Ein Brecher trotz geringer Körpergröße – Tim Cahills Rolle gegen Chile
WM 2014 | Taktikanalyse 14.Juni.2014 Alexander Semeliker 0
Zum Auftakt der WM 2014 ging es für das australische Team gegen Chile. Die Südamerikaner haben aufgrund ihrer variablen Spielweise vor allem bei taktikaffinen Zuschauern einen äußerst guten Ruf und traten als Favorit an. Dieser Rolle wurden sie auch gerecht, denn am Ende setzten sie sich mit 3:1. Die individuell auffälligste Leistung zeigte aber ein Australier: Tim Cahill.
Auch wenn man von den Australiern bei dieser WM kaum Großes erwarten darf, war die große Enttäuschung über die Niederlage nachvollziehbar. Die Socceroos spielten auf Augenhöhe mit den Chilenen und hätten sich ein Unentschieden durchaus verdient. Dass sie mit Cahill den Spieler in den Reihen haben, der bisher eine der individuell auffälligsten Leistungen des Turniers zeigte, ist wohl nur ein schwacher Trost. Wir wollen uns dennoch in einer kurzen Videoanalyse mit der Rolle des 34-Jährigen auseinandersetzen.
Ausnützen der chilenischen Schwächen
In der Anfangsphase hatte man das Gefühl, dass Chile die Australier überrollen würde. Nach einem Doppelschlag in den Minuten 12 und 14 führte das Team von Jorge Sampaoli schon früh mit 2:0. Gegen das aggressive Pressing schien Australien zunächst keine passende Strategie zu haben. Das massive Zentrum versuchte Australien weitestgehend zu umspielen und so liefen unterm Strich rund 81% der Angriffe über die Seiten. Die Grundformation der Elf von Ange Postecoglou war dabei ein klares 4-2-3-1.
Nachdem man taktisch also klar unterlegen war, fokussierte man sich vermehrt auf die physischen Vorteile, die man gegenüber den Chilenen hatte, und war bemüht viele Flanken zu schlagen. Als Hauptabnehmer fungierte dabei Cahill, der, wie man anhand der durchschnittlichen Positionen in der obigen Grafik erkennen kann, einen enorm hohen Spielschwerpunkt hatte.
Hohe körperliche Präsenz und Durchschlagskraft
Gemessen an der Körpergröße ist Chile das kleinste Team dieser WM. So bestand auch die Innenverteidigung mit Gary Medel (1,71m) und Gonzalo Jara (1,74m) aus extrem kleingewachsenen Spielern. Cahill ist zwar ebenfalls unter 1,80m groß, jedoch viel kopfballstärker und durchschlagskräftiger. Diese Strategie war also durchaus legitim und zudem auch erfolgreich, wie zum Beispiel die nachstehende Grafik belegt. Fast jede erfolgreiche Flanke mündete in einem Torabschluss. Als Vergleich sieht man links das Flankenschema Chiles.
Frühes Orientieren in den Strafraum
Dass auch der einzige der Treffer der Australier nach einer Hereingabe von der Seite und per Kopfball von Cahill fiel, ist also keine große Überraschung. Dieses zwischenzeitliche 2:1 wollen wir uns genauer ansehen und dabei das Hauptaugenmerk auf den Bewegungsablauf von Cahill legen.
Vor dem eigentlichen Treffer gibt es in dieser Szene gleich zweimal das markante Merkmal in Cahills Spielweise: er orientiert sich früh und sehr stark in Richtung Gefahrenzone bzw. Strafraum. Selbst nachdem die erste Flanke fehlschlägt bleibt er zentral am Fünfmeterraum vor dem Tor um einen etwaigen zweiten hohen Ball, beispielsweise nach dem Kopfballduell, sofort aufs Tor bringen zu können. Bei der zweiten Flanke erkennt man dann die große Durchschlagskraft des Routiniers.
Als zweites Beispiel sehen wir uns eine Aktion an, in der Cahill den Ball ebenfalls im gegnerischen Netz unterbringen kann, das Tor jedoch aufgrund einer Abseitsstellung aberkannt wurde. Auch hier erkennt man das sehr frühe Orientieren in Richtung Strafraum, interessanter ist aber die Auswirkung dieser Bewegung.
Die Innenverteidiger der Chilenen spielen bei ihren Vereinen auf anderen, höheren Positionen. Das hat den Vorteil, dass sie in ihrem Antizipationsspiel offensiver sind und früh herausrücken, was gut zum Angriffspressing des chilenischen Nationalteams passt. In dieser Szene würde Chile üblicherweise sofort ins Gegenpressing gehen, allerdings werden die Innenverteidiger von Cahill nach hinten gedrückt. Da die Rückendeckung fehlt, können die defensiven Mittelfeldspieler dementsprechend nicht attackieren. Australien hat viel Platz, kann in Ruhe auf die Seite verlagern und erneut eine erfolgreiche Flanke schlagen.
Die negativen Aspekte seiner Spielweise
Aus der Premier League kennt man Cahill, der insgesamt 15 Jahre auf der Insel kickte, als wuseligen Spieler mit viel Leidenschaft und solider Technik bzw. solidem Kombinationsspiel. Diese Eigenschaften konnte man im Spiel gegen Chile jedoch kaum sehen. Aus seinem Team lief kein Feldspieler, der über die volle Distanz im Einsatz war, ohne Ball weniger als der aktuelle New Yorker Bulle (4,5km). Im Spiel gegen den Ball agierte Cahill äußerst passiv; ein aggressives Pressing oder gar Rückwärtspressing sah man nicht. Ein Beispiel dafür zeigt das nächste Video.
Neben der fehlenden Defensivarbeit erkennt man auch den negativen Aspekt des ständigen Besetzens des Angriffszentrums. Cahill bietet sich nicht für eine kurze Kombination an, sondern ist nach der Balleroberung nur mit einem hohen Ball anspielbar, weshalb sein Mitspieler quasi auf sich alleine gestellt ist. Auf diese Art und Weise konnten die Chilenen durch geschicktes Herausrücken der Zentrumspieler einige Angriffe bereits früh unterbinden und noch mehr Flanken auf Cahill verhindern.
Alexander Semeliker, abseits.at
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Alexander Semeliker
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