegenpressing, was seine Schützlinge auch durchaus engagiert durchziehen. Das Mittelfeld rund um Saphir Taider, der mit seiner Dynamik und Antizipationsfähigkeit das zentrale Element ist, schiebt dabei früh nach vorne. Allerdings sind die Abläufe gruppentaktisch nicht immer sauber und so wirkt es vielmehr wie ein kollektives Jagen ohne klare Aufgabenteilung, was dann ein Problem ist, wenn der Gegner ballsicher ist. Die Dynamik wird auch im offensiven Umschaltspiel genützt, allerdings werden die Konter nicht immer gut zu Ende gespielt.
Das aggressive Pressing ist auch aufgrund der personellen Konstellation in der Abwehr ein wichtiges Element. Die Innenverteidiger haben kaum Spielpraxis und die Außenverteidiger haben ihre Stärken in der Vorwärtsbewegung. Im Verbund mit dem aus gruppentaktischer Sicht mangelhaften Pressing sorgt das dafür, dass die Defensive mitunter stark entblößt wird. Aufgrund der langsamen Innenverteidiger ist das ein großes Problem. Aber auch abseits von den taktischen Mängeln gibt es individuelle Fehler, die sich negativ auf die Stabilität auswirken.
Spontane personelle Umstellungen sind für Halilhodzic vor allem im Mittelfeld machbar. In der Zentrale gibt es einerseits einen Block mit klassischen, defensiv starken Sechsern, technisch starke Zehner und in Taider sowie Bentaleb zwei hochveranlagte Box-to-Box-Spieler. Auf den Flügeln gibt es hingegen eine breite Auswahl an talentierten Dribblern. Aus taktischer Sicht ist das Gefüge des algerischen Teams jedoch weniger flexibel. Einzig die Variation im Pressing von einem aggressiven Angriffspressing auf ein tieferes, breites 4-5-1-Mittelfeld- bzw. Abwehrpressing ist hierbei zu nennen. Allerdings muss man dabei im Hinterkopf behalten, dass dadurch die individuellen Schwächen der Defensivspieler zum Vorschein kommen könnten.
Die Stimmen der Medien trauen dem algerischen Team kaum etwas zu, dennoch sind die letzten Ergebnisse durchaus in Ordnung. Im März gab es einen 2:0-Testspielsieg gegen Slowenien, am letzten Samstag ein 3:1 gegen Armenien. Neben dem gewohnt engagierten Pressing war dabei vor allem zu sehen, dass man nach ruhenden Bälle bzw. Flanken gefährlich sein kann. Der Fortschritt gegenüber den biederen Leistungen von vor vier Jahren ist klar ersichtlich und die Stimmung innerhalb des jungen Teams scheint gut zu sein. Ein Problem könnte jedoch die Erfahrung sein, denn im Schnitt absolvierte jeder Spieler bisher nur je 15 Länderspiele.
Von den Algeriern das Überstehen der Gruppenphase zu erwarten wäre vermessen, dennoch scheinen die Afrikaner nicht gänzlich chancenlos zu sein. Viel wird darauf ankommen, wie gut man mit dem Pressing das Geschehen vom eigenen Drittel fernhalten kann, was vor allem aufgrund der Spielweise der voraussichtlichen Konkurrenten um Platz zwei ein Problem sein könnte. Die Russen verfügen über ein flexibles Zentrum, das ein Spiel gut kontrollieren kann, während Südkorea sein Spiel generell gerne dynamisch gestalten will. Zumindest die Chancen auf das erste WM-Tor seit 28 Jahren stehen gut.
Mögliche Aufstellungen
Das Grundgerüst von Algerien ist im Großen und Ganzen stabil. Einzig im Zentrum und am linken Flügel gibt es personelle Fragezeichen. Für die absichernde Sechserposition im Zentrum kommen ebenso zwei Spieler in Frage, wie für die Achterposition. Wobei es bei letzterer in erster Linie darauf ankommt, ob man Bentaleb reif genug für die Stammelf sieht. Am linken Flügel dürfte die Entscheidung zwischen Mahrez und Brahimi fallen.
Es wäre aber grundsätzlich auch möglich eine etwas offensivere Formation aufzustellen. Dafür würde Taider zurückrutschen und Brahimi in die Mitte rücken. Damit würde man zwar etwas an Qualität im Pressing verlieren, dafür aber an Durchschlagfähigkeit gewinnen.
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Alexander Semeliker
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