Einer der Turnierfavoriten: So stark ist Argentinien!
WM 2014 | Taktikanalyse 11.Juni.2014 Rene Maric 0
Argentinien wechselt System, Formation und die grundlegende Ausrichtung sehr häufig. In den letzten Qualifikationsspielen haben sie zwar vermehrt auf eine Spielweise und eine Formation gesetzt, doch Trainer Sabella sprach davon, dass man sich die vorherige Flexibilität bewahren und sich bei der Weltmeisterschaft spezifisch an jeden Gegner anpassen möchte. Darum könnten auch längst „vergessene“ Systeme wieder eine Rolle spielen.
Im Spielaufbau sind die Argentinier fast naturgemäß eine Macht; bei der Weltmeisterschaft 2006 galten sie wegen ihrer starken Ballzirkulation lange Zeit sogar als Topfavorit auf den Titel, was sich letztlich wegen etwas Pech und mangelnder Effektivität gegen kompaktere Mannschaften nicht bewahrheiten konnte. Auch 2014 dürfte Argentinien hier eine der stärksten Mannschaften sein, wobei sie nicht ganz an frühere Höhen herankommen. Garay ist allerdings ein sehr guter Aufbauspieler in der Innenverteidigung, Zabaleta auf den Außenverteidigerpositionen ist sehr stabil in der Ballzirkulation und das Mittelfeld kann ebenfalls überzeugen. Mascherano als zentraler Sechser ist sehr spielintelligent und verteilt die Bälle strategisch gut, di Maria ist sowohl im Dribbling als auch im Kombinationsspiel sehr stark und mit Biglia, Gago oder Alvarez als möglichem drittem zentralem Mittelfeldspieler im 4-3-1-2 haben sie weitere passstarke Akteure. Die Offensivreihe mit Messi, Agüero und Higuain fällt ebenfalls nicht ab; ganz im Gegenteil. Insbesondere Messis Zurückfallen kann das Aufbauspiel noch weiter stärken. Einzig der zweite Innenverteidiger und bisweilen der linke Außenverteidiger fallen etwas ab.
Trotz ihrer Stärken im Spielaufbau sind die Albiceleste allerdings keine wirkliche Ballbesitzmannschaft beziehungsweise häufig nur im ersten Spielfelddrittel. Nach dem ersten Spielfelddrittel versuchen sie möglichst schnell zum Abschluss zu kommen, kombinieren extrem dynamisch und suchen die Nähe zum Strafraum mit vielen vertikalen Aktionen. Dies sieht man auch in der Arbeit gegen den Ball; sie pendeln zwischen einem hohen Pressing mit direkten Angriffsaktionen nach Balleroberung und einem passiven tiefen Pressing in der eigenen Hälfte, von wo sie aus dann die offenen Räume zum Kontern nutzen können. Im Konterspiel sind sie sehr stark, besitzen mit di Maria, Messi, Agüero und Higuain vier sehr schnelle Akteure, die von den nachstoßenden Außenverteidigern unterstützt werden. Messi, Agüero und di Maria sind außerdem extrem dribbelstark und können sich auch in Unterzahlsituationen durchsetzen.
Das größte Problem bei den Argentiniern wird vermutlich das Verhindern von Gegentoren sein. Obwohl ihre grundsätzliche strategische Ausrichtung meistens passend ist, so arbeiten die drei Stürmer nur selten mit nach hinten, wodurch Räume im eigenen Zehnerraum offen sind. Zusätzlich sind sie in der Defensive individuell nicht herausragend besetzt, desweiteren kommen einige Probleme in den gruppentaktischen Abläufen hinzu. Dadurch ist es für den Gegner möglich viele einfache Flanken in den Strafraum zu bringen oder sich über die Halbräume nach vorne zu kombinieren. Auch das defensive Umschaltspiel ist nur mittelmäßig, was wiederum zu einigen Gegentoren nach Kontern führt. Diese Instabilität könnte Argentinien auf höchstem Niveau das Genick brechen, wenn sie diese Probleme nicht pünktlich zur Weltmeisterschaft abstellen.
Argentinien nutzte bislang unter Sabella eine Reihe von unterschiedlichen Formationen. Sie hatten bereits Spiele in einem 4-4-2/4-2-2-2, wo di Maria und Messi die Flügelstürmer bildeten, es gab Partien in einem 4-2-3-1 mit di Maria und einem anderen Flügelstürmer neben Messi, dazu kamen auch 4-2-1-3-Formationen mit Messi als Zehner oder ein 4-2-3-1 mit Messi als falscher Neun. Sogar eine Dreierkettenformation wurde bereits genutzt. Die am häufigsten eingesetzte Formation in den letzten Monaten und Jahren dürfte aber das 4-3-1-2 sein. Hier gibt Messi den Zehner, kann sich aber flexibel auf die rechte Seite fallen lassen, in die Spitze gehen oder zurückfallen. Mit di Maria als Halbspieler im Mittelfeld gibt es einen dynamischen, ausdauer- und defensivstarken Halbspieler in der Raute, der für eine Asymmetrie sorgt. Diese ist schwierig zu verteidigen – und das Personal lässt Sabella die Möglichkeit im Spiel flexibel umzustellen.
Fakt ist: Argentinien will dieses Turnier gewinnen. Es findet in Südamerika statt, was ihnen vom Klima her passen sollte, dazu sind die Spieler hochmotiviert und Brasilien als zweiter Kandidat aus Südamerika könnte dem enormen Druck erliegen. Normalerweise würde rein psychologisch vieles auf Argentinien als möglichem Weltmeister deuten, doch die vielen Verletzungen von Sergio Agüero in dieser Saison sowie die zahlreichen Blessuren Messis in den letzten eineinhalb Jahren trüben die Stimmung etwas, ebenso wie die Probleme in der Defensive und im Tor oder auch die Formschwäche von eigentlich wichtigen Akteuren wie Ever Banega, der darum nicht in den endgültigen Kader berufen wurde. Dennoch stehen die Zeichen durchaus gut, dass Argentinien eine Überraschung gelingen könnte.
Argentinien ist einer der Topfavoriten für diese Weltmeisterschaft, zumindest auf dem Papier. Ihre Mannschaft ist gespickt mit enorm starken Einzelspielern, hoher Flexibilität und natürlich Lionel Messi, der Spiele im Alleingang entscheiden kann. Fragezeichen stehen aber hinter seiner Fitness und über der defensiven Stabilität. Insbesondere Letzteres könnte auch ein frühes und tränenreiches Abscheiden verantworten.
Mögliche Aufstellungen
Vermutlich dürfte Argentinien bei dieser Weltmeisterschaft auf das 4-3-1-2 aus der Qualifikationsphase zurückgreifen. Im 4-3-1-2 können sie mit der 4-3-Aufteilung in der Defensive die Räume gut versperren, während die drei Stürmer vorne auf direkte Anspiele und Kontermöglichkeiten nach Balleroberungen warten. Messi dient dann als Verbindungsgeber, während die Flügelspieler – allen voran Rechtsverteidiger Zabaleta und der linke Achter Angel di Maria – nach vorne rücken, Breite geben und die drei Stürmer unterstützen. Komplettiert wird dies mit Mascherano als taktgebendem zentralem Sechser, einem aus Gago, Biglia oder Alvarez auf halbrechts, wobei Gago wegen seiner Passstärke, Ruhe und Zurückhaltung bislang die meisten Einsätze dort erhielt, Garay, Fernandez und Rojo in der Viererkette. Messi wird vorne von Agüero unterstützt, der sich gelegentlich auf den linken Flügel fallen lässt, während Higuain die Mitte besetzt.
Eine weitere Option ist natürlich ein 4-3-3, in welchem Messi den Rechtsaußen gibt. Hier würde man mit zwei flachen Dreierreihen spielen und Messi hätte auf den Seiten eventuell mehr Raum, würde aber als Verbindungsspieler verloren gehen. Di Maria als Flügelstürmer statt Gonzalo Higuain würde für mehr Defensivstärke sorgen; ein 4-3-3 mit Messi als Mittelstürmer wäre auch eine Option, Agüero und di Maria könnten dann die Flügel bilden.
4-2-3-1 mit Messi auf der Zehn und zwei Flügelstürmern sowie einem 4-4-2 in der Defensive könnte eventuell für mehr Stabilität sorgen. Auch das ist eine Option und wurde bereits einige Male praktiziert. Hier hätte man einen Defensivspieler mehr und würde vermutlich Gonzalo Higuain dafür opfern. Alternativ könnte auch Enzo Perez in all diesen Formationen ins Team rutschen.
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