Auftaktblamage für den Titelverteidiger: Niederlande gewinnt gegen Spanien 5:1
WM 2014 | Taktikanalyse 14.Juni.2014 Alexander Semeliker 0
Im ersten Spiel der WM-Gruppe B kam es zum Aufeinandertreffen zwischen Spanien und Niederlande – die Neuauflage des letzten WM-Finales. Dabei gelang den Niederländern die Revanche für die 0:1-Niederlage in Johannesburg. Obwohl sie wieder in Rückstand gerieten drehten sie die Partie und gewannen deutlich. Robin van Persie und Arjen Robben trafen je zweimal, Stefan de Vrij einmal.
Spanien hatte das Spiel in der ersten Halbzeit weitestgehend in Griff, ließ kurz nach Anpfiff zwar eine gute Chance zu, ging dann aber durch einen Foulelfmeter in Führung. Danach hatten sie noch eine sehr gute Möglichkeit auf das 2:0, ehe kurz vor Pause der Ausgleich für die Niederländer fiel. In der zweiten Halbzeit konnte diese dann noch vier weitere Tore drauflegen.
del Bosque und van Gaal brechen mit 4-3-3
Sowohl das spanische als auch das niederländische Team verband man in den letzten Jahren immer mit einer 4-3-3-Grundformation, für die WM stellten aber beide Teamchefs ihre Strategie um. Vicente del Bosque bot seine Iberer in einem 4-2-3-1 mit Sergio Busquets und Xabi Alonso auf der Doppelsechs auf, wobei der Real-Kicker für die aufbauenden Strukturen sorgte und der Barca-Sechser besonders im Spiel gegen den Ball in Erscheinung trat. Auf den Flügeln agierten mit Andres Iniesta und David Silva zwei konträre Spielertypen, die aber beide stark ins Zentrum drängten. Dazu gab es mit Diego Costa einen neuen Mittelstürmer.
Louis van Gaal krempelte sein Team stärker um, setzt nun auf eine 3-4-1-2-Grundordnung, die in erster Linie eine hohe defensive Stabilität suggeriert. Die Flügelverteidiger sind nämlich eher konservativ ausgerichtet, wodurch man vor allem zu Beginn oft eine Fünferkette sah. Zudem gab es mit Nigel de Jong und Jonathan de Guzman zwei ebenfalls defensivstarke Spieler zentral vor der Abwehr. In der Offensive war vor allem die Ausrichtung des Sturmduos interessant. Robben, beim FC Bayern Flügelspieler, agierte sehr vertikal, während van Persie hauptsächlich horizontal pendelte und erst spät in die Spitze ging.
Costas ausweichende und raumschaffende Rolle
Auch Costa aufseiten der Spanier bewegte sich ähnlich und schien zunächst das perfekte ergänzende Element für das im Allgemeinen enge Spiel der Spanier zu sein. Der gebürtige Brasilianer stand sehr hoch und drängte so die niederländischen Abwehrspieler zurück, wodurch das ohnehin spielerisch starke spanische Zentrum noch dominanter auftreten konnte. Damit wirkte man dem Effekt, den man beispielsweise beim Auftaktspiel der letzten EM gegen Italien sah, entgegen. Deutlich wird der Unterschied, wenn man die durchschnittlichen Positionen vergleicht.
Damals agierte man mit einem falschen Neuner, was dem massiven Zentrum des Gegners in die Karten spielte. Dieser formierte sich in einem tiefen, passiven Block und fing die Angriffe problemlos ab. Des Weiteren erkennt man, dass der Schwerpunkt von Costa (19) leicht linksversetzt ist. Er wich nämlich in erster Linie nach links aus und zog damit auch die Abwehrkette der Niederländer mit. So sah man immer wieder, wie Silva vom Flügel einrückte und nicht nur den Zehnerraum bespielte, sondern quasi einen zweiten Stürmer gab.
Blind nutzt Freiräume auf linker Seite
Dass man genau diese zwei Aspekte in den besten Offensivszenen der Spanier sah, war also kein Zufall, allerdings hatte dies auch Nachteile, die die Niederländer auch effektiv ausnutzten. Die ersten beiden Tore fielen nämlich nach demselben Muster. Aufgrund der starken Asymmetrie im Spiel der Spanier – 46% der Angrifft liefen über links – musste Rechtsverteidiger Cesar Azpilicueta den rechten Flügel quasi alleine bearbeiten. An und für sich scheint das aufgrund dessen, dass die Niederländer die Außenbahnen nominell ebenfalls einfach besetzten, kein Problem zu sein. Entscheidend ist jedoch die situative Besetzung dieser.
Der linke Innenverteidiger der Niederländer blieb, obwohl Ron Vlaar nach links gezogen wurde, breiter um bei einem Durchbuch von Azpilicueta zur Stelle zu sein und so konnte dieser offensiv keine Durchschlagskraft erzeugen. In der Defensive waren es die Bewegungen der niederländischen Stürmer, aufgrund derer der Zugriff auf den niederländischen Linksverteidiger, Daley Blind, fehlte. Einer der beiden wich nämlich aus und zog damit Azpilicueta diagonal nach hinten. So hatten die Spanier zwar in der letzten Linie nominell eine drei-zu-zwei-Überzahl, allerdings hatten sie den Nachteil, auf die Bewegungen des Gegners reagieren zu müssen. Dies war insofern entscheidend, weil die Diagonalpässe von Blind extrem genau gespielt wurden.
Niederländische Ballsicherheit und Spaniens Zerfall
Die grundlegenden Merkmale im Spiel der Spanier sind einerseits der hohe Ballbesitzanteil und andererseits ihr hohes Pressing und Gegenpressing, die diesen nach Ballverlusten gewährleisten. In diesem Spiel hatten die Iberer jedoch Probleme, die Ballzirkulation so hoch wie üblich zu halten. Begründet ist die zum einen darin, dass die Niederländer engagiert verteidigten, und zum anderen, dass sie auch am Ball überraschend sicher wirkten. Vor allem die beiden Sechser waren dabei wichtig. So konnte man das nominelle Übergewicht im Aufbauspiel – zwei tiefe Sechser und drei Innenverteidiger – auch effektiv nutzen.
Beispiele für die Ballsicherheit der Niederländer sieht man im obenstehenden Video. In der 15-minütigen Phase vor dem vorentscheidenden 3:1 konnte sie sogar geringfügig mehr Ballbesitz verbuchen als die Spaniern (53%). Del Bosque reagierte auf den Rückstand dahingehend, dass er mit der Hereinnahme von Pedro für Alonso mehr Breite ins Spiel bringen und dadurch die einfach besetzten Außen der Niederländer verstärkt attackieren wollte. Da jedoch unmittelbar darauf aus einer Standardsituation das 3:1 fiel, war diese Umstellung hinfällig und Spanien zerfiel anschließend. Die Niederländer spielten ihre Dynamikvorteile in der Offensive aus und hätten sogar noch höher gewinnen können.
Alexander Semeliker, abseits.at
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Alexander Semeliker
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